Marc blinzelte erneut, sah mich wieder zwei oder drei Sekunden lang ungläubig an und hielt mir dann die letzte Seite des Berichts unter die Nase. »Das da sieht aber aus wie deine Unterschrift«, sagte er.
»Aber sie ist es nicht«, sagte ich ernst. »Ich habe diesen Bericht gerade auf meinem Schreibtisch gefunden.«
»Und du hast natürlich nicht die geringste Ahnung, wie er dorthin gekommen ist.« Simonson sprach wesentlich lauter, als mir lieb war, aber mir entging auch nicht, dass der Spott in seiner Stimme nicht hundertprozentig echt war.
»Ich weiß nicht, wer ihn dorthin gelegt hat«, antwortete ich. »Aber ich habe eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wer ihn geschrieben hat. Oder zumindest, wer den Auftrag dazu erteilt hat.«
Simonson sah mich durchdringend an. Ich konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Du meinst das ernst, wie?« fragte er schließlich.
»Todernst«, antwortete ich. »Wenn du wüsstest, wie sehr ...«
»Nicht hier«, unterbrach mich Simonson. Er sprach jetzt ebenso leise wie ich und in sehr ernstem, fast verschwörerischem Ton. »Komm mit.«
Wir verließen das Büro und gingen in einen der leer stehenden Konferenzräume auf der anderen Seite des Korridors. Simonson schloss die Tür, deutete mit einer beinahe herrischen Geste auf einen freien Stuhl und warf die Akte mit meinem Bericht auf den Tisch. Von einer Sekunde auf die andere hatte er rein gar nichts mehr von einem väterlichen Freund an sich. Sein Blick war plötzlich fast ebenso hart wie der des Fremden vergangene Nacht, und seine Stimme war beinahe schneidend.
»Überleg dir jetzt ganz genau, was du sagst, John«, sagte er. »Das ist kein Scherz mehr, sondern eine ungeheuerliche Anschuldigung. Du willst mir allen Ernstes erzählen, Pratt hätte dir diesen Bericht untergeschoben, damit er ihn Ende des Monats dem Kongress vorlegen und das Projekt Blue Book streichen lassen kann?«
Im allerersten Moment hatte ich Mühe, diesem scheinbar absurden Gedanken auch nur zu folgen. Aber dann wurde mir klar, dass er gar nicht so absurd war; nicht, wenn man Congressman Pratt kannte. Außerdem hörte sich die Wahrheit vermutlich noch viel absurder an.
»Ich habe nicht gesagt, dass es Pratt war«, sagte ich ruhig.
»Nicht ... Pratt?«
Ich schüttelte den Kopf, raffte all meinen Mut zusammen und erzählte Marc, was ich in der vergangenen Nacht erlebt hatte. Zu meiner Überraschung hörte er mir wortlos zu, und er sagte auch nichts, als ich fertig war, sondern nahm sich nur meinen Bericht und begann gedankenverloren darin zu blättern.
»Also«, sagte ich. »Jetzt geh zum Telefon und ruf die Jungs mit den weißen Jacken.«
Marc lachte nicht. »Warum sollte ich?«
»Soll das heißen, du ... glaubst mir?« fragte ich zögernd.
»Du meinst diese Geschichte von dem Schw ...« Er verbesserte sich. »Die Geschichte, die die Hills erzählt haben? Nein.«
»Du hast diese Leute nicht erlebt. Sie haben nicht gelogen.«
»Zweifellos«, antwortete er. »Ich bin sicher, sie haben irgendetwas gesehen.«
»Einen Wetterballon, wie?« fragte ich spöttisch.
»Ein Testflugzeug«, erwiderte Marc ernst. »Irgendein geheimes Projekt der Air Force. Die White Mountains sind ein beliebtes Testgelände für die Air Force. Nur wenige Menschen, keine stark befahrenen Highways. Vielleicht haben sie irgendeine neue Waffe getestet - was weiß ich!«
»Und diese Männer?«
»Die aus dem Helikopter? Die Männer, die dein Band gestohlen und dich zusammengeschlagen haben?«
»Du glaubst mir nicht«, sagte ich. »Aber ich sage die Wahrheit. Sie haben gedroht, mich umzubringen. Und sie meinten es verdammt ernst.«
»Sie wollten dir einen kleinen Schrecken einjagen«, antwortete Marc.
»Das ist ihnen gelungen!«
»Ja, und wenn du jetzt anfängst, diesen UFO-Unsinn herumzuerzählen, dann müssen sie sich nicht einmal mehr die Mühe machen, dich weiter zu erschrecken«, sagte Marc. »Dann hört dir nämlich sowieso niemand mehr zu.« Er schwieg einen Moment, dann fragte er: »Hast du schon einmal von den Black Hawks gehört?«
»Was soll das sein?« fragte ich. »Eine Football-Mannschaft?«
»Ein Sammelbegriff für gewisse Projekte des Militärs, die in keinem Bericht und keinem Budget auftauchen«, antwortete er. »Niemand gibt zu, dass es sie gibt, aber natürlich weiß jedermann, dass sie doch existieren. Diese Leute brauchen natürlich immer Geld.«
»Worauf willst du hinaus?«
Marc hob die Schultern. »Die Suche nach etwas, das gar nicht existiert, kann eine hübsche Stange Geld verschlingen«, sagte er. »Man könnte schon den einen oder anderen Dollar abzweigen, denke ich.«
»Und?« Natürlich war mir längst klar, worauf er hinaus wollte. Die Erklärung klang logisch. Aber irgendetwas sagte mir, dass es nicht so war.
Simonson zuckte abermals mit den Schultern und setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Moment wurde die Tür unsanft aufgerissen, und Pratt erschien in der Tür. Wie üblich schien er in Eile zu sein, und wie immer hatte er ausgesprochen schlechte Laune. Und wie ebenfalls üblich würdigte er mich keines Blickes, sondern wandte sich direkt und in unwirschem Ton an Marc.
»Simonson! Was, zum Teufel, tun Sie hier? Ich brauche die Unterlagen für das Zehn-Uhr-Meeting!«
»Entschuldigen Sie, Mister Pratt«, antwortete Marc. Im Stillen bewunderte ich die Schnelligkeit, mit der er umschaltete. »Loengard und ich haben über seine gestrige Reise gesprochen.«
Pratt nahm nun doch Notiz von mir. Zwei oder drei Sekunden lang sah er mich auf eine Art an, als müsse er überlegen, wer ich war und wo er mich schon einmal gesehen hatte, dann nickte er. »Ah ja - die Blue Books. Wie weit sind Sie?«
Ich wollte antworten, doch Marc kam mir zuvor. »Er ist fast fertig. Wir müssen noch ein paar Einzelheiten besprechen, aber es wird nicht mehr lange dauern.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Pratt übellaunig. »Und machen Sie es knapp. Ich habe keine Lust, ein vierstündiges Referat zu halten.«
Er ging, ohne sich zu verabschieden. Marc folgte ihm bis zur Tür, schloss sie jedoch dann hinter ihm und wandte sich noch einmal zu mir um.
»Und was machen wir jetzt damit?« fragte ich mit einer Geste auf den Bericht, der noch immer auf dem Tisch lag.
»Wir machen gar nichts«, antwortete Marc betont.
»Du hast gehört, was er gesagt hat. Er will den Bericht haben. Was, zum Teufel, soll ich tun?«
»Vor allem die Nerven behalten«, antwortete Marc. »Und zu niemandem darüber reden. Begreifst du eigentlich, worauf du da gestoßen bist?«
»Nicht ganz«, gestand ich.
»Das ist unsere Chance!« antwortete Marc ernst. »Wenn wir diese Black-Hawk-Geschichte beweisen können, dann haben wir beide eine ziemlich steile Karriere vor uns, John.«
»Oder ein ziemlich schnelles Ende.«
Simonson machte eine wegwerfende Handbewegung. Und warum auch nicht? Ihm hatte schließlich niemand eine Pistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt. »Sie bluffen«, behauptete er. »Diese Kerle gehen weit, aber nicht so weit, glaub mir. Aber stell dir doch vor, wie wir beide dastehen, wenn wir diese Burschen auffliegen lassen!«
In seiner Stimme war eine Begeisterung, die mir nicht gefiel. Nicht im Mindesten. Marc hatte Blut geleckt, das war nicht zu übersehen. Ich war ziemlich sicher, dass er auf der falschen Spur war. Aber das war ich vielleicht auch. Und immerhin - ich hatte etwas erreicht, wovon ich vor einer halben Stunde noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte: Ich hatte einen Verbündeten gefunden.
Weihnachten kam und ging, wurde von Silvester abgelöst und ging in den Januar über. Und ich verwandelte mich in einen Besessenen. Zusammen mit Marc hatte ich meinen Bericht so umgeschrieben, dass ich mir damit vermutlich keinen weiteren Hausbesuch einhandeln würde, aber er Pratts Erwartungen gerade so wenig nicht entsprach, dass er meinen Auftrag um weitere drei Monate verlängerte. Ich hütete mich, danach zu fragen, aber ich war ziemlich sicher, dass Marc seine Finger dabei im Spiel hatte.