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Als es begann, war ich ein junger Mann, der glaubte, die Welt aus den Angeln heben zu können und alles zu wissen. Nun, wo es bald endet, bin ich ein alter Mann, der weiß, dass die Welt vielleicht wirklich kurz davor steht, über uns allen zusammenzustürzen, und der trotz allem noch immer so gut wie nichts weiß ...

Kimberley und ich erreichten Washington D.C. in den frühen Morgenstunden des dritten Oktober 1961. Trotz all der Zeit, die seither vergangen ist, erinnere ich mich so gut an jenen Tag, als wäre es gestern gewesen. Vielleicht, weil es nicht nur der erste Tag unseres neuen gemeinsamen Lebens war, sondern auch zugleich der letzte Tag unserer Jugend, der unwiderruflich letzte Tag, an dem wir noch unschuldig und vor allem unwissend waren, und der so unendlich kostbaren Illusion erlagen, die schlimmsten Bedrohungen, denen wir uns gegenübersehen konnten, wären russische Atomraketen, das Finanzamt und Geschwindigkeitskontrollen auf dem Highway.

Was letzteres anging, so hatten wir allerdings in den vergangenen vier Tagen nichts zu befürchten gehabt. Der altersschwache Chevy, mit dem Kim und ich uns auf die annähernd tausend Meilen lange Reise nach Washington gemacht hatten, hatte seine liebe Mühe, die erlaubten fünfundfünfzig Meilen Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, und ich hatte mich gehütet, den Wagen übermäßig zu strapazieren. Unsere Reisekasse hätte eine größere Reparatur ebenso wenig verkraftet wie unser Terminplan eine längere Verzögerung. Beides war knapp kalkuliert; nicht aufs Äußerste, aber eng.

Dieser Tag jedoch gehörte noch ganz allein uns.

Wir hatten in einem kleinen Motel fünfzig Meilen vor der Stadt übernachtet, vor Sonnenaufgang gefrühstückt und waren mit dem ersten Grau der Dämmerung aufgebrochen. Weder Kimberley noch ich waren am vergangenen Abend besonders müde gewesen, aber keinem von uns war es in den Sinn gekommen, die letzten fünfzig Meilen - selbst mit dem altersschwachen Chevy kaum anderthalb Stunden - noch durchzufahren und in der Stadt zu übernachten. In Washington anzukommen, bedeutete für uns beide, in der Morgendämmerung auf dem Highway hereinzurollen wie in den unendlich vielen Filmszenen, die den triumphalen Einzug in eine Stadt romantisch verklärten.

Natürlich war diese Vorstellung naiv. Sie war durch und durch romantisch, sie war ein bisschen kindisch, und sie war eindeutig mehr als ein bisschen kitschig - kurz: Dieser Tag wurde zu einem der wunderbarsten, die Kim und ich zusammen verbracht hatten.

Wir absolvierten das ganze Programm: das Weiße Haus, Capitol Hill, Washington Memorial ... Sie können die Strecke, die wir damals abfuhren, noch heute in jedem Zwei-Dollar-Reiseführer nachlesen, oder sie auch für fünf Dollar auf einer Sightseeing-Tour nachvollziehen. Natürlich machten wir auch das obligate Foto auf den Stufen des Capitol Hills. Es steht noch heute auf dem Kaminsims in meinem Arbeitszimmer, ein vergilbtes, nicht ganz scharfes Foto in jenen leicht braunstichigen Farben, die typisch für die ersten Kodak-Farbfilme waren, und das ein junges Paar Anfang der Zwanziger zeigt, das Arm in Arm dasteht und mit seinem fröhlichen Lächeln die ganze Welt herauszufordern scheint. In Wahrheit lächelten wir nur dem Passanten zu, dem ich meine Kamera in die Hand gedrückt und ihn gebeten hatte, ein Foto von uns zu machen. Aber es ist ein hübscher Gedanke. Wenn man zwanzig ist, hat man keinerlei Bedenken, die ganze Welt herauszufordern.

Natürlich erwartet man auch nicht, dass die Welt diese Herausforderung annehmen könnte.

Die einzige Herausforderung, der wir an diesem Tag mit gemischten Gefühlen entgegensahen, war die, ein Dach über dem Kopf zu finden. Man darf nicht vergessen, dass die sechziger Jahre mit ihrer liberalen Lebensweise gerade erst begonnen hatten. Die Beatles tourten bereits durch Europa, aber ihre Texte hatten gerade erst begonnen, ihre Saat in die Köpfe einer Generation zu pflanzen, die in frühestens zehn Jahren das Sagen haben würde, und Woodstock war noch ein bedeutungsloser Fleck auf der Landkarte. Und Kim und ich waren nicht verheiratet.

Damals war das ein Problem; weniger für uns, aber durchaus für die ersten drei Hausmeister, bei denen wir vorstellig wurden, um uns eine Wohnung anzusehen. Zu den wenigen Einzelheiten dieses dritten Oktobers, die ich vergessen habe, gehörten die fadenscheinigen Ausreden, mit denen die Wohnungen, die noch am Morgen als zu vermieten in der Zeitung gestanden hatten, nun doch nicht mehr frei waren.

Schließlich aber endete dieser Tag, wie er begonnen hatte: Mit dem ersten wirklich klaren Licht der Sonne waren wir in Washington angekommen, mit dem letzten hellen Sonnenlicht traten wir hinter einem knapp fünfzigjährigen, leicht übergewichtigen Italo-Amerikaner mit einem gutmütigen Lächeln in ein möbliertes Drei-Zimmer-Apartment, das für die nächsten zwei Jahre unser Zuhause werden sollte.

»Es ist nicht direkt das Capitol«, sagte Minetti mit einem entschuldigenden Achselzucken, »aber Sie haben zumindest einen Blick darauf. Wenigstens manchmal ... wenn das Gartenamt jemanden schickt, der die Bäume stutzt.«

Kim und ich tauschten einen fragenden Blick. Das Wohnzimmer hatte nur ein einziges, allerdings sehr großes Fenster, das tatsächlich nach Norden und damit zum Capitol hinausging. Offensichtlich war das Gartenamt gerade dagewesen, denn in den länger werdenden Schatten des Tages blitzte das strahlende Weiß der Kuppel des Kongressgebäudes durch die Baumwipfel.

»Gefällt es Ihnen?« Minetti machte einen Schritt zur Seite und wedelte auffordernd mit der Hand. Kim und ich waren unter der Tür stehen geblieben, und offensichtlich deutete er unser Zögern falsch. Kimberley überwand ihre Hemmung als Erste. Sie trat mit zwei schnellen Schritten an Minetti vorbei bis in die Mitte des Zimmers, drehte sich anderthalbmal um ihre Achse, und als sie mich danach ansah und ich das glückliche Funkeln in ihren Augen erblickte, wusste ich, dass die Entscheidung gefallen war. Das Apartment war weitaus kleiner, als wir es uns vorgestellt hatten. Die Einrichtung war noch nicht schäbig, stand aber dicht an der Grenze dazu, und die Miete überstieg eindeutig unseren Etat - aber Kim hatte ihr Zuhause gefunden.

»Doch, sicher«, sagte ich hastig. »Es ist nur ...«

»Wenn es um die Miete geht, da kann ich nichts machen«, sagte Minetti. Das Bedauern in seiner Stimme klang echt. »Das Haus gehört mir nicht, wissen Sie? Ich verwalte es nur. Wenn Sie mich fragen, ist die Wohnung viel zu teuer. Das ist wohl auch der Grund, aus dem sie schon so lange leer steht. Ich könnte verstehen, wenn Sie sie nicht wollen.«