Ich sah nicht einmal in ihre Richtung, aber ich konnte Kims Blicke deutlich spüren. »O nein, Mister Minetti. Die Miete ist vollkommen in Ordnung. Es ist nur ...«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, unterbrach mich Minetti. »Ich lasse Sie und Ihre entzückende Verlobte einen Moment allein, und Sie können sich die Wohnung in aller Ruhe ansehen. Wenn Sie möchten, bereite ich schon einmal die Papiere vor. Welche Namen darf ich in den Mietvertrag einsetzen? Mister ...?«
»Loengard«, antwortete ich überrascht. »John Loengard.«
»John.« Minetti nickte. »Und Misses ...?«
»Sayers«, sagte Kim. »Kimberley Sayers.«
»Kim und John. Das klingt gut, finde ich.« Minetti blinzelte Kim zu, drehte sich herum und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Kim und ich blieben einen Moment lang vollkommen fassungslos zurück.
»Was ... war das?« murmelte ich.
»Ich glaube, wir haben gerade eine Wohnung gefunden«, antwortete Kim. Sie klang mindestens so überrascht wie ich, aber wie meistens überwand sie ihre Überraschung schneller. Noch bevor ich etwas sagen konnte, fiel sie mir um den Hals, wirbelte mich herum und küsste mich so stürmisch, dass ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte.
»Eine Wohnung«, jubelte sie. »Unser erstes eigenes Zuhause! Und ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben!«
»He, he, Moment! Nicht so schnell!« Ich befreite mich mit einiger Mühe aus ihrer Umarmung und versuchte zumindest, ihr zu widersprechen; wider besseres Wissen und im Grunde nur, um das Gesicht zu wahren. »Noch habe ich nicht ja gesagt. Diese Wohnung ist winzig! Außerdem können wir sie uns nicht leisten!«
»Unsinn!« widersprach Kimberley. »Wir sparen eine Menge Geld an Vorhängen und Tapeten, weil sie so klein ist. Und ich werde mich einschränken.«
»So?« fragte ich.
»Ich gebe das Rauchen auf und werde weniger trinken«, sagte Kim mit todernster Miene. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie geraucht, und das einzige Mal, dass ich sie hatte Alkohol trinken sehen, war auf dem Abschlussball der Oberstufe gewesen. Nach dem zweiten Punsch hatte ich sie praktisch nach Hause tragen müssen.
»Und ich könnte versuchen, etwas weniger Geld für Frauen auszugeben«, fügte ich hinzu, fuhr aber praktisch sofort und in jetzt wirklich ernsthaftem Ton fort: »Im Ernst: Ich weiß nicht, ob wir sie uns leisten können. Du weißt, dass ich am Anfang noch nicht so viel verdiene.«
Kimberley zuckte mit den Schultern. »Dann bleiben dir nur zwei Möglichkeiten«, sagte sie. »Du musst entweder eine Blitzkarriere machen, oder du bittest Simonson, dich auf einen Posten zu setzen, auf dem du genug Bestechungsgelder kassieren kannst.«
Damit war die Sache entschieden. Letztlich wussten wir beide, dass wir keine andere Wohnung finden würden; nicht ohne einen Trauschein vorzuzeigen oder eine Miete zu zahlen, die zur Hälfte aus Schweigegeld bestand. Wie gesagt: Es waren die frühen Sechziger. Außerdem hatte sie zumindest in einem Punkt Recht: Wir konnten ein wenig einsparen, wenn ich morgens zu Fuß zur Arbeit ging, statt mit dem Wagen zu fahren oder die U-Bahn zu nehmen. Wenigstens in dieser Hinsicht war das Apartment ideal.
»Deine Mutter wird entsetzt sein, wenn sie uns besucht und sieht, in was für einem Loch wir hausen«, sagte ich; ein ebenso hilf- wie sinnloses Rückzugsgefecht, das schon verloren war, bevor es begonnen hatte. Ich habe Kimberley niemals etwas abschlagen können, was sie sich wirklich in den Kopf setzte. Ich schätze, niemandem ist das jemals gelungen.
»Meine Mutter wird uns nicht besuchen«, sagte sie überzeugt. »Sie würde es niemals zugeben, aber sie hasst dich aus tiefstem Herzen.«
»Weil ich mit ihrer einzigen Tochter in Sünde lebe?« fragte ich mit gespieltem Entsetzen.
»Weil du sie um eine große Hochzeitsfeier gebracht hast«, antwortete Kimberley mit ebenso perfekt gespieltem Ernst. »Du weißt doch, wie Mutter ist. Ein großes Fest. Hunderte von Gästen, eine Hochzeitstorte, Kerzen, Musik, all das ...« Sie machte eine Handbewegung, die deutlich werden ließ, dass sie diese Aufzählung noch praktisch unbegrenzt hätte fortführen können, und verdrehte die Augen. »Ich glaube, sie hat im Geist bereits angefangen, meine Hochzeitsfeier zu planen, als ich noch in den Windeln lag.«
»Und dann kommt so ein junger Schnösel wie ich, frisch von der Hochschule und ohne den mindesten Anstand, und stiehlt ihr einfach den Traum ihres Lebens«, seufzte ich. »Die arme Frau. Es wird ihr das Herz brechen.«
»Mit Sicherheit«, sagte Kimberley. »Das Einzige, was ihr noch die Kraft zum Weiterleben gibt, ist die Hoffnung, dass wir doch noch heiraten.«
»Das werden wir«, versprach ich.
Kimberley blinzelte. »Wann?«
»Sobald ich Gouverneur bin. Spätestens, wenn ich für das Amt des Präsidenten kandidiere. Du weißt, die Leute sind altmodisch. Einen Präsidenten, der mit einer Frau zusammenlebt, ohne mit ihr verheiratet zu sein, würden sie niemals wählen. Du wirst dich also noch zwei oder drei Jahre gedulden müssen.«
»So lange?«
»Du erwartest doch nicht von mir, dass ich gegen Kennedy antrete?« sagte ich. »Ich bitte dich, Schatz. Der Mann hat Familie! Das kann ich ihm auf keinen Fall antun!«
Und das war der Moment, in dem wir beide mit unserer Beherrschung am Ende waren. Lauthals lachend fielen wir uns in die Arme, küssten uns, lachten wieder, kicherten und alberten so lautstark und ausgelassen herum wie zwei Kinder, die von ihren Eltern zum ersten Mal in ein Sommercamp geschickt worden waren.
So weit ich mich erinnere, war es das letzte Mal für sehr, sehr lange Zeit, dass einer von uns so ausgelassen und fröhlich lachen konnte.
Vielleicht sogar für immer.
Man sagt, jeder Mensch sei seines eigenen Glückes Schmied. Ich habe nie viel von solchen »Volksweisheiten« gehalten, aber wenn sie stimmt, so gilt sie vermutlich auch anders herum: Jeder ist seines eigenen Unglückes Schmied. In den nächsten beiden Wochen jedenfalls begann ich allmählich an diese Version zu glauben.
Kim und ich waren natürlich nicht unglücklich; jedenfalls nicht so sehr, dass wir es uns selbst gegenüber - oder gar dem jeweils anderen - zugegeben hätten. Ganz im Gegenteil. Der Vorrat an Euphorie, den wir uns in dem guten halben Jahr zugelegt hatten, das zwischen unserem Entschluss nach Washington zu gehen und unserem tatsächlichen Aufbruch vergangen war, war so groß, dass wir vermutlich dann noch optimistisch in die Zukunft geblickt hätten, wenn uns der Himmel auf den Kopf gefallen wäre.
Jedenfalls abends und an den Wochenenden, in den wenigen Stunden, die wir für uns hatten.
Die Wirklichkeit sah leider etwas ernüchternder aus.
Kim und ich hatten unseren Umzug nach Washington sorgfältig geplant. Wir waren jung, wir waren optimistisch, und natürlich waren wir begeisterte Anhänger des Kennedy-Clans und vor allem des Geistes, den John F. und Bobby verkörperten. Wir waren schon während unserer College-Zeit in die New Frontier eingetreten, und die Jahre, in denen wir - unentgeltlich, dafür aber mit um so größerer Begeisterung - Plakate geklebt, Flugblätter verteilt, Spruchbänder geschwenkt und Klappstühle in Turnhallen aufgestellt hatten, zahlten sich am Ende doch aus: Kim hatte einen Job im Washingtoner Büro von Women's Lib. bekommen. Eigentlich nichts Besonderes - wenn ich den euphorischen Klang ihrer Stimme außer Acht ließ, in dem sie von ihrer Arbeit erzählte, und nicht vergaß, dass das begeisterte Leuchten in ihren Augen eher ein Kredit war, den sie auf die Zukunft aufgenommen hatte, dann blieb wenig mehr als ein ganz normaler Bürojob übrig: Telefon, Ablage, und dazwischen Briefe auf einer Schreibmaschine tippen, von der sie argwöhnte, dass sie noch auf der MAYFLOWER mit ins Land gekommen war. Das Ganze natürlich im Dienste einer guten Sache, dafür aber für etwas weniger als die Hälfte der Summe, die dieser Job in der freien Wirtschaft eingebracht hätte. Alles konnte man schließlich nicht haben.