Statt zu antworten ging Bach mit schnellen Schritten an mir vorbei und schaltete den Fernseher aus. Als er sich wieder zu mir herumdrehte, hatte er seine Selbstbeherrschung komplett wiedergefunden. Er trug jetzt weder seine Navy-Uniform noch einen der schlichten dunklen Anzüge, in denen ich ihn kannte, sondern nur Jeans und ein geripptes Unterhemd, aber das machte ihn nicht weniger beeindruckend. Er hätte vermutlich auch noch Autorität ausgestrahlt, hätte er in langen Unterhosen und Ringelsöckchen vor mir gestanden.
»Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, hierherzukommen, John«, sagte er ruhig. »Ich schätze es nicht, in meiner Freizeit gestört zu werden. Ich habe sehr wenig davon.«
»Wie können Sie das zulassen?« fragte ich mit einer Kopfbewegung auf den ausgeschalteten Fernseher. »Nach allem, was vorgeht?«
»Was?« fragte Bach. »Reden Sie nicht in Rätseln, Mann!«
»Kuba«, antwortete ich. »Kennedy hat eine Blockade verhängt?«
»Nachdem Chruschtschow ein halbes Dutzend Atomraketen dort stationiert hat, ja«, antwortete Bach gelassen. »Was erwarten Sie denn, John? Dass er den Russen auch noch Transportflugzeuge zur Verfügung stellt?«
»Aber das ist Wahnsinn!« protestierte ich. »Die Situation wird eskalieren, wenn die Russen stur bleiben!«
Bach sah mich für die Dauer eines Atemzuges nachdenklich an. Dann schüttelte er den Kopf, ging zum Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Er nahm einen tiefen Zug, ehe er antwortete.
»Vielleicht sind Sie doch kein so guter Agent, wie Sie zu glauben scheinen, John. Oder ich kein so guter Lehrer. Sonst wüssten Sie nämlich, dass der Präsident bereits eine Spezialeinheit der Marine in Alarmbereitschaft versetzt hat, um eine Landung auf Kuba durchzuführen. Wir werden Chruschtschow seine Missiles in Geschenkpapier verpackt zurückschicken - zusammen mit ein paar von Castros Zigarren.«
»Das bedeutet Krieg«, sagte ich.
Bach zuckte die Achseln. »Nur, wenn die Russen stur bleiben. Ich glaube nicht, dass sie dieses Risiko eingehen.«
»Und wenn doch?«
Bachs Achselzucken wiederholte sich. »Kennedy wird jedenfalls nicht nachgeben«, sagte er. »Aber das ist immer noch keine Antwort auf meine Frage: Was, zum Teufel, tun Sie hier, John?«
Bach sah mich an, schwieg.
»Majestic«, fuhr ich fort. »Er hat keine Ahnung, dass es existiert, und er weiß auch nichts von Roswell und allen anderen. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat keine Ahnung, was vor sich geht.«
»Präsidenten kommen und gehen«, sagte Bach. »Kennedy ist ein guter Mann, aber für meinen Geschmack ein wenig zu redselig.«
Ich hätte nicht einmal mehr erschrocken sein dürfen, aber ich war es. Nein, nicht erschrocken. Ich war empört.
»Er weiß es nicht«, sagte ich. »Ebenso wenig wie Chruschtschow. Die beiden würden einen solchen Wahnsinn nie anfangen, wenn sie wüssten, was vor sich geht.«
»Vielleicht nicht«, antwortete Bach. »Vielleicht schon. Eine gemeinsame Bedrohung macht aus Feinden nicht zwangsläufig Freunde, wissen Sie?«
Ich starrte ihn eine Sekunde lang an, und dann machte es deutlich hörbar Klick hinter meiner Stirn. »Sie wollen es gar nicht, nicht wahr?« fragte ich. »Das ist es, was Sie wirklich wollen, Bach. Die wirkliche Bestimmung von Majestic! Sie wollen die Technologie der Grauen für sich. Nicht für Amerika. Für Majestic.«
Bach zog an seiner Zigarette. Seine Augen wurden schmal, und seine linke Hand glitt in einer unerwarteten Geste zur Brust und strich über den rechteckigen Anhänger, der an seinem Hals hing. »Sie sind betrunken«, sagte er plötzlich.
»Das stimmt«, gestand ich unumwunden. »Gerade genug, um den Mut für diese Worte zu haben. Aber nicht so sehr, dass ich nicht begreife, was hier vor sich geht.«
»Und was geht hier vor - Ihrer Meinung nach?« fragte Bach ruhig.
»Die Welt steuert auf eine Katastrophe zu, Sie ... Sie größenwahnsinniger Irrer!« schrie ich. »Und Sie haben die Möglichkeit, sie daran zu hindern! Sagen Sie es ihnen! Rufen Sie Kennedy an und erzählen Sie ihm die Wahrheit! Zeigen Sie ihm die Leichen der Grauen und das UFO-Wrack, das Sie irgendwo versteckt haben!«
»Ist das alles?« fragte Bach. Er wirkte äußerlich noch immer ganz ruhig, beinahe schon gefährlich ruhig. Aber seine Finger strichen weiter nervös über das Amulett an seinem Hals.
»Sie, Sie müssen es ihm sagen!« fuhr ich fort, noch immer erregt, aber jetzt nicht mehr schreiend. »Verdammt, Bach, wenn nicht Sie, wer sollte dann wissen, dass die Zeit vorbei ist, in der wir auf dieser Welt so tun können, als wären wir allein? Sie müssen es Kennedy sagen, und er muss es Chruschtschow sagen! Wir sind nicht mehr allein auf dieser Welt! Wir haben einen neuen Feind, und wir können ihn nur gemeinsam besiegen!«
Bach sah mich ruhig an. »Sind Sie jetzt fertig, John?«
»Heißt das, dass Sie es nicht tun werden?« fragte ich.
»Der Präsident weiß, was er wissen muss«, antwortete Bach kühl. »Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
»Sie ...«
»Sie sollten jetzt gehen John«, unterbrach mich Bach. »Ich werde dieses Gespräch vergessen. Sie sind erregt, und nach dem, was heute Abend passiert ist, kann ich das sogar verstehen. Aber machen Sie keine schlechte Angewohnheit daraus. Ich bin kein sehr großmütiger Mensch, wie Sie wissen.«
»Sie verstehen gar nichts!« antwortete ich bitter. »Mein Gott, Bach, Sie ... Sie glauben wirklich, Sie hätten das Recht, Gott zu spielen, wie?«
»Nein«, antwortete Bach. »Sie?«
»Ich werde da nicht länger mitspielen«, sagte ich. »Der Präsident wird erfahren, was vorgeht.«
»Nur zu«, sagte Bach. »Gehen Sie zu ihm und erzählen Sie ihm, was Sie wissen. Ich bin sicher, er wird herzhaft lachen.«
»Vielleicht auch nicht.«
Bach schüttelte den Kopf. Er blieb immer noch ganz ruhig. »Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie Ihren Rausch aus, John«, sagte er. »Wir reden morgen weiter, wenn Sie sich beruhigt haben.«
Es hätte noch so viel gegeben, was ich sagen wollte. Was ich ihm sagen musste. Aber ich spürte auch, dass ich den Bogen bereits überspannt hatte. Bach hatte wenigstens in einem Punkt die Wahrheit gesagt: Er war kein besonders großmütiger Mensch. So starrte ich ihn nur noch einen Moment lang wütend an, dann fuhr ich auf dem Absatz herum und ging. Als ich die Tür hinter mir zuzog, rief Bach mir noch nach:
»Und kommen Sie nie wieder hierher, John.«
Mitternacht war vorbei, als ich nach Hause kam. Ich hatte mich nicht wieder verfahren, aber ich hatte auch nicht den direkten Weg nach Hause gewählt, sondern ganz bewusst einen Umweg gemacht und auch noch einen Zwischenstopp in einem kleinen Imbiss eingelegt, um zwei Tassen starken Kaffee zu trinken. Ich brauchte einfach Zeit, um mich zu beruhigen - und so ganz nebenbei hatte ich weder Lust, den Rest der Nacht auf einer Polizeiwache zu verbringen, noch, meinen Führerschein zu verlieren.
Trotzdem war ich nach der zweiten Tasse Kaffee nicht mehr ganz sicher, ob es nicht klüger gewesen wäre, mit Scotch weiter zu machen. Ich wurde langsam wieder nüchtern, und im gleichen Maße wurde mir auch klar, dass ich schon wieder einen Fehler gemacht hatte.
Diesmal vielleicht einen zu viel.
Ich hatte die Beherrschung verloren, und vor allem: Ich hatte Bach bedroht. Und Frank Bach war kein Mensch, der sich ungestraft bedrohen ließ. Auch nicht von mir. Er hatte zwar gesagt, dass er unser Gespräch vergessen würde, aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Es würde Konsequenzen für mich haben. Vielleicht nicht direkt. Bach würde sich keine Strafe für mich einfallen lassen, aber er würde mich in Zukunft mit Sicherheit sehr viel aufmerksamer im Auge behalten. Und das war im Moment so ziemlich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.
Nicht bei dem, was ich vorhatte.
Ich hatte nicht nur heute einen Fehler begangen. Seit Monaten schien alles, was ich tat, nur noch aus einer Aneinanderreihung von Fehlern und falschen Entscheidungen zu bestehen. Und die schlimmsten von allen würde ich jetzt rückgängig machen. Ich würde tun, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen, und Kimberley endlich die ganze Geschichte erzählen. Noch in dieser Nacht.