»Aufhören!« wimmerte sie immer wieder. »Mach, dass es aufhört!«
Wimmernd vor Schmerz streckte sie die linke Hand nach der Lichtkugel aus, dem Licht, in dem alle Antworten waren.
»Nein!« schrie ich. »Kim! Nicht!«
Ihre Hand bewegte sich weiter. Noch ein paar Zentimeter, und ihre ausgestreckten Finger würden das Licht berühren. Ich war keine zwei Schritte von ihr entfernt, aber ich wusste, dass ich sie nicht mehr rechtzeitig erreichen würde, um sie zurückzureißen.
So tat ich das Einzige, was mir spontan einfieclass="underline" Ich packte einen Stuhl, schwang ihn hoch über den Kopf und schmetterte ihn mit aller Gewalt auf die Lichtkugel.
Sie explodierte. Es gab keinen Knall, keine Hitze oder Druckwelle, aber für eine Sekunde erstrahlte das Zimmer in einem so unerträglich grellen, gleißenden Licht, als blickte ich direkt ins Herz einer explodierenden Sonne.
Schreiend taumelte ich zurück, schlug die Hände vors Gesicht und prallte gegen die Wand. Ich war blind. Vor meinen Augen tanzten flackernde Lichtpunkte, und zwei dünne Pfeile aus rot glühendem Schmerz schienen sich direkt in mein Gehirn zu bohren.
Es dauerte lange, bis ich wieder halbwegs klar sehen konnte.
Als ich die Augen öffnete, war die Lichtkugel, aber auch der Stuhl, den ich hineingeschleudert hatte, spurlos verschwunden. Bach würde mich umbringen.
Kim hatte aufgehört zu stöhnen und war halb auf die Seite gesunken. Sie hielt die Hände noch immer gegen die Schläfen gepresst, als wäre sie in dieser Haltung erstarrt und nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Aber sie zitterte am ganzen Leib, und als ich sie an den Schultern berührte, fuhr sie wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und stieß einen halblauten, kläglichen Schrei aus.
»Es ist alles in Ordnung, Schatz«, sagte ich, während ich sie an mich presste und ihr tröstend mit der Hand über das Haar strich. »Keine Angst mehr. Es ist vorbei. Es ist alles in Ordnung.«
Die Worte kamen mir selbst wie der pure Hohn vor. Alles in Ordnung? Nichts war in Ordnung, das wusste sie so gut wie ich.
»Was ist passiert?« fragte ich. »Erzähl es mir. Was wollte er von dir?«
»In meinem Kopf«, flüsterte Kim. Sie schluchzte so heftig, dass ich alle Mühe hatte, die Worte überhaupt zu verstehen. »Es ist ... in meinem Kopf, John.«
»Du meinst Pratt«, vermutete ich. »Er ist ... irgendwie in deine Gedanken eingedrungen, nicht wahr. Aber keine Sorge. Er kann dir nichts mehr tun. Er ist tot.«
»Nicht Pratt«, antwortete Kim. »Es. Es ist in meinem Kopf, John. Es ... es bewegt sich. Es bewegt sich in meinem Kopf!«
Ich starrte sie an; zwei, drei, fünf Sekunden, aber es verging noch einmal dieselbe Zeitspanne, bis ich endlich begriff, was ihre Worte wirklich bedeuteten.
Es bewegt sich in meinem Kopf, John!
Es waren nicht Pratts Gedanken gewesen, die sie spürte.
Kimberley war von einem Ganglion besessen.
Doktor Hertzog schien zu jenen seltenen Menschen zu gehören, die keine Nachrichten hörten, denn als ich zwanzig Minuten später mit beiden Fäusten gegen seine Haustür hämmerte, dauerte es eine geraume Weile, bis hinter einem Fenster im ersten Stock ein trübes Licht aufflammte, und dann noch einmal endlose, quälende Sekunden, bis sich schlurfende Schritte der Tür näherten. Jemand lugte durch den Spion, dann hörte ich das Klirren von mindestens zwei Sicherheitsketten und die Tür wurde geöffnet. Ich hatte Hertzog wirklich aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Sein Gesicht war mindestens genauso zerknittert wie der alte Pyjama, den er trug, und ganz wach schien er noch nicht zu sein, denn er blinzelte mich eine Sekunde lang verständnislos an, ehe er fragte: »John?«
»Ich brauche Ihre Hilfe, Doc«, sagte ich. »Jetzt gleich.«
Ich konnte regelrecht sehen, wie etwas hinter Hertzogs Stirn Klick machte und er den Rest seiner Benommenheit schlagartig abschüttelte. Vielleicht war es der Arzt in ihm, der den alarmierten Tonfall in meiner Stimme richtig deutete. Seine Müdigkeit war von einem Sekundenbruchteil zum anderen wie weggeblasen.
»Was ist passiert?« fragte er. »Sind Sie verletzt?«
»Kim«, antwortete ich mit einer Geste zum Wagen zurück. Kimberley saß auf dem Beifahrersitz und starrte blicklos geradeaus. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte ich sehen, wie totenbleich sie war. »Sie müssen uns begleiten. Wir müssen sie zu Majestic bringen.«
Hertzog blinzelte. »Majestic? Was ist passiert, verdammt noch mal?« Er wirkte mit einem Male sehr wach.
»Sie haben Sie«, sagte ich. »Sie ist von einem Ganglion besessen.«
Hertzogs Gesicht, ohnehin nicht viel dunkler als sein Schlafanzug, verlor noch mehr an Farbe. »Sind Sie sicher?«
»Hundertprozentig«, antwortete ich. »Kommen Sie, Doc. Wir müssen zu Majestic! Das Mittel, von dem Sie mir erzählt haben ...«
»Das ist unmöglich«, antwortete Hertzog.
Ich ignorierte ihn und wedelte ungeduldig mit beiden Händen. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, Doc. Ich weiß, dass das Zeug noch nie getestet wurde, aber wir haben keine Wahl!« Ich versuchte, ihn an den Schultern zu ergreifen, aber Hertzog entwand sich mit einer erstaunlich schnellen Bewegung und wich gleichzeitig einen Schritt zurück.
»Sie verstehen mich nicht, John«, sagte er ernst. »Wenn wir Ihre Freundin zu Majestic bringen, dann bedeutet das ihren Tod.«
»Wie?«
»Ich habe ganz klare Anweisungen«, antwortete Hertzog. »Das Sammeln lebender Exemplare hat im Moment allerhöchste Priorität. Wenn ich sie ins Labor bringe, muss ich sie operieren.«
»Operieren?« Ich starrte ihn an. »Sie meinen, Sie wollen ... das Ding aus ihr herausschneiden?«
»Ich will nicht, ich muss«, sagte Hertzog. Seine Stimme klang noch immer so ruhig und sachlich wie bisher, aber mit einem Mal fand ich diese Sachlichkeit nicht mehr bewunderungswürdig, sondern fast abstoßend. Ich musste mich mit aller Kraft beherrschen, um ihn nicht anzuschreien.
»Diese Anordnung gilt doch nicht für Kimberley«, antwortete ich. »Sie ist meine Freundin. So gut wie meine Frau.«
»Diese Anordnung gilt sogar ganz besonders für Ihre Freundin, John«, antwortete er ruhig. »Bach war in diesem Punkt sehr deutlich.« Er lachte, aber es klang nicht besonders amüsiert. »Ihnen ist doch wohl klar, dass Mitarbeiter von Majestic und ihre Angehörigen ganz oben auf der Abschussliste unserer Freunde stehen. Ganglions, die einen von uns befallen, interessieren Bach ganz besonders.«
»Das wird er nicht tun«, murmelte ich. Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
Hertzog antwortete nicht einmal, und wozu auch? Wir beide kannten Bach gut genug.
»Dann ... dann müssen wir es hier tun.«
»Was? Sie töten?« Hertzog schüttelte heftig den Kopf. »Einmal ganz davon abgesehen, dass ich hier rein zufällig nicht über einen komplett ausgestatteten Operationssaal verfüge, würde das am Ergebnis nichts ändern. Sie wissen das, John. Ich habe mehr als zwei Dutzend Ganglions extrahiert. Keiner der Träger hat den Eingriff überlebt.«
»Ich rede nicht von einer Operation!« antwortete ich. »Was ist mit dem Mittel? Haben Sie es hier?«
»A.R.T.?« Hertzog nickte und schüttelte praktisch in der gleichen Bewegung den Kopf. »Wie lange ist es her?«
»Was? Dass sie den Ganglion bekommen hat?« Ich hatte nicht die geringste Ahnung. »Ich weiß es nicht. Ein paar Tage. Vielleicht Wochen.«
»Warum nicht gleich Monate?« Hertzog schüttelte erneut den Kopf. »Es hat keinen Sinn, John. Das Zeug ist noch nicht erfolgreich getestet. Und selbst wenn, hätte es nur innerhalb der ersten vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden Aussicht auf Erfolg. Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.«
»Das müssen Sie auch nicht«, antwortete ich. »Ich übernehme sie. Ich mache es selbst. Geben Sie mir das Zeug und erklären Sie mir genau, was ich tun muss, das ist alles, was ich von Ihnen verlange.«