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Hertzog seufzte. Es klang fast wie ein kleiner Schrei. »Bitte, John«, sagte er. »Ich kann Sie verstehen. Aber es hat keinen Sinn. Glauben Sie mir: Es gibt nichts, was ich für Kimberley tun könnte; oder sonst irgendjemand auf der Welt.«

»Geben Sie es mir!« verlangte ich.

Hertzog starrte mich an. »Bringen Sie mich nicht in diese Lage, John, ich bitte Sie!«

»Ich könnte Sie zwingen, Doktor«, sagte ich. »Muss ich?«

»Nein«, antwortete Hertzog. Er wirkte kein bisschen erschrocken, oder gar eingeschüchtert. Nur traurig. »Aber Sie können es nicht hier tun. Ich muss ...«

»Bach benachrichtigen, ich weiß«, unterbrach ich ihn. »Ich brauche das Mittel und fünf Minuten Vorsprung, mehr nicht.«

»Warum quälen Sie sich so, John?« fragte Hertzog. Er deutete auf den Wagen. »Und sie?«

Als ich nicht antwortete, drehte er sich achselzuckend herum und verschwand im Haus. Er kehrte bereits nach Wenigen Augenblicken zurück und trug eine kleine, weiße Plastikflasche ohne Etikett oder irgendeine Beschriftung in der Hand. Wortlos reichte er sie mir und schloss die Tür, ohne noch ein einziges weiteres Wort zu sagen.

Ich drehte mich herum und rannte zum Wagen zurück.

Meine Frist lief.

»Was ... ist das hier?« Kimberleys Stimme zitterte. Ich wusste nicht, ob vor Kälte oder Furcht; vermutlich vor beidem. »Ich dachte wir ... wir gehen dorthin, wo du ... arbeitest. Majestic!«

»Majestic?« Ich konnte mich nicht erinnern, dieses Wort jemals in ihrer Gegenwart benutzt zu haben, und sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und einer Spur von Misstrauen an.

»Du hast es ein- oder zweimal erwähnt«, antwortete Kimberley, nickend und in fast beiläufigem Ton. Dann zog sie die Schultern hoch, rieb sich fröstelnd über die nackten Oberarme und sah sich demonstrativ in der Runde um. »Aber ich hätte es mir ... anders vorgestellt.«

In diesem Punkt konnte ich ihr nicht widersprechen. Ich meine: Sie hatte nicht den geringsten Anlass, sich Majestic irgendwie vorzustellen, denn ich war mittlerweile vollkommen sicher, dieses Wort niemals in ihrer Gegenwart benutzt zu haben.

Ich hatte das Haus schon mehrmals gesehen, während ich mit dem Wagen durch die Gegend gefahren war, mich aber nicht bewusst daran erinnert: Es war ein einstöckiges, weitläufiges Einfamilienhaus mit Doppelgarage, Pool und fast obligatorischem Vorgarten, das irgendwann einmal wirklich schön gewesen sein musste, jetzt aber dem allmählichen Verfall anheim gegeben war. Das ›zu Verkaufen‹-Schild stand schon so lange im Vorgarten, wie ich in Washington war; und vermutlich schon sehr viel länger. Mein Unterbewusstsein aber schien das Gebäude sorgsam gespeichert zu haben, vielleicht, um es später im Notfall als sicheren Unterschlupf zu benutzen, denn als ich wieder zu Kim in den Wagen stieg, fiel mir das Haus, das nur wenige Blocks entfernt war, schlagartig wieder ein.

Wir brauchten dringend einen sicheren Unterschlupf. Ich kannte weder das Haus noch irgendeinen anderen Ort, den Bach kannte - und ich zweifelte nicht daran, dass Bach jeder Ort bekannt war, den ich in den letzten drei oder vier Monaten aufgesucht hatte.

»Das ist nicht Majestic«, sagte ich. »Wir ... können nicht dorthin. Bach würde dich umbringen.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Kimberley leichthin. »Ich meine: Er ist vielleicht kein besonders liebenswerter Mensch, aber auch kein Mörder.«

Sie fuhr fort, sich mit den Handflächen die Oberarme zu massieren, als friere sie. Dabei war es hier drinnen eigentlich nicht kalt. »Lass uns nach Hause gehen, John«, bat sie.

»Das können wir nicht, Schatz«, antwortete ich leise. »Der Doc hat jetzt bestimmt schon angerufen. Ich bin sicher, dass Bachs Leute bereits nach uns suchen.«

»Sollen sie«, antwortete Kim. »Mir fehlt nichts, John. Wirklich. Ich bin nur ... ein bisschen durcheinander, das ist alles.«

»Und was ist mit dem ... Ding, das sich in deinem Kopf bewegt?« Ich zitierte sie ganz bewusst wörtlich, obwohl es mich alle Kraft kostete, die Worte auch nur auszusprechen.

»Aber das war doch nur so dahingesagt«, behauptete sie leichthin. »Vorhin als ... als Pratt in meine Gedanken eingedrungen ist. Aber du bist ja gerade noch rechtzeitig gekommen. Es ist nichts passiert. Erinnerst du dich nicht? Ich habe das Licht nicht berührt.«

»Dann spricht ja nichts dagegen, das hier zu trinken.«

Ich zog die Flasche mit dem Mittel, das Hertzog mir gegeben hatte. »Es ist vollkommen harmlos, weißt du, es bewirkt nichts anderes, als den pH-Wert in deinem Blut anzuheben. Der Doc meint, dass die Ganglions das hassen wie die Pest.«

Das war blühender Unsinn. Hertzog hatte mir absolut nichts über das Mittel erzählt, aber das konnte Kim schließlich nicht wissen. Und mir kam es auch nur auf ihre Reaktion auf diese Behauptung an, nicht auf den Wahrheitsgehalt.

Sie fiel so aus, wie ich zugleich gehofft als auch gefürchtet hatte. Sie wirkte misstrauisch, ein ganz kleines bisschen aber auch erleichtert. Nach ein paar Augenblicken schüttelte sie den Kopf. In ihrem Blick war etwas, das nicht dort hineingehörte.

»Ich glaube, ich möchte das nicht«, sagte sie. »Wer weiß, ob Hertzog die Wahrheit gesagt hat?«

Ich hatte auch Hertzogs Namen niemals erwähnt, sondern immer nur von Doc gesprochen. Selbst heute Nacht. Etwas in meinem Inneren schien sich zu einem harten Knoten zusammenzuziehen.

»Lass uns nach Hause gehen«, bat sie noch einmal. »Mir ist kalt, und ich bin sehr müde.«

»Keine Chance«, sagte ich kopfschüttelnd und hielt ihr abermals die Flasche hin. »Trink das.«

»Aber ich ...«

Ich trat ganz auf sie zu, drückte sie sanft an meine Brust und strich mit der linken Hand über ihr Haar. Kim zitterte am ganzen Leib. Ihr Atem beschleunigte sich, und ich konnte fühlen, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper anzuspannen begann.

»Kämpfe dagegen, Schatz«, flüsterte ich. »Ich weiß, es ist stark. Aber du bist stärker. Du kannst es besiegen. Ich weiß das.«

»Ich ... ich habe Angst«, flüsterte Kim. »Es ... es ist da, John. Es bewegt sich. In mir. Es ... es denkt in meinen Gedanken. Ich kann es hören.«

»Ich weiß, Liebling«, flüsterte ich. »Aber wir werden es besiegen.«

Ich trat einen Schritt zurück und hielt ihr die Flasche hin. »Trink das.«

Wieder regte sich trotziger, nicht menschlicher Widerstand in ihren Augen, aber noch war sie stärker als das Ding in ihr. Sie hob die Hand, aber sie führte die Bewegung nicht einmal ganz zu Ende, sondern starrte plötzlich ihre gespreizten Finger an.

»Ich ... kann nicht, John«, flüsterte sie. »Ich kann meine Hand nicht mehr bewegen!«

»Warte.« Ich steckte die Flasche wieder ein, sah mich suchend im Raum um und bückte mich schließlich nach der Fußleiste. Während ich an dem morschen Elektrokabel riss, das darunter zum Vorschein kam, schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Strom in diesem Haus auch wirklich abgeschaltet war.

Er war es, und das Kabel war noch morscher, als ich gehofft hatte; vielleicht sogar zu morsch für meine Zwecke. Ich riss zwei oder drei Fuß davon ab, schnappte mir im Vorbeigehen einen wackeligen Stuhl und drückte Kim mit sanfter Gewalt darauf.

»Was hast du vor, John?« fragte Kim. Ihre Stimme klang ängstlich, aber es war auch eine Spur von Feindseligkeit darin, die mich noch weiter alarmierte. Das Ding in ihr wurde stärker. Ich tat gut daran, mich zu beeilen. Wenn es erst vollkommen Gewalt über sie erlangt hatte, dann hatte ich wahrscheinlich keine Chance mehr. Ohne zu antworten, band ich ihre Handgelenke hinter der Lehne zusammen und fesselte Kim mit dem Rest des Kabels hinter dem Stuhl. Dann griff ich wieder nach der Flasche.

»Jetzt trink das!« sagte ich. »Schnell, so lange du es noch kannst.«

Sie konnte es nicht mehr. Was immer den Menschen in ihr ausgemacht hatte, war aus ihrem Blick verschwunden. Ich starrte in ein Paar dunkler, von unvorstellbarer Bosheit und einer kalten, lauernden Intelligenz erfüllter Augen.