»Lass mich gehen, John«, sagte sie.
»Du weißt genau, dass ich das nicht kann«, antwortete ich. »Es ist in dir. Du weißt das.«
»Ich kann damit leben«, beharrte Kim. »Es wird mich töten, wenn du versuchst, es aus mir herauszuholen.«
Ich hielt ihr die Flasche hin. »Trink.«
Kim starrte mich an. »Du kannst mich nicht zwingen.«
»Ich fürchte, das muss ich«, antwortete ich.
Wie sich zeigte, konnte ich es nicht. Als ich mich über sie beugen wollte, trat sie warnungslos zu. Ihr Fuß traf mich mit so grausamer Wucht, dass ich glaubte, meine Kniescheibe splittern zu hören, und der Schmerz war entsetzlich. Ich schrie vor Qual, sank auf das unverletzte Knie herab und umklammerte das andere Bein mit beiden Händen, und Kimberley trat abermals zu.
Diesmal trafen mich ihre Füße vor der Brust, schleuderten mich nach hinten und zu Boden und ließen mich quer durch den Raum schlittern.
Der Schmerz war so grausam, dass mir für einen Moment schwarz vor Augen wurde und ich das Bewusstsein zu verlieren drohte. Einzig der Gedanke, dass ich vermutlich nie wieder aufwachen würde, wenn ich jetzt in Ohnmacht fiel, hielt mich wach.
Während ich mich stöhnend auf die Seite drehte und irgendwie auf die Beine zu kommen versuchte, begann Kimberley vollends zu toben. Sie sprang mitsamt des Stuhles auf, begann schrille, unartikulierte Laute auszustoßen und zerrte mit solcher Kraft an ihren Fesseln, dass der altersschwache Stuhl jeden Moment einfach auseinander fallen musste.
Wenn das geschah, war ich so gut wie tot.
Und sie auch.
Der Gedanke gab mir noch einmal die Kraft, mit zusammengebissenen Zähnen auf sie zuzutaumeln und das Einzige zu tun, was überhaupt noch möglich war: Ich versetzte ihr einen Kinnhaken, der sie auf der Stelle das Bewusstsein verlieren ließ.
Sie erwachte zehn Minuten später, und es war das Schrecklichste, was ich bis zu diesem Moment erlebt hatte. Ich hatte sehr hart zugeschlagen, und ihr Gesicht begann langsam anzuschwellen. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, aber ich war nicht sicher, ob das von meinem Schlag kam, oder ob ich ihr diese Verletzung zugefügt hatte, als ich versuchte, ihr Hertzogs Gegenmittel einzuflößen.
Obwohl sie bewusstlos gewesen war, hatte es meine ganze Kraft gekostet. Das Ding in ihr wehrte sich noch immer. Wenn Hertzogs Mittel wirkte, dann nicht so schnell, wie es gut gewesen wäre. Kim murmelte und stöhnte ununterbrochen vor sich hin; unartikulierte, furchtbare Laute, die etwas in mir sich zusammenziehen ließen.
Was das Stöhnen anging, bildeten wir allerdings ein Duett. Der Schmerz in meinem Knie hatte nicht nachgelassen, sondern schien ganz im Gegenteil noch schlimmer geworden zu sein. Ich hatte mir eine alte Kiste herangezogen und mich ihr gegenüber darauf niedergelassen, aber nicht nur, um in ihrer Nähe zu sein. Ich war nicht vollkommen sicher, ob ich überhaupt stehen konnte.
Plötzlich hörte sie auf zu wimmern. Für einen Moment war sie fast unheimlich still, dann begann sie in regelmäßigen, fast spastisch wirkenden Bewegungen den Kopf hin und her zu werfen.
Ihre Lippen formten die gleichen, schrecklichen Geräusche, die ich schon aus Pratts Mund gehört hatte:
Klaar Si Su Haar. Klaar Si Su Haar, Klaar Si Su Haar! Immer und immer wieder diese gleichen, fürchterlichen Worte.
»Kimberley!« keuchte ich. »Kim! Hör auf!«
Sie reagierte nicht. Ihr Körper begann zu beben, dann wie in Krämpfen zu zucken. Sie schrie die Worte jetzt: Klaar Si Su Haar!
Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen: Ich versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr Kopf flog in den Nacken und blieb dort. Ihre Augen standen offen, aber für einen Moment waren sie matt und glanzlos wie die eines Toten. Aber sie hatte aufgehört, diese furchtbaren Worte auszustoßen.
Trotz der noch fast unerträglichen Schmerzen in meinem Bein sprang ich auf und zog sie an mich. »Alles in Ordnung, Liebling«, flüsterte ich. »Ich bin es, John. Es wird alles gut. Keine Angst mehr. Wir schaffen das. Wir beide zusammen werden es besiegen!«
»Bring mich nach Hause, John«, wimmerte Kim. »Ich will nicht an diesem furchtbaren Ort bleiben. Bitte bring mich nach Hause!«
Etwas in ihr bewegte sich. Es war noch nicht vorbei. Ich sprach immer noch nicht mit Kimberley, sondern mit dem Ganglion, der ihre Gedanken beherrschte. Vielleicht mehr.
»Bald, Liebling«, sagte ich. »Bald. Kämpfe dagegen. Du kannst es besiegen.«
Kimberley verlangte noch zwei- oder dreimal in fast befehlendem Ton von mir, sie nach Hause zu bringen, aber dann verlegte sie sich aufs Bitten.
»Bitte, John!« flehte sie. »Bitte bring mich nach Hause! Ich habe Angst! Ich will nicht an diesem furchtbaren Ort bleiben!«
Ihre Stimme wurde zu einem Schluchzen. Sie begann zu weinen, flehte, bettelte und bat immer verzweifelter darum, von hier fortgebracht zu werden. Jeder Schrei, jedes Flehen, trafen mich wie ein Fausthieb. Ich fühlte jedes bisschen Schmerz, das sie spürte, wie meinen eigenen. Alles in mir schrie danach, sie loszubinden, um ihrer entsetzlichen Qual ein Ende zu machen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, drehte mich mit einem Ruck herum und schlug die Hände über die Ohren, ohne ihr schreckliches Betteln und Wimmern damit aussperren zu können.
Kimberley begann zu husten. Ihre Schreie gingen in einem qualvollen Würgen unter, und dann schüttelten schlimmere Krämpfe denn je ihren Körper. Sie warf den Kopf in den Nacken, verdrehte auf schreckliche Weise die Augen und rang vergeblich nach Atem. In ihrem Hals ... bewegte sich etwas.
Blitzschnell trat ich hinter sie, drückte ihren Kopf nach vorne und versuchte verzweifelt, irgendetwas zu tun, um ihr zu helfen. Aber was?
Kim atmete immer qualvoller. Sie war dabei, zu ersticken. Plötzlich würgte sie, beugte sich so weit nach vorne, dass der Stuhl ächzte - und erbrach etwas Kleines, Schleimig-Glitzerndes, das auf einem Dutzend wirbelnder Tentakel davonzuhuschen begann.
Es war unglaublich schnell, aber ich war schneller. Mit einem einzigen Schritt setzte ich ihm nach, stampfte es mit dem Fuß in den Boden und drehte den Absatz vier-fünf-sechsmal hin und her, bis nur noch ein schmieriger, rotbrauner Fleck von dem Ganglion geblieben war.
Kimberley hatte das Bewusstsein verloren, als ich mich zu ihr herumdrehte. Aber ... sie lebte. Hastig hob ich ihr Kinn an, überzeugte mich davon, dass sie zumindest äußerlich nicht schwer verletzt war, dann löste ich ihre Fesseln und hob sie auf die Arme. Mein verletztes Bein schrie protestierend auf, aber ich spürte ihr Gewicht trotzdem kaum, als ich sie hinaus und zum Wagen trug. So behutsam ich konnte, bettete ich sie auf den Rücksitz, schloss die Tür - und sah mich Captain Bach gegenüber, als ich mich herumdrehte. Ich war nicht einmal überrascht. Vermutlich war ich einfach zu erschöpft dazu.
»Ist sie tot?« fragte er.
»Nein«, antwortete ich müde. »Sie lebt.«
Hinter Bach bewegten sich weitere Gestalten in der Dunkelheit. Als ich eine von ihnen als Hertzog identifizierte, fügte ich hinzu: »Ihr Wundermittel funktioniert, Doc.«
»Soll das heißen, es ist ... heraus?« fragte Hertzog ungläubig.
»Wo ist es?« schnappte Bach.
»Im Haus.«
Bach machte eine befehlende Geste. »Steel. Holen Sie es!«
»Aber nehmen Sie ein Glas mit«, riet ich Steel. »Und eine ganz feine Pipette.«
Steel sah mich irritiert an, aber dann wiederholte Bach seine befehlende Geste, und Steel verschwand mit schnellen Schritten im Haus.
»Sie haben es tatsächlich geschafft«, sagte Bach. Er zündete sich eine Zigarette an und schnippte das Streichholz zu Boden. »Das freut mich für Sie. Und ganz besonders natürlich für Kimberley. Trotzdem ... Sie hätten zu mir kommen sollen, John.«
»Hätten Sie mir erlaubt, das Experiment durchzuführen?« fragte ich.