»Kein Problem«, antwortete ich. »Aber was uns fehlt, ist immer noch ...«
»Ja?« machte Kim, als ich nicht weitersprach, sondern nur einen Moment lang an ihr vorbei ins Leere starrte.
»Der Beweis«, flüsterte ich. »Aber wir haben ihn! Verdammt, er war die ganze Zeit direkt vor meiner Nase, und ich habe ihn nicht einmal gesehen!«
Plötzlich war ich sehr aufgeregt. »Hör zu«, begann ich. »Es ist gefährlich, aber es könnte funktionieren. Wir müssen Folgendes tun ...«
Die nächsten Wochen waren die Hölle. Kim und ich kehrten äußerlich zu unserem normalen Leben zurück, aber uns war jede einzelne Sekunde über klar, dass wir nicht aus dem unsichtbaren Käfig entkommen waren. Bach ließ uns weiter überwachen, und wir konnten auch davon ausgehen, dass er unsere Wohnung abhören ließ, so dass wir uns angewöhnten, nur an wirklich sicheren Orten darüber zu reden: im Wagen, in Restaurants oder auf dem Bahnsteig der U-Bahn, und selbst dann nur im Hüsterton. Es war gelebte Paranoia, aber etwas sehr Seltsames geschah. Obwohl die Situation an unseren Nerven zerrte, gab sie uns gleichzeitig auch die Kraft, sie durchzustehen.
Und wir arbeiteten weiter an unserem Plan.
Bach hatte uns unmissverständlich klargemacht, dass es nur einen einzigen Weg gab, Majestic zu verlassen, nämlich als Toter, und ich begriff im Laufe der nächsten Wochen ebenso unmissverständlich, dass die Sicherheitsmaßnahmen von Majestic viel zu perfekt waren, um auch nur ein Stäubchen aus dem unterirdischen Labyrinth hinauszuschaffen. Ich konnte nicht sagen, ob sie mir vorher nur nicht so extrem aufgefallen waren, oder ob Bach mir einfach nur nicht mehr traute, aber ich ging zur Vorsicht von Letzterem aus.
Doch jedes System hat eine schwache Stelle, und wir fanden sie in Bachs Netz. Drei Tage später saßen Kim und ich zusammen im Wagen in der Straße, in der Bach wohnte, und beobachteten sein Haus. Ich war nervös, und ich hatte Angst. Keine gute Kombination.
»Bist du ganz sicher, dass du es tun willst?« fragte ich.
»Ich bin ganz sicher, dass ich es nicht tun will«, sagte Kim. »Leider steht hier nicht zur Debatte, was ich will.«
Bachs Haustür wurde geöffnet. Wir hatten den Wagen so geparkt, dass wir das Haus im Auge behalten konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Ich fuhr zwar noch in dem gleichen Wagen, mit dem wir nach Washington gekommen waren - ein Allerweltsauto, wie es ungefähr alle fünf Minuten an einem vorbeifährt - aber er war ein sehr aufmerksamer Beobachter. So rutschten wir auch beide tiefer in die Sitze, während wir zusahen, wie Bachs Frau einen Schritt aus dem Haus tat und dann ihre beiden Kinder verabschiedete, die in fünf Minuten in den Schulbus steigen würden, der unten an der Ecke hielt.
»Unglaublich, dass dieser Mann verheiratet ist und sogar Kinder hat«, murmelte Kim.
»Die hatte Dschinghis Khan auch«, antwortete ich. »Sogar ein Dutzend, glaube ich.« Ich sah auf die Uhr im Armaturenbrett. »Er müsste jetzt oben im Bad sein, wenn er sich an seinen gewohnten Rhythmus hält. Hoffentlich nimmt er das Ding nicht mit unter die Dusche. Bist du so weit?«
»Nein«, antwortete Kim. »Also, worauf warten wir noch?«
Wir stiegen aus. Kimberley bewegte sich mit langsamen Schritten auf Bachs Haus zu, während ich selbst wesentlich schneller in die entgegengesetzte Richtung ging und an der nächsten Ecke abbog. Wir hatten die Straße in den letzten beiden Tagen so gründlich in Augenschein genommen, wie es ging, und so wussten wir, dass Bachs Garten an ein unbebautes Grundstück grenzte und es nur einen niedrigen, allenfalls symbolisch gemeinten Zaun gab.
Ich brauchte zwei Minuten, um ihn zu erreichen. Kim musste mittlerweile an der Tür sein und geklingelt haben, aber ich gab ihr noch weitere dreißig Sekunden, um Bachs Frau in ein Gespräch zu verwickeln, ehe ich über den Zaun stieg und mich gebückt und sehr schnell der Rückseite des Hauses näherte. Mir war nicht wohl dabei. Mein Herz klopfte so schnell und hart, als hätte ich einen Hundert-Meter-Sprint hinter mir, und als ich die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, zögerte ich noch ein letztes Mal. Wenn ich diese Tür öffnete, dann überschritt ich mehr als nur eine Türschwelle. Bisher hatten Kim und ich nur geplant, Bach zu verraten. Trotz allem war es nicht mehr als ein Spiel gewesen.
Wenn ich dieses Haus betrat, wurde aus dem Spiel Ernst.
Aber wir waren schon viel zu weit gegangen, um jetzt noch zurück zu können.
Ich brachte die immer lauter schreiende Stimme meiner Vernunft mit einem ärgerlichen Gedanken zum Verstummen, drehte den Türknopf und registrierte erleichtert, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Ich hatte auch nicht wirklich damit gerechnet. In einer Gegend wie dieser schließen die Leute ihre Hintertüren nicht ab; wenigstens damals nicht.
Aber vielleicht hatte ich gehofft, dass sie abgeschlossen war ...
Sie war es nicht. Ich huschte hindurch, drückte die Tür lautlos wieder hinter mir ins Schloss und sah mich mit klopfendem Herzen um. Ich befand mich in einer kleinen, penibel aufgeräumten Küche, die gleich zwei weitere Türen hatte. Eine war geschlossen, die andere nur angelehnt. Gedämpfte Stimmen drangen hindurch. Eine davon identifizierte ich als die Kims.
Ich schlich hin, spähte durch den Spalt und stellte zu meinem Entsetzen fest, dass Bachs Frau an der Haustür stand und mit Kimberley sprach. Um die Treppe nach oben zu erreichen, musste ich das weitläufige Wohnzimmer nicht nur durchqueren, sondern praktisch unmittelbar an ihr vorbeigehen.
Ich hatte keine Wahl.
Mit angehaltenem Atem verließ ich die Küche, schlich durch das Wohnzimmer und näherte mich der Treppe. Ich befürchtete nicht, ich war hundertprozentig sicher, dass Bachs Frau mich bemerken musste, denn ich kam so dicht an ihr vorbei, dass sie beinahe den Luftzug hätte spüren können, den ich verursachte. Aber Kim lenkte sie perfekt ab. Das Wunder geschah. Ich erreichte die Treppe und Augenblicke später unbehelligt die erste Etage.
Mit klopfendem Herzen sah ich mich um. Es gab gleich ein halbes Dutzend Türen, die nicht nur allesamt geschlossen waren, sondern auch vollkommen identisch aussahen. Ich hatte nicht viel Zeit. Kimberley würde Bachs Frau nicht endlos hinhalten können, und so ganz nebenbei war auch noch Bach selbst hier oben.
Ich musste improvisieren.
Wenn dieses Haus so aufgeteilt war wie die meisten anderen, die ich kannte, dann war das Badezimmer entweder hinter der ersten oder der letzten Tür auf dem Flur. Ich presste das Ohr gegen die erste Tür und lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören; weder das Rauschen von Wasser noch andere Laute, die auf die Anwesenheit eines Menschen dahinter hingewiesen hätten. Also schlich ich auf Zehenspitzen über den Flur und nahm mir die letzte Tür hier oben vor. Das Ergebnis war dasselbe, doch noch bevor ich mich wieder herumdrehen konnte, wurde eine Tür hinter mir geöffnet, und Bachs Stimme schrie mir praktisch ins Ohr:
»Wer ist denn da an der Tür, Liebling?«
Mein Herz schien für einen Schlag auszusetzen. Millimeter für Millimeter drehte ich mich herum und starrte auf Bachs breiten, nackten Rücken. Er trug nur eine Pyjamahose und Badelatschen und dampfte, als käme er gerade aus der Sauna. Ich war ihm so nahe, dass ich ihm die Hand schütteln konnte, wenn er sich herumdrehte.
»Nur eine nette junge Lady von der Schulbehörde, Frank«, rief seine Frau von unten herauf. »Sie sammelt Unterschriften für eine Elterninitiative.«
»Ich komme gleich herunter«, antwortete Bach. Er machte Anstalten, ins Badezimmer zurückzutreten - wobei er mich unweigerlich gesehen hätte - zuckte dann mit den Schultern und trat ganz auf den Flur heraus. Ohne die Tür zu schliessen, ging er zu einem der anderen Räume, wobei er eine Spur feuchter Fußabdrücke auf dem Teppichboden hinterließ.