Simonson fuhr sichtlich zusammen und sah plötzlich gar nicht mehr väterlich-überlegen aus. »Noch nicht, Sir«, sagte er, »aber ...«
»Marc.« Pratt seufzte, schüttelte strafend den Kopf und begann, einen gepolsterten braunen Briefumschlag zu schwenken, den er in der rechten Hand hielt. »Ich habe hier schon wieder einen Brief dieser Leute. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen, und Sie haben hundertprozentig Recht, mit jedem Wort. Diese Leute sind eine Pest. Unglückseligerweise haben sie jedoch eine Menge Freunde, und was erschwerend hinzukommt: Einige von ihnen haben unglückseligerweise eine Menge Geld für meinen letzten Wahlkampf gespendet.« Er hob seinen Umschlag und pikste damit wie mit einer Waffe nach Simonsons Brust. »Und ich möchte, dass es so bleibt. Haben wir uns verstanden, Marc?«
Simonson nickte nervös. »Sicher, Herr Abgeordneter. Es ist nur ...«
Ich sah das warnende Funkeln in Pratts Augen und beschloss, etwas zu tun, bevor Simonson sich um Kopf und Kragen reden konnte. Pratt war für eine Menge bekannt, aber eindeutig nicht für seine Geduld. Also raffte ich all meinen Mut zusammen, nahm Pratt den Umschlag aus der Hand und sagte: »Vielleicht kann ich ja helfen.«
Simonson wurde kreidebleich, während Pratt mich geschlagene zwei Sekunden lang wortlos anstarrte - und dann zu meiner eigenen Überraschung mit den Schultern zuckte und antwortete: »Es ist mir vollkommen gleich, wer es macht, und wie. Aber schafft mir diese Aasgeier vom Hals. Ich brauche etwas, das ich ihnen zum Fraß vorwerfen kann!«
Und damit ging er.
Simonson blickte ihm vollkommen fassungslos nach, dann sog er hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein und starrte mich finster an. »Vielleicht sollte ich ein bisschen besser aufpassen, was ich sage«, grollte er. »Ganz so war das mit der Chance nicht gemeint. Du solltest sie ergreifen, nicht einem anderen aus der Hand reißen!«
Ich machte ein gebührend bedauerndes Gesicht, antwortete jedoch: »He, Marc - komm schon! Ich weiß doch, dass du in Arbeit erstickst, und ich langweile mich zu Tode!«
»Und jetzt glaubst du, du könntest mit diesem kleinen Husarenstück deiner Karriere zu einem Blitzstart verhelfen?« Simonson starrte mich noch einen weiteren Moment lang finster an. Dann schüttelte er den Kopf - und begann plötzlich leise, aber sehr herzhaft zu lachen. »Ganz wie Sie wollen, Mister Loengard. Folgen Sie mir.«
Er stieß die Pendeltür auf - ich war sicher, ganz bestimmt nicht zufällig so, dass ich alle Mühe hatte, nicht schon wieder von dem Ding getroffen zu werden - trat rasch hindurch und ging zu seinem Schreibtisch. Der Lärm des großen Büros, das wir uns mit knapp dreißig anderen »Assistenten« teilten, schlug wie eine akustische Woge über uns zusammen, schien aber zugleich auch eine beruhigende Wirkung auf Simonson auszuüben, denn als er weitersprach, war jede Spur von Unmut aus seiner Stimme verschwunden. Dafür glaubte ich schon wieder, die alte Schadenfreude in seinem Blick zu erkennen.
»Du willst also deine Chance«, sagte er. »Hast du überhaupt eine Ahnung, worauf du dich da einlässt?«
Natürlich hatte ich die nicht; nicht einmal eine Spur davon - was mich aber nicht davon abhielt, voller Enthusiasmus zu nicken.
»Also gut«, sagte er. »Es geht um Folgendes. Unser über alles geliebter Chef muss dem Rechnungshof bis Ende des Jahres ein Opfer bringen. Das Geld ist knapp, die Steuern zu hoch, und die Leute auf der Straße möchten zur Abwechslung einmal in den Zeitungen lesen, dass die Regierung Steuergelder gespart hat, statt sie zu verschwenden.« Er wedelte mit der linken Hand, grinste und deutete aus der gleichen Bewegung heraus auf den gefütterten Umschlag, den ich noch immer in beiden Händen hielt.
»Glaubst du an UFOs?« fragte er harmlos.
»UFOs?« wiederholte ich verblüfft. Offensichtlich sah man mir mein Erstaunen auch deutlich an, denn Simonson hatte plötzlich alle Mühe, nicht seine eigenen Ohrläppchen zu verschlucken, so breit wurde sein schadenfrohes Grinsen.
»UFOs«, bestätigte er. »Unidentifizierte Flugobjekte, oder auch fliegende Untertassen genannt.«
»Ich weiß«, sagte ich hastig. »Und natürlich glaube ich nicht daran.«
»Siehst du«, grinste Simonson. »Pratt auch nicht, ebenso wenig wie der überwiegende Teil der Bevölkerung. Auf der anderen Seite gibt das Militär eine Menge Geld dafür aus, nach diesen fliegenden Untertassen zu suchen. Geld, das man an anderen Stellen besser einsetzen könnte.«
»Und ich soll jetzt ...«
»Nur ein paar hieb- und stichfeste Argumente dafür finden, diesem Projekt den Geldhahn abzudrehen«, unterbrach mich Simonson. »Stell dir das nicht so leicht vor. Die Jungs von der Air Force sind vielleicht nicht sehr helle, aber sie können verdammt stur sein.«
Ich blickte ein wenig unglücklich auf den Umschlag in meinen Händen hinab. »Du meinst, ich soll herausfinden, was an diesen UFO-Meldungen wirklich dran ist?«
Simonson schüttelte den Kopf. »Du sollst Argumente finden, die dagegen sprechen«, sagte er betont. »Die Wahrheit interessiert niemanden, Pratt am allerwenigsten. Du hast ihn gehört: Er will dieses Projekt abschießen, um sich die Aasgeier vom Rechnungshof vom Hals zu schaffen. Und du wirst ihm die Munition dafür liefern. Und das Ganze in spätestens drei Monaten. Ach ja, und noch etwas.« Sein Grinsen wurde breiter, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. »Dein Bericht sollte nicht länger als maximal drei Seiten sein. Du weißt, Pratt ist ein Farmer. Er liest nicht gerne.«
Natürlich hätte ich es besser wissen müssen. Es war nicht nur das schadenfrohe Glitzern in Simonsons Augen, das mich hätte warnen sollen. Sowohl mein gesunder Menschenverstand als auch die pure Logik hätten mir sagen sollen, dass ich besser die Finger von der Sache lassen sollte. Auch ein Mann wie Simonson schenkte eine Chance auf einen plötzlichen Karriereschub nicht so einfach her, bei allem väterlichen Großmut - dazu waren sie einfach zu selten. Nicht einmal Kim hatte besonders begeistert reagiert, als ich an jenem Abend nach Hause kam und ihr freudestrahlend von meiner ersten richtigen Aufgabe berichtete. Ganz im Gegenteil. Sie hatte - vorsichtig formuliert - massive Bedenken geäußert, zum einen, weil sie befürchtete, dass mein Spezial-Auftrag mit einer Menge Reisen und somit längerer Abwesenheit von zu Hause verbunden sein könnte. Wir kannten uns zwar schon seit Jahren, waren aber noch nicht lange genug zusammen, um eine Trennung für mehr als zwei oder drei Tage ohne bleibenden seelischen Schaden überstehen zu können.
Zumindest mit ihrer zweiten Befürchtung hatte sie nur zu Recht.
Ich verbrachte in den nächsten Wochen entschieden mehr Zeit auf dem Highway, in Eisenbahnabteilen zweiter Klasse, staubigen Archiven und drittklassigen Absteigen als zu Hause. Es war eine mühselige - und vor allem frustrierende - Arbeit. Man glaubt nicht, welche Feindseligkeit und Ablehnung einem entgegenschlägt, wenn die Leute merken, dass man es auf ihr Allerheiligstes abgesehen hat: auf ihre Pfründe. Und ich nahm meine Aufgabe ernst. Ich las Dutzende von so genannten Augenzeugenberichten, durchforstete Hunderte von Zeugenaussagen und kontrollierte (jedenfalls kam es mir so vor) Tausende von Spesenabrechnungen. Es gab die üblichen, kleinen Betrügereien - ein Essen hier, ein paar Gallonen Benzin dort, die eine oder andere Hotelübernachtung, die nicht gerechtfertigt schien - aber im Grunde nichts Aufregendes. Zwei Dinge jedoch wurden mir im Laufe dieser Wochen hundertprozentig klar: der Grund, aus dem Simonson mich so schadenfroh angesehen hatte - und dass ich wirklich besser auf Kimberley gehört hätte. Was sie als Fliegender-Untertassen-Humbug bezeichnet hatte, war ganz genau das: Fliegender-Untertassen-Humbug. Meine Frist war allerdings auch fast abgelaufen. Weihnachten näherte sich mit Riesenschritten und in seinem Gefolge auch der Tag, an dem Pratt meinen Bericht auf dem Schreibtisch haben wollte. Ich hatte mittlerweile genug Material zusammen, um nicht drei, sondern dreihundert Seiten mit Argumenten füllen zu können, die es Congressman Pratt ermöglichten, im nächsten Jahr keinen Cent mehr für die Suche nach kleinen grünen Männchen vom Mars zu bewilligen.