Das Telefon klingelte. Kimberley löste sich aus meinen Armen und hob ab, wechselte aber nur ein paar Worte und hängte dann wieder ein. Ich blickte sie fragend an.
»Jeanette«, sagte sie. »Eine der Frauen aus dem Büro.« Sie lächelte nervös. »Nichts Wichtiges ... Hast du einen Anruf erwartet?«
»Sieht man mir das so deutlich an?«
»Man vielleicht nicht«, antwortete Kim. »Aber ich.«
»Kennedy sagte, dass wir einen Anruf bekommen werden«, erwiderte ich. »Heute noch.«
Kim sah auf die Uhr. »Heute ist fast vorbei. Und jetzt erzähl mir: Was war los? Wie hat der Präsident reagiert?«
Ich setzte mich, fand wenigstens teilweise zu meiner gewohnten Ruhe zurück und begann, ihr von meinem morgendlichen Treffen mit dem Bruder des Präsidenten zu berichten. Kimberley hörte schweigend zu. Sie unterbrach mich kein einziges Mal, aber ihre Gedanken spiegelten sich deutlich auf ihrem Gesicht. Auch sie wirkte erleichtert und auf die gleiche Weise enttäuscht und frustriert wie ich. Sie verlor auch hinterher kein einziges Wort darüber, doch mir war klar, dass sie, gegen jede Logik, genau wie ich tief in sich gehofft hatte, dass es irgendwie vorbei sein würde.
»Bist du enttäuscht, dass ich sein Angebot nicht angenommen habe?« fragte ich, als ich zu Ende gekommen war.
»Sein Angebot?«
»Uns in Sicherheit zu bringen. Du weißt, dass das FBI dieses ... Zeugenschutzprogramm hat ...«
»... das noch nie richtig funktioniert hat«, unterbrach mich Kimberley mit einem Kopfschütteln. »Außerdem will ich nicht den Rest meines Lebens auf der Flucht verbringen.« Sie lächelte, nicht ganz überzeugend, aber ich spürte den guten Willen dahinter, griff über den Tisch nach meiner Hand und fügte etwas leiser hinzu: »Wir stehen das durch. Immerhin haben wir den mächtigsten Mann der Welt auf unserer Seite. Was soll uns da schon passieren?«
Ich schwieg. Ihre Worte klangen zu überzeugend, und der Wunsch darin zu verzweifelt, als dass ich es fertig brachte, ihr zu widersprechen, aber ich war nicht mehr sicher, ob John F. Kennedy wirklich der mächtigste Mann der Welt war. Vielleicht war auch er letzten Endes nur eine Marionette, die nicht einmal spürte, dass sie an Fäden hing, an denen andere zogen.
Ich wollte etwas sagen, aber Kimberley brachte mich mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen, stand auf und ging in die Küche. Ich hörte sie eine Weile mit Gläsern hantieren, dann kam sie zurück und reichte mir eine Flasche Sekt.
»Haben wir einen Grund zum Feiern?« fragte ich, während ich bereits begann, den Korken zu öffnen.
»Und ob«, antwortete Kimberley aufgeräumt - eine Spur zu fröhlich, wie ich meinte. »Ich weiß nicht, wie lange ich es noch durchgehalten hätte, mir jedes Wort überlegen zu müssen, das ich ausspreche. Die letzten beiden Wochen waren ...«
Sie sprach nicht weiter, aber ich wusste, was sie meinte. Ich musste es ihr sagen. Vermutlich lief auch jetzt irgendwo, nicht weit entfernt von hier, ein Tonbandgerät, auf dem jedes einzelne Wort, das wir sprachen, jeder Laut, den wir verursachten, aufgezeichnet wurde. Und erst in diesem Moment wurde mir wirklich klar, wie klein der Unterschied war. Es spielte gar keine Rolle, ob diejenigen, die uns belauschten, uns wohlgesonnen waren oder unsere Feinde. Es waren Fremde, die in unser intimstes Privatleben eindrangen, das allein zählte. Ich setzte dazu an, ihr endlich die ganze Wahrheit zu sagen - aber dann sah ich in ihr Gesicht, und was ich darin erblickte, das ließ mich alles andere schlagartig vergessen.
Kimberley hatte die beiden Gläser auf den Tisch gestellt und die Hand ausgestreckt, um sich einen Stuhl heranzuziehen, aber sie war plötzlich und mitten in der Bewegung wie erstarrt. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck abgrundtiefen Schreckens und ihre Augen waren weit und fast schwarz vor Furcht. Sie atmete nicht.
Ich sprang auf und stellte die Sektflasche auf den Tisch. Der Korken flog mit einem Knall heraus, gefolgt von einem sprudelnden Sekt-Geysir, aber ich bemerkte es nicht einmal. »Kim! Was ist los mit dir?«
Kimberley begann zu zittern. Sie stand immer noch in der gleichen, fast grotesken, erstarrten Haltung da, aber ihre Hände und Knie zitterten immer stärker, ihre Lippen bebten, und der Ausdruck von Angst in ihren Augen wurde zu etwas anderem, Schlimmerem.
»Pratt«, flüsterte sie. »Es ist ... Pratt.«
»Was?« fragte ich verwirrt.
»Er ist ... hier.«
Ich trat auf sie zu, streckte die Hände aus, um sie in die Arme zu schließen, aber ich führte die Bewegung nicht zu Ende. »Pratt ist tot, Kim«, sagte ich. »Er kann nicht hier sein.«
»Ich spüre ihn«, flüsterte sie. »Er ...«
Jemand klopfte gegen die Tür. Ein lautes, herrisches Geräusch, dem nach einer Sekunde ein zweites, fordernderes Klopfen folgte. Kimberley taumelte einen halben Schritt zurück, unterdrückte im letzten Moment einen Schrei und schlug die Hand vor den Mund, und auch ich spürte, wie mich ein eisiger Schrecken durchfuhr. Hastig fuhr ich auf dem Absatz herum und starrte die Tür an.
»Mach nicht auf«, flüsterte Kimberley. »Er ist es.«
»Unsinn«, antwortete ich. Natürlich war es Unsinn. Mein Verstand und meine Logik sagten mir, dass es nicht Pratt sein konnte - und doch: Für einen Moment war auch ich felsenfest davon überzeugt, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn ich die Tür öffnete. Dann verscheuchte ich den Gedanken, wandte mich noch einmal zu Kim um, machte eine beruhigende Geste und ging langsam zur Tür.
Mein Herz klopfte, als ich den Knauf herumdrehte und sie öffnete. Aber draußen stand nicht der Geist des verstorbenen Congressmans, sondern niemand anderes als Steel. Er hatte gerade die Hand gehoben, um zum dritten Mal zu klopfen, als ich die Tür öffnete. Und ich las in seinen Augen, dass er sich nur noch mit aller Mühe beherrschte, um nicht so zu tun, als hätte er zu spät reagiert und mir kräftig mit der Faust auf die Nase zu schlagen.
»Na, das wurde ja auch Zeit«, sagte er. Ein hämisches Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. »Komme ich gerade unpassend?«
»Du kommst immer unpassend«, antwortete ich. »Was ist los?«
»Ich soll euch abholen.« Steel versuchte, an mir vorbei einen Blick in die Wohnung zu werfen, aber ich trat rasch ein kleines Stück zur Seite. Es war nicht nötig, dass er Kimberley in ihrem momentanen Zustand sah.
»Uns?«
Steel zuckte mit den Achseln und trat einen halben Schritt zurück. »Dich und deine Kleine«, bestätigte er. »Bach will euch sehen.«
»Wieso?« fragte ich misstrauisch. »Ich war doch gerade erst bei ihm.«
Steel hob abermals die Schultern. »Frag mich nicht«, erwiderte er. »Ich soll euch abholen.« Nach einer winzigen Pause und in leicht verändertem Ton fügte er noch hinzu: »Und er hat noch gesagt, dass ich keine Ausrede gelten lassen soll. Er will euch beide sehen. Sofort.«
Meine Gedanken begannen zu rasen. Hatte ich mich zu sicher gefühlt? Was, wenn Bach doch alles wusste? »Es ist ... im Moment nicht so passend«, sagte ich zögernd. »Warum wartest du nicht einen Moment hier draußen und ich rufe ihn an und ...«
»Er hat gesagt, ich soll euch zu ihm bringen«, unterbrach mich Steel kopfschüttelnd. »Keine Anrufe. Das Telefon ist nicht sicher.« Er grinste. »Du weißt ja: Man weiß nie, wer so alles mithört.«
Ich spürte selbst, dass ich mich nicht mehr ganz in der Gewalt hatte. Ich fuhr sichtbar zusammen und vermutlich entgleisten auch meine Züge für einen Moment, denn Steels Grinsen wurde noch breiter und war jetzt eindeutig schadenfroh.
»Ich kann ihm natürlich sagen, dass du dich geweigert hast, mitzukommen«, sagte er feixend. »Allerdings möchte ich dann nicht in deiner Haut stecken. Ich weiß ja nicht, was los ist, aber er hat nicht unbedingt die beste Laune.«
Ich starrte ihn noch eine Sekunde lang an, dann trat ich wieder ganz in die Wohnung zurück, machte aber eine abwehrende Bewegung, als Steel mir folgen wollte. »Also gut«, sagte ich. »Wir brauchen zehn Minuten.«