»Bach wird ...«
»So viel Zeit wird er schon haben«, fuhr ich mit leicht erhobener Stimme fort. »Warte unten im Wagen. Wir sind gleich da.« Ich schloss die Tür, noch bevor er Gelegenheit fand, erneut zu widersprechen, legte - ganz instinktiv und eigentlich, ohne selbst genau zu wissen, warum - die Kette vor und wandte mich wieder an Kimberley. Sie hatte natürlich gesehen, wer an der Tür stand und auch jedes Wort gehört, trotzdem sagte ich: »Es war nur Steel.«
Kim hatte sich mittlerweile einigermaßen beruhigt. Sie zitterte nicht mehr wie Espenlaub, aber sie war immer noch kreidebleich und in ihren Augen stand immer noch dieses Entsetzen geschrieben, das ich nicht verstand, das aber auch mich zutiefst erschreckte.
»Steel?« murmelte sie.
Ich ging zu ihr, legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm und fühlte selbst durch den Stoff der Bluse hindurch, wie ihr Puls immer noch raste. Das war keine eingebildete Furcht, kein Schrecken, der aus einem Missverständnis oder einem Irrtum entstanden war. Sie hatte Todesangst!
»Was ist los mit dir?« fragte ich beunruhigt.
Kim sah mich an, aber ihr Blick schien geradewegs durch mich hindurch zu gehen, war auf einen Punkt im Nichts oder in der Vergangenheit gerichtet, an dem er etwas durch und durch Grauenerweckendes sah. »Ich erinnere mich jetzt«, sagte sie.
»Woran?«
»Es war in der Nacht, in der wir uns gestritten hatten«, antwortete sie. »An dem Abend, als Walt starb. Du warst weggegangen und ich dachte, es wäre eine andere Frau oder vielleicht ... irgendetwas anderes.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Und es war mein Fehler. Ich hätte dir viel früher sagen müssen, was ...«
Sie hörte mir gar nicht zu, sondern fuhr, immer noch leise, fast flüsternd, aber mit bebender Stimme und ins Leere gerichtetem Blick fort: »Ich war so unglücklich. Ich dachte, es wäre meine Schuld. Und so zornig. Auf dich, auf mich und auf die ganze Welt. Und dann sind sie gekommen.«
»Sie? Wen meinst du mit sie?«
»Diese ... Wesen«, flüsterte Kim.
Es dauerte eine Sekunde, bis ich überhaupt begriff. Auch das war etwas, das ich hätte wissen müssen - nein, was ich tief in mir gewusst hatte - aber einfach verdrängt hatte.
»Die Grauen?«
»Sie waren furchtbar«, antwortete Kim. »Da war plötzlich dieses Licht. Das Fenster flog auf. Ich dachte, es wäre die Katze vom Nachbarn und wollte es schließen, aber dann ... dann war da plötzlich dieses Licht. Es war unvorstellbar hell. Es tat weh. Plötzlich waren sie da. Zwei ... Kreaturen.«
»Sie waren hier?« fragte ich ungläubig. »Hier in unserer Wohnung?«
»Sie traten aus dem Licht heraus«, flüsterte Kim. »Ihre Augen ... Sie hatten furchtbare Augen. Schwarz und so voller Bosheit, so viel Hass. Sie haben ... irgendetwas mit mir getan. Da war eine Flüssigkeit, ein grauer Schleim. Ich wollte weglaufen, aber ich konnte mich nicht rühren, und er hüllte mich völlig ein. Es tat weh. Und dann war ich ... an einem anderen Ort.«
»Ein anderer Ort? Was für ein anderer Ort?«
»Ich erinnere mich nicht«, sagte Kim. »Aber er war groß und dunkel. Da waren viele von ihnen. Diese Wesen und ... andere Geschöpfe. Sie taten etwas mit mir.«
»Was?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Aber es tat weh und ich hatte so furchtbare Angst. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht einmal schreien.«
Ich schloss sie in die Arme, drückte sie fest an mich. Sie zitterte wieder am ganzen Leib. Ihr Atem ging schnell und ihr Herz hämmerte so laut, als wollte es zerspringen. »O Liebling, es tut mir so leid«, flüsterte ich. »Du musst in ihrem Schiff gewesen sein. Warum war ich nicht hier, um dir zu helfen?«
»Ich habe es vergessen«, murmelte Kimberley. »Es ... es war so furchtbar, aber ich, ich habe es einfach vergessen. Bis jetzt.«
Ich löste mich langsam von ihr, schob sie ein ganz kleines Stück von mir fort und sah zur Tür. Da war plötzlich ein Gedanke hinter meiner Stirn, der so grotesk schien, dass ich ihn im ersten Moment einfach von mir schob.
»Als Pratt dann kam«, fuhr Kim nach vielen, vielen Sekunden voller lastender Stille fort, »da war es genauso. Ich ... ich konnte das Ding spüren, das in ihm war. Ich konnte fühlen, dass sie es waren.«
Ich war nicht einmal überrascht. Auch ich hatte - obwohl ich nur die toten Grauen gesehen hatte - dasselbe, unheimliche Empfinden gehabt, wenn auch vermutlich nicht annähernd so stark wie sie. Die Fremdartigkeit dieser Geschöpfe war so total, dass vielleicht schon ihre bloße Nähe einem Menschen Unbehagen bereitete. »Und jetzt gerade ...«, murmelte ich.
»... war es genauso«, sagte Kimberley. Sie sah mich an. Die Furcht in ihren Augen erlosch nicht, aber sie änderte sich. Es war jetzt nicht mehr dieses absolute Grauen, dass ich gerade darin gelesen hatte, sondern ganz normale, wenn auch sehr tief empfundene Angst. »Er gehört zu ihnen, John«, sagte sie.
»Steel?«
»Ich weiß es«, beharrte Kimberley. »Er gehört zu ihnen. Ich kann es spüren, genau wie bei Pratt.«
Tief in mir spürte ich, dass sie Recht hatte. Trotzdem weigerte ich mich für einen Moment immer noch, ihr zu glauben. Nicht, weil ich es nicht konnte, sondern weil ich es einfach nicht wollte.
»Wir dürfen nicht mit ihm gehen«, sagte Kim. »Er ... wird uns nicht zu Bach bringen. Er ...«
Ich brachte sie mit einer beruhigenden Geste zum Schweigen, versuchte - vermutlich vergebens - so etwas wie Ruhe und Selbstbewusstsein auf mein Gesicht zu zwingen und deutete zum Telefon. »Ich rufe Bach an«, sagte ich. »Es dauert zwei Minuten und ich weiß, ob er Steel geschickt hat oder nicht.«
Kimberley widersprach nicht. Meine Idee begeisterte sie nicht, das sah ich ihr an, aber sie sagte nichts, sondern sah mir nur schweigend zu, während ich mit raschen Schritten zum Telefon ging und Bachs Nummer wählte. Er hob so schnell ab, als hätte er mit dem Finger auf der Gabel auf meinen Anruf gewartet.
»Ja?«
»Loengard«, meldete ich mich. »Captain Bach, was ...«
»Ich sagte kein Telefon«, unterbrach mich Bach scharf. Es musste wohl so sein, wie Steel behauptet hatte: Seine Stimme klang, als wäre er übelster Laune. »Hat Steel Ihnen das nicht gesagt?«
»Doch«, erwiderte ich. »Aber er hat nicht gesagt, warum wir zu Ihnen kommen sollen. Es ist mitten in der Nacht.«
»Das weiß ich selber«, erwiderte Bach unfreundlich. »Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen. Mit Ihnen beiden. Es ist wichtig. Aber nicht am Telefon.«
»Also gut«, seufzte ich. »Wir kommen.« Ich hängte ein und wandte mich wieder zu Kim um. »Bach hat ihn geschickt«, sagte ich. »Du brauchst dich nicht aufzuregen.«
Meine Worte beruhigten sie nicht. Ganz im Gegenteil. Sie wirkte noch nervöser als zuvor. Bevor ich weiterreden konnte, klopfte es erneut an der Tür. Ich gestikulierte ihr hastig zu, still zu sein, ging hin und rief durch das Holz hindurch und ohne die Tür zu öffnen: »Ja, verdammt. Ich sagte: zehn Minuten.«
»Ich an deiner Stelle würde mich beeilen, Jonny-Boy«, antwortete Steel hämisch. »Der Captain hat gesagt, dass ich euch nötigenfalls auch mit Gewalt mitbringen soll. Gibst du mir einen Grund, es zu tun?«
Wütend zog ich die Kette zurück, riss die Tür auf und trat herausfordernd einen Schritt auf Steel zu. Er rührte sich nicht. Grinsend und mit in die Hüften gestemmten Händen stand er da und sah mir entgegen, und ich las in seinen Augen, dass er tatsächlich nur auf eine Gelegenheit wartete, auf mich loszugehen.
»Also gut«, sagte ich. »Wir kommen mit. Aber ich warne dich: Wenn es nicht wirklich so ist, wie du gesagt hast, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.«
Steels Antwort bestand nur in einem noch breiteren, hämischen Grinsen. Als ich die Tür diesmal wieder schließen wollte, machte er einen schnellen Schritt und stellte den Fuß dazwischen. Ich starrte ihn noch eine Sekunde lang wütend an, aber ich gab ihm nicht die Genugtuung, wirklich die Beherrschung zu verlieren, sondern drehte mich nur mit einem Ruck um und ging zu dem Stuhl, über den ich vor kaum einer Viertelstunde meinen Mantel geworfen hatte.