Ich machte eine Bewegung, die die Männer drüben im Wagen glauben lassen sollte, dass ich Steel einen wütenden Blick zuwarf, trat zwei, drei Schritte weit auf den Bürgersteig hinaus - und fuhr dann herum. Plötzlich ging alles rasend schnell.
Kim und ich rannten im gleichen Moment los, in dem die Türen des schwarzen Wagens auf der anderen Straßenseite aufflogen. Die zehn Meter bis zum Chevy schienen zur Ewigkeit zu werden, und die halbe Sekunde, die ich brauchte, um die Tür zu öffnen und mich hinter das Lenkrad zu werfen, zu einer Stunde. Hastig beugte ich mich über den Beifahrersitz, öffnete die Tür und versuchte den Schlüssel ins Schloss zu rammen, noch während ich mich aufrichtete. Meine Hände zitterten. Ich verlor eine weitere, kostbare halbe Sekunde und hätte den Schlüssel um ein Haar fallen gelassen.
Kim warf sich neben mich auf den Sitz, zog die Tür zu und drückte den Knopf herunter und ich bekam endlich den Schlüssel ins Schloss. Der Motor sprang auf Anhieb an, aber ich war so aufgeregt, dass mein Fuß von der Kupplung rutschte und ich ihn abwürgte. Während ich den Schlüssel fluchend zurück und wieder vor drehte und auf das Mahlen des Anlassers lauschte, warf ich einen Blick in den Rückspiegel und sah zwei Gestalten auf uns zu hetzen, und im gleichen Moment flog auch die Haustür auf, und eine dritte Gestalt taumelte heraus. Steel!
Der Motor sprang endlich an. Ich setzte mit durchdrehenden Reifen ein Stück zurück, um aus der Parklücke herauszukommen, rammte den Gang herein und gab wieder Gas. Zu viel. Die Reifen drehten durch und der Wagen kam kaum von der Stelle. Jemand begann wütend an der Beifahrertür zu rütteln. Faustschläge trafen das Dach und plötzlich erschien Steels Gestalt wie aus dem Nichts unmittelbar vor dem Kühler. Ich reagierte ganz instinktiv. Trotz allem wollte ich Steel nicht töten, ebenso wenig wie die beiden anderen Männer, die mittlerweile lauthals fluchend und mit aller Kraft an beiden Türen des Wagens rüttelten. Ich rammte den Rückwärtsgang wieder herein, ließ den Wagen zwei Meter nach hinten schießen, und die beiden Agenten brachten sich hastig in Sicherheit, um nicht von den Füßen gerissen zu werden.
Etwas krachte. Ein harter Schlag ließ den Chevy erbeben, als ich gegen den hinter uns geparkten Wagen krachte und um ein Haar den Motor erneut abgewürgt hätte. Mit fahrigen Bewegungen legte ich den ersten Gang wieder ein, trat Kupplung und Gas gleichzeitig durch und starrte Steel an, der breitbeinig unmittelbar vor uns stand.
»Ich habe dich gewarnt, Jonny-Boy!« schrie er. »Aber du wolltest es ja nicht anders!« Er griff unter die Jacke. Kim hielt die Pistole, die ich ihm abgenommen hatte, immer noch in der rechten Hand, trotzdem waren seine Hände nicht leer, als sie wieder zum Vorschein kamen, sondern hielten eine zweite Waffe, mit der er in aller Ruhe auf mich anlegte.
»John!« schrie Kim.
Ich wusste, dass er schießen würde. Ich konnte es in seinen Augen lesen. Und es war nicht das Ding in ihm, das ihn dazu brachte. Es spielte keine Rolle, ob ich Steel oder dem Ganglion gegenüberstand - jeder der beiden hatte nur auf einen Vorwand gewartet.
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Ich konnte sehen, wie Steel die Waffe sorgfältig auf mein Gesicht richtete und sich sein Zeigefinger dem Abzug näherte. Die Situation kam mir ... unwirklich vor. Eine Szene aus einem Alptraum, erschreckend und grotesk zugleich. Mein Leben war schon vor Monaten zu einer Achterbahnfahrt geworden, in der Tod und Gewalt eine weitaus größere Rolle spielten, als ich bis jetzt hatte wahrhaben wollen. Und trotzdem erschien es mir in diesem Moment einfach absurd, dass Steel mich töten würde. Dann schrie Kim ein zweites Mal und noch gellender auf, und ich reagierte endlich. Im gleichen Sekundenbruchteil, in dem Steel den Abzug durchdrückte, ließ ich die Kupplung springen und riss das Lenkrad nach rechts. Der Wagen schoss mit qualmenden Reifen auf Steel zu. Die Kugel prallte gegen den Fensterrahmen neben meinem Gesicht und flog Funken sprühend davon, und ich trat das Gaspedal noch weiter durch und kurbelte gleichzeitig verzweifelt am Lenkrad. Steel machte eine unglaublich schnelle Bewegung zur Seite, um dem Chevy auszuweichen. Er schaffte es nicht. Der Kotflügel des Wagens traf ihn mit einem dumpfen Geräusch, riss ihn von den Füßen und schleuderte ihn in die Luft.
Steels Waffe flog davon. Mit wirbelnden Armen prallte er auf die Motorhaube und rutschte ein Stück darauf empor. Der Anprall hätte jeden normalen Menschen getötet oder zumindest so schwer verletzt, dass er das Bewusstsein verloren hätte, Steel nicht. Im Gegenteiclass="underline" Er klammerte sich mit aller Kraft fest und schaffte es sogar irgendwie, nicht abgeschüttelt zu werden, als ich das Lenkrad mit einem Ruck in die entgegengesetzte Richtung riss und der Wagen kreischend über die Straße schlingerte.
»Gib auf!« brüllte er. »Du hast keine Chance, Jonny-Boy! Wir kriegen dich!«
»John!« schrie Kim. »Tu etwas!«
Ich riss das Lenkrad wieder nach rechts, trat hart auf die Bremse und gab fast gleichzeitig wieder Gas, doch Steel ließ seinen Halt nicht los. Er wurde hin und her geschleudert, aber er klammerte sich mit einer Hand weiter fest, während seine linke Faust auf die Windschutzscheibe einzuschlagen begann. Das Glas hielt den Schlägen stand, aber ich wusste nicht, wie lange. Steels Knöchel platzten auf; Blut lief über die Scheibe, aber er schlug und drosch weiter darauf ein, als spürte er den Schmerz gar nicht.
Ein schrilles Hupen erklang. Ein Scheinwerferpaar huschte an uns vorbei, und ich hörte Bremsen hinter mir quietschen, dann Metall kreischen. Wir fuhren immer schneller, doch ich war so gut wie blind. Ich sah nur Steels Gesicht, das riesig und wutverzerrt vor mir die ganze Windschutzscheibe auszufüllen schien, und seine Faust, die immer und immer wieder auf das Glas krachte. Er schrie ununterbrochen:
»Wir kriegen dich!«
»John!« schrie Kim. Sie hob die Pistole.
»Nein!« brüllte ich. Gleichzeitig trat ich hart auf die Bremse und riss das Steuer mit einem Ruck so weit nach rechts, wie ich konnte. Steel wurde herumgewirbelt. Seine rechte Hand verlor ihren Halt. Ich sah, wie er über die Motorhaube nach vorne zu rutschen begann - und in diesem Moment prallte der Chevy mit beiden Vorderrädern gegen den Bürgersteig und machte einen gewaltigen Satz. Steel wurde zum zweiten Mal binnen weniger Augenblicke in die Luft gewirbelt, und als er zurückfiel, prallte sein Gesicht mit grausamer Wucht gegen den Fensterholm; genau dort, wo dreißig Sekunden zuvor seine Kugel abgeprallt war.
Ein furchtbarer, knirschender Laut erscholl. Die Windschutzscheibe war plötzlich voller Blut, und ich sah nur noch, wie Steels Körper wie eine lebensgroße Gliederpuppe davonwirbelte und meterweit entfernt auf den Asphalt fiel.
Der Motor ging aus. Instinktiv streckte ich die Hand aus und griff nach dem Schlüssel, aber ich führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern starrte wie betäubt in den Spiegel. Steel war drei, vier Meter entfernt niedergestürzt und rührte sich nicht mehr. Er musste tot sein.
»Mein Gott«, flüsterte ich. »Das ... das wollte ich nicht.« Es war ehrlich gemeint. Dieser Mann - das Ding, in das er sich verwandelt hatte - hatte uns beide töten wollen, aber ich spürte keinen Triumph, nicht einmal Erleichterung, sondern nur ein tiefes, kaltes Entsetzen.
Rings um uns herum gingen bereits erloschene Lichter hinter Fenstern wieder an, wurden Türen geöffnet und erschienen neugierige Gesichter. Und weiter entfernt glaubte ich bereits eine Polizeisirene zu hören, aber das alles kam mir immer unwirklicher vor. Ich hatte immer noch das Gefühl, in einem Alptraum gefangen zu sein, aus dem ich nur nicht erwachen konnte.
Es war Kimberley, die mich halbwegs in die Wirklichkeit zurückriss. Ihre Hand berührte mich an der Schulter, sie sagte nichts, aber sie machte eine Geste nach hinten, und als ich ihr mit Blicken folgte, sah ich zwei Gestalten mit wehenden Mänteln auf uns zu hasten. Beide hatten Pistolen in den Händen und ich zweifelte nicht daran, dass sie ihre Waffen benutzen würden.