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Ich hatte es fast geschafft. Wright-Patterson Air Force Base in Dayton, Ohio, war einer der letzten Punkte auf meiner Liste. Noch ein oder zwei Tage in muffigen Archiven, noch ein oder zwei Tage voller staubiger Akten, bei denen ich mittlerweile schon husten musste, wenn ich sie nur sah, voller feindseliger Blicke und kleiner Bosheiten, die genau so bemessen waren, dass man eben keinen Grund hatte, sich offiziell zu beschweren ... Schwamm drüber. Wright-Patterson war mein letzter Termin außerhalb Washingtons. Ich hatte die Fahrkarte für den Nachtzug bereits in der Tasche. In wenigen Stunden würde ich in einem Zweiter-Klasse-Abteil sitzen und mich vom Rattern der Räder in den Schlaf schaukeln lassen.

Dachte ich.

Aber da kannte ich Friend noch nicht.

Wright-Patterson unterschied sich auf den ersten Blick nicht von dem halben Dutzend anderer Luftwaffenstützpunkte: ein weitläufiges, hermetisch abgeriegeltes Gelände, auf dem man auf Schritt und Tritt beobachtet wurde und jedermann mit einem so gewichtigen Gesicht durch die Gegend lief, als stünde das Schicksal der Nation auf dem Spiel. Man hatte mir einen Schreibtisch in einem winzigen, ungeheizten Büro zugewiesen und sogar eine Tasse Kaffee serviert. Sie war kalt. Trotzdem blieb ich ausnehmend guter Laune. Die Aussicht, an diesem Abend nach Hause zu kommen, stimmte mich beinahe euphorisch.

»Brauchen Sie noch etwas, Sir?« Die Stimme des jungen Lieutenant, der mich »betreute«, klang genauso, wie sein Gesicht aussah: ausdruckslos, mit einer Spur von nicht ganz unterdrückter Unfreundlichkeit. In Wahrheit hatte er wohl den Auftrag, auf mich aufzupassen, damit ich keine Staatsgeheimnisse stahl oder einen der drei pedantisch angespitzten Bleistifte verschwinden ließ, die man mir zur Verfügung gestellt hatte.

»Nein«, antwortete ich. »Es sei denn, Sie hätten ...«

Ich kam nicht dazu, meinen Wunsch nach einem heißen Kaffee zu äußern, denn in diesem Moment wurde die Tür auf gestoßen, und ein Mann mittleren Alters in einer dunkelblauen Air-Force-Uniform kam herein. Ich hatte immer Schwierigkeiten damit, mich in dem Wust von Rangabzeichen, Streifen und Sternchen auf Militäruniformen zurechtzufinden, aber dieser Neuankömmling musste ein hochrangiger Offizier sein. Im ersten Augenblick erinnerte er mich (vor allem angesichts der Jahreszeit) ein bisschen an einen wandelnden Weihnachtsbaum, und der junge Lieutenant trat hastig zwei Schritte zurück und nahm eine Haltung ein, als hätte er den sprichwörtlichen Besenstiel verschluckt.

»Major Friend«, salutierte er und brachte sogar das Kunststück fertig, zu reden, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Ich fand, dass Friend trotz seines Namens nicht besonders freundlich aussah; und schon gar nicht wie jemand, den ich zum Freund haben wollte. Der Lieutenant jedenfalls erstarrte regelrecht vor Ehrfurcht, während Friend zuerst ihn und dann mich mit einem so eisigen Blick maß, dass selbst einem Pinguin noch ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen wäre.

»Die werden auch jedes Mal jünger«, bemerkte er kopfschüttelnd. Er trat mit zwei raschen Schritten auf mich zu, streckte mir die Hand über den Schreibtisch entgegen und fuhr fort: »Sie müssen Loengard sein. Ich bin Major Robert Friend. Ich leite den Laden hier, und das seit neunzehnhundertneununddreißig.« Damals hast du noch in die Windeln gemacht, Jungchen, fügte sein Blick hinzu. Falls es dich da überhaupt schon gab.

Ich revidierte meine Meinung über Friend. Er war nicht nur jemand, den ich nicht zum Freund haben wollte. Ich war sicher, dass niemand diesen Mann zum Freund haben wollte. Sein Blick war taxierend und durchdringend, und er hatte den Ausdruck eines Mannes, der prinzipiell und immer auf Verteidigung eingestellt ist und hinter jedem freundlichen Lächeln sofort eine Heimtücke wittert. Aber sein Händedruck war kräftig, und er hatte mir immerhin genug Aufmerksamkeit gezollt, um sich meinen Namen zu merken und mich nicht nur als den Kerl aus Washington abzuhaken, den man möglichst schnell wieder loswerden wollte.

»Sie sind also hier, um nachzusehen, was wir mit Uncle Sams Steuergeldern machen«, sagte er. »Hatten Sie Erfolg?«

Ich war nicht ganz sicher, was ich von dieser Frage halten sollte. »Nun, Sir ...«, begann ich.

»Wissen Sie, Jungchen«, fuhr Friend fort, »ich führe diese Blue Books, seit ich diese Basis übernommen habe. Und ich kenne Leute wie Sie zur Genüge.«

»Sir, ich versichere Ihnen ...«, begann ich, nur, um sofort wieder von Friend unterbrochen zu werden. Offensichtlich gehörte er zu den Menschen, die ihre Gesprächspartner prinzipiell niemals aussprechen ließen.

»Das ist nicht persönlich gemeint, John«, sagte er jovial. »Sie tauchen so regelmäßig auf wie die Jahreszeiten, wissen Sie? Man kann sich fast darauf verlassen. Immer, wenn irgendeine Wahl vor der Tür steht, kommt jemand in Washington auf die Idee, einen armen Kerl wie Sie loszuschicken, der nachschaut, wo ein paar Dollar an Steuergeldern zu sparen sind.«

Er war rücksichtsvoll genug, nicht armes Würstchen zu sagen, aber es stand deutlich genug in seinen Augen geschrieben.

»Nun, Sir ...«, begann ich zum dritten Mal, »ich versichere Ihnen, ich bin nicht hier, um irgendjemandem Schwierigkeiten zu machen. Es ist nur so, dass wir dem Kongress regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen müssen, was die einzelnen Abteilungen mit ihrem Etat anfangen.«

Friend lachte. Jedenfalls vermutete ich, dass es ein Lachen sein sollte: ein kurzes, hartes Schnauben, bei dem er die Luft durch die Nase stieß.

»Haben Sie eine Ahnung, in wie vielen Fällen meine Leute allein im letzten Jahr recherchiert haben?« fragte er.

Hatte ich. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. »Fünfhundertsiebenundfünfzig«, antwortete ich.

Friend tauschte einen kurzen, überraschten Blick mit seinem Lieutenant, dann beugte er sich leicht vor und fuhr in hörbar schärferem Ton fort: »Geteilt durch exakt drei Männer, die ich für diese Arbeit abgestellt habe. Wenn Sie also der Meinung sind ...«

»Sir«, unterbrach ich ihn, ruhig, aber doch so nachdrücklich, wie es mir möglich war, »ich interessiere mich nur für ganz spezielle Ermittlungen.«

Friend runzelte die Stirn. »Und ... welche?«

»UFOs«, antwortete ich. Ich hätte mich für den halb nervösen, halb fast wie um Entschuldigung bittenden Unterton in meiner Stimme selbst ohrfeigen können. Aber Friend reagierte ganz anders, als ich erwartet hatte.

»UFOs?« wiederholte er.

»Fliegende Untertassen«, fügte ich hastig hinzu. Beinahe hätte ich noch gesagt: Humbug, schluckte die Bemerkung aber im letzten Moment herunter. Irgendetwas an Friends Blick ... irritierte mich. Er sah weder spöttisch aus, noch feindselig, sondern ganz im Gegenteil höchst interessiert.

»Ich weiß, was man darunter versteht«, sagte er. »Unidentifizierte Flugobjekte. Raumschiffe von anderen Planeten. Besuch aus dem Kosmos.« Er machte eine wedelnde Handbewegung. »Sie glauben nicht daran, wie?«

»Das weiß ich nicht, Sir«, antwortete ich.

»Sie wissen es nicht?«

»Nun, ich ... möchte mir ein eigenes Bild machen«, antwortete ich zögernd. Friend irritierte mich mit jeder Sekunde mehr. Noch vor einem Moment hätte er mich am liebsten von seinen Leuten aus dem Stützpunkt werfen lassen, aber ganz plötzlich machte er auf mich vielmehr den Eindruck eines Mannes, der mir ... etwas sagen wollte? Ich wusste es nicht.

»Ein Bild? Sie meinen, Sie suchen nach Argumenten, um diesen ... Unsinn zu beenden?«

Die Art, mit der er das Wort Unsinn betonte, ließ mich hellhörig werden. »Nicht unbedingt«, sagte ich ehrlich. Heute war mein letzter Tag. Außerdem stand Weihnachten vor der Tür. Warum sollte ich nicht ein bisschen freundlich sein. »Am Anfang war es vielleicht sogar so. Aber ich bin auf ein paar Dinge gestoßen, die ... seltsam sind. Wer weiß, vielleicht kann ich den Kongress sogar am Ende überzeugen, weitere Gelder für die Nachforschungen bereitzustellen.«