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Wie eine verletzte Prinzessin. Caroline hatte den Verlust ihrer Eltern nicht verwunden, doch mit diesem Leid stand sie weiß Gott nicht allein da. Guilford stellte fest, dass er sie zu einem Lächeln provozieren konnte, manchmal zumindest. Damals hatte ihre Schweigsamkeit eher Verbundenheit als Distanzierung bedeutet; sie pflegten eine subtilere Kommunikation. In dieser lautlosen und unsichtbaren Sprache hatte sie gesagt: Ich bin verletzt, aber zu stolz, um es zuzugeben — hilfst du mir? Und er hatte erwidert: Ich biete dir Geborgenheit. Ein Zuhause.

Jetzt lag er wach, die nächtliche Stille wurde hin und wieder durch die Geräusche eines Fuhrwerks gestört und zwischen ihm und der Frau, die er liebte, hatte das Bett eine tiefe Kuhle. Konnte man ein unausgesprochenes Versprechen brechen? In Wahrheit hatte er Caroline gar keine Geborgenheit gegeben. Er war zu weit und zu oft gereist: gen Westen und nun hierher. Er hatte eine süße Tochter gezeugt, um sie und ihre Mutter hierher in diese wildfremde Gegend zu bringen, wo er sie zurücklassen wollte… im Namen der Geschichte oder der Wissenschaft oder seiner eigenen verwegenen Träume.

Er redete sich ein, dass Männer so handelten, dass Männer Jahrhunderte lang so gehandelt hatten und dass, wenn sie es nicht getan hätten, die Menschen noch immer in den Bäumen hocken würden. Doch die Wahrheit war komplizierter, betraf Dinge, die Guilford verdrängte, die womöglich mit seinem Vater zu tun hatten, dessen sturer Pragmatismus ihn früh unter die Erde gebracht hatte.

Caroline schlief bereits oder so gut wie. Er legte ihr die Hand auf die Hüfte, ein sanfter Druck, der sagen sollte: Aber ich komme zurück. Sie reagierte mit einem verschlafenen Räkeln, fast wie ein Achselzucken, nicht ganz gleichgültig. Vielleicht.

* * *

Am Morgen waren sie einander fremd.

Caroline und Lily fuhren mit ihm zum Hafen, wo die Gezeiten an der Argus zerrten. Kühle Nebelschwaden rankten sich um den von Rostpocken befallenen Rumpf.

Guilford umarmte Caroline, er fand keine Worte, er kam sich vor wie ein Grobian; dann hangelte Lily sich in seine Arme, drückte ihre weiche Wange an die seine und sagte: »Komm bald wieder.«

Guilford versprach es.

Lily glaubte ihm.

Dann ging er die Gangway hinauf, drehte sich an der Reling um und winkte zum Abschied, aber Frau und Tochter waren bereits untergegangen in der Menschenmenge, die sich unten am Pier drängte. So rasch geht das, dachte Guilford. So rasch.

* * *

Die Argus überquerte den Kanal bei dichtem Nebel. Guilford grübelte unter Deck, bis die Sonne durchbrach und John Sullivan von ihm verlangte, hoch zu kommen, um den Kontinent bei Morgenlicht zu sehen.

Was sich seinen Augen bot, war dichtes, grünes Sumpfland, in dem ein Westwind fächelte — das salzige Marschland des weiten Rhein-Deltas. Die Stromatolithen[23] nahmen sich aus wie unirdische Monumente und die Flötenbäume hatten sich überall dort angesiedelt, wo der Schlick tief genug war, um ihren spinnenartigen Wurzeln Halt zu bieten. Das Postschiff folgte einer seichten aber pflanzenfreien Fahrrinne — langsam, weil die Lotung nur grob war und Stürme den Treibsand nicht selten verlagerten. Sie dampften auf eine dichtere, grünere Ferne zu. Jeffersonville war eine blasse Rauchfahne am flachen, grünen Horizont, dann ein Fleck, dann eine schmutzigbraune Ansammlung von Hütten zwischen Schilfrohrbuckeln oder auf Pfählen, wenn der Grund es erlaubte, und überall primitive Anlegestellen und kleine Boote und der Gestank nach Salz, Fisch, Abfall und Kloake. Caroline fand London primitiv; Guilford war froh, dass sie Jeffersonville nicht zu Gesicht bekam. Der Ort wirkte wie eine Wamtafeclass="underline" Hier endet die Zivilisation. Hier beginnt die Anarchie der Natur.

Es gab eine Unmenge Fischerboote, Kanus und aus darwinischem Holz zusammengeschusterte Fahrzeuge, die wie Flöße aussahen, und alle klumpten sich an den mit Netzen drapierten Anlegestellen. Es gab nur ein Fahrzeug, das so groß war wie die Argus: Ein amerikanisches Kanonenboot lag mit wehender Flagge vor Anker. »Damit fahren wir den Fluss hinauf«, sagte Sullivan, der neben Guilford an der Reling stand. »Hier bleiben wir nicht lange. Finch wird der Navy seine Aufwartung machen, während wir uns nach einem Führer umsehen.«

 »Wir?«, fragte Guilford.

 »Sie und ich. Danach können Sie ihre Kamera zusammenbauen und eine Gruppenaufnahme am Pier machen. Verladung in Jeffersonville. Die Photographie wird Emotionen wecken.« Sullivan klopfte ihm auf die Schulter. »Kopf hoch, Mr. Law. Das ist die richtige neue Welt, und Sie stehen kurz davor, sie zu betreten.«

Doch hier im Marschland musste man seine Schritte mit Bedacht wählen. Man hielt sich an die Plankenwege oder lief Gefahr, verschlungen zu werden. Guilford fragte sich, wie viel von Darwinia sich so ausnahm — blauer Himmel, fächelnder Wind, die stille Bedrohung.

* * *

Sullivan ließ Finch wissen, er und Guilford seien unterwegs, um einen Führer anzuheuern. Sobald die Piers außer Sicht waren, verborgen hinter Fischerhütten und einem hohen Gehölz aus Moscheebäumen, verlor Guilford jede Orientierung. Doch Sullivan schien sich auszukennen. 1918 sei er hiergewesen, erklärte er, um Tierarten des Marschlandes zu katalogisieren. »Ich kenne die Stadt, auch wenn sie jetzt größer ist, und ich kenne ein paar alte Hasen hier.«

Die Leute, an denen sie vorbeikamen, sahen grobschlächtig und gefährlich aus. Nicht lange nach dem Wunder hatte die Regierung versucht, durch so genannte Homestead grants[24] und kostenlose Schiffspassagen Freiwillige für die Besiedlung von Darwinia zu gewinnen; das Leben in Amerika war nicht eben leicht und doch ging nur ein besonderer Menschenschlag auf das Angebot ein. Darunter etliche, die sich so der Strafverfolgung entzogen.

Sie waren Fischer und Fallensteller und schlugen sich mehr oder weniger ehrlich durchs Leben. So wie sie aussahen, mussten Süßwasser und Seife ein rares Gut sein. Männer wie Frauen trugen grobe Kleidung und langes, verfilztes Haar. Und trotzdem waren unter diesen schäbigen Individuen nicht wenige, die Sullivan und Guilford mit einem verhaltenen Grinsen begegneten — die Verachtung des Eingeborenen für den Touristen.

 »Wir besuchen einen Mann namens Tom Compton«, sagte Sullivan. »Der beste Spurenleser in Jeffersonville, vorausgesetzt er lebt noch und ist nicht draußen im Busch.«

Tom Compton wohnte in einer Holzhütte abseits des Wassers. Sullivan klopfte nicht an, sondern platzte einfach durch die halb offene Tür — darwinische Gepflogenheit vielleicht. Guilford folgte ihm vorsichtig. Nachdem sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, entpuppte sich das Innere der Hütte als spartanisch und sauber, auf dem Bretterboden lag ein Baumwollläufer, an den Wänden hingen Geräte zum Fischen und Jagen. Tom Compton saß seelenruhig in einer Ecke des einzigen Raums, direkt neben einem Tisch, ein großer Mann mit einem gewaltigen, verfilzten Bart. Die dunkle Haut wies ihn als Mischling aus. Um den Hals trug er eine Kette aus Klauen. Das Hemd war aus einer derben, einheimischen Faser gewebt, die Hose schien aus konventionellem Köper, halb verdeckt durch hohe Wasserstiefel. Er blinzelte die Besucher nicht gerade begeistert an und nahm eine langstielige Pfeife vom Tisch.

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23

Kalkausscheidungen mariner Algen.

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24

Urkunde über die Zuteilung von Land aus öffentlichem Besitz an Siedler.