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 »Bisschen früh dafür, oder?«, meinte Sullivan.

Tom Compton riss ein hölzernes Zündholz an und hielt die Flamme über den Pfeifenkopf. »Nicht, wenn du mir unter die Augen kommst.«

 »Du weißt, warum ich hier bin, Tom?«

 »Hab es läuten hören.«

 »Wir wollen ins Landesinnere.«

 »Interessiert mich nicht.«

 »Ich hätte dich gerne dabei.«

 »Geht nicht.«

 »Wir überqueren die Alpen.«

 »Egal.« Er reichte Sullivan die Pfeife, der sie ihm aus der Hand nahm und den Rauch inhalierte. Kein Tabak, dachte Guilford. Sullivan reichte die Pfeife weiter und Guilford war bestürzt. Durfte er freundlich ablehnen oder war das wie bei einem Häuptlingstreffen der Cherokees, ein Zug aus der Pfeife statt eines Händedrucks?

Tom Compton lachte. Sullivan sagte: »Das sind die getrockneten Blätter einer Flusspflanze. Ein bisschen berauschend, aber kein Opium.«

Guilford nahm ihm die knorrige Bruyere aus der Hand. Der Rauch schmeckte so, wie ein Rübenkeller riecht. Das meiste fiel einem Hustenanfall zum Opfer.

 »Neuling«, sagte Tom Compton. »Er kennt das Land nicht.«

 »Er wird es kennen lernen.«

 »Das tun sie alle«, sagte der Grenzbewohner. »Jeder lernt es kennen. Falls ihn das Land nicht vorher umbringt.«

* * *

Der Rauch aus Tom Comptons Pfeife bewirkte, dass Guilford sich leichter und unbeschwerter fühlte. Das Geschehen verlangsamte sich zu einem Kriechen oder schnellte ohne Zäsur voran. Als er in seine Koje auf der Argus kletterte, erinnerte er sich an den Tag nur bruchstückhaft.

Er war mit Dr. Sullivan und Tom Compton in einer Kneipe an den Piers gewesen, wo braunes Bier in Krügen serviert wurde, die man aus getrockneten Flötenriedstämmen geschnitten hatte. Die Krüge waren porös und schwitzten das Bier aus, wenn man es zu lange stehen ließ. Das förderte eine Art zu trinken, die klarem Denken nicht zuträglich war. Es hatte auch zu essen gegeben, einen darwinischen Fisch, der sich auf dem Teller wie ein schlaffer, schwarzer Stechrochen ausgenommen hatte. Er schmeckte nach Salz und Schlamm; Guilford hatte nur wenig gegessen.

Man hatte über die Expedition diskutiert. Der Grenzer hatte gespottet und war nicht davon abzubringen, dass diese Reise nur ein Vorwand war, um Flagge zu zeigen und Amerikas Anspruch auf das Hinterland zu unterstreichen. »Ihr sagt doch selbst, dass dieser Finch ein Idiot ist.«

 »Er ist Kleriker, kein Wissenschaftler; er kennt nicht mal den Unterschied. Aber er ist kein Idiot. Im Cataract Canyon hat er drei Männer vor dem Ertrinken gerettet — hat einen Mann mit doppelter Rippenfellentzündung wohlbehalten nach Lee’s Ferry gebracht. Das war vor zehn Jahren, aber ich wette, er würde es morgen wieder tun. Er hat diese Expedition geplant und vorbereitet und ich würde ihm mein Leben anvertrauen.«

 »Folgt ihm ins Hinterland, und ihr vertraut ihm tatsächlich euer Leben an.«

 »Genau das tue ich. Ich wüsste keinen besseren Kameraden. Einen besseren Wissenschaftler könnte ich mir vorstellen — aber selbst da hat Finch seine Vorteile. In Washington herrscht ein Klima, in dem die Wissenschaft nicht gut wegkommt: Wir konnten das Wunder nicht voraussehen, und erklären können wir es auch nicht, und für gewisse Leute ist das gleichbedeutend mit Verantwortung. Göttern mit Schwächen ergeht es schlecht im Haushaltsplan. Aber mit Finch können wir dem Kongress ein Unterpfand für, sagen wir, eine ehrfurchtsvolle Wissenschaft präsentieren, die keine Bedrohung für Vaterland und Klerus ist. Wir gehen ins Hinterland, wir lernen dazu — und offengestanden, je mehr wir dazulernen, umso wackliger wird sein akademischer Ruf.«

 »Du wirst benutzt. Genau wie Donnegan. Klar, ihr sammelt ein paar Proben. Aber die Geldgeber wollen wissen, welche Fortschritte die Partisanen gemacht haben, ob es im Ruhrtal Kohle gibt oder Eisenerz in Lothringen…«

 »Lass uns die Partisanen auskundschaften oder ein Anthrazitlager finden — na und? Das passiert sowieso, ob wir nun die Alpen überqueren oder nicht. So fallen wenigstens noch ein paar Fakten ab.«

Tom Compton wandte sich an Guilford. »Sullivan hält den Kontinent für ein Rätsel, das er lösen kann. Das ist eine trotzige und dumme Idee.«

Sullivan ließ nicht locker. »Du bist tiefer ins Land gekommen als die meisten Trapper, Tom.«

 »Längst nicht so tief, wie ihr das vorhabt.«

 »Du weißt, was uns erwartet.«

 »Geht man weit genug, weiß keiner, was ihn erwartet.«

 »Trotzdem, du hast Erfahrung.«

 »Mehr als du.«

 »Deine Erfahrung ist unbezahlbar.«

 »Ich hab was Besseres zu tun.«

Sie schwiegen und tranken eine Zeit lang. Eine neue Runde Bier gab dem Gespräch eine philosophische Wendung. Der Grenzer stellte Guilford zur Rede, das verwitterte, braune Gesicht so grimmig wie eine Bärenschnauze: »Warum sind Sie hier, Mr. Law?«

 »Ich bin Photograph«, sagte Guilford. Er bedauerte, keine Kamera dabei zu haben; er hätte zu gerne Tom Compton photographiert. Dieses von der Sonne zerknitterte und im Bart ertrinkende Konterfei eines wilden Tieres.

 »Ich weiß, was sie tun«, sagte der Grenzer. »Warum Sie hier sind?«

Weil es gut war für seine Karriere. Um sich einen Namen zu machen. Um Bilder mit nach Hause zu bringen, eingefangen in Glas und Silber, Bilder von Flussbecken und Bergwiesen, die noch keines Menschen Auge gesehen hatte. »Ich weiß nicht«, hörte er sich sagen. »Neugier vermutlich.«

Tom Compton blickte ihn so scheel an, als habe Guilford soeben seine Lepra eingestanden. »Die Leute kommen hierher, weil sie vor etwas davonlaufen, Mr. Law. Oder weil sie hinter etwas her sind. Um ein bisschen Geld zu machen oder auch, wie unser Sullivan, um etwas zu lernen. Aber die Ich-weiß-nichte — vor denen muss man sich in Acht nehmen.«

* * *

Als die Flut stieg und das Schaukeln der Argus ihn einlullte, erinnerte Guilford sich noch an etwas anderes: Sullivan und Tom Compton unterhielten sich über das Hinterland, der Grenzer warnte und warnte… Die Flüsse des neuen Kontinents hätten sich ihren eigenen Weg gebahnt, der nicht immer den alten Karten entsprach; die Fauna sei gefährlich, die Nahrungssuche so schwierig, dass man sich ohne Proviant wie in einer Wüste vorkomme. Es gebe namenloses Fieber, nicht selten mit tödlichem Ausgang. Und was das Überqueren der Alpen anging: Na ja, meinte Tom, ein paar Trapper und Jäger hätten überlegt, die alte Sankt-Gotthard-Route zu nehmen; keine neue Idee. Dann seien wieder Geschichten aufs Tapet gekommen, Gespenstergeschichten, Gerüchte — völliger Blödsinn, so Sullivan verächtlich —, aber doch genug, um einen normalen Menschen zögern zu lassen… womit du aus dem Schneider bist, sagte Sullivan, und Tom hatte mit einem breiten Grinsen gesagt: Du auch, du alter Blödmann, was Guilford darüber im Unklaren ließ, zu welcher unausgesprochenen Übereinkunft es zwischen den beiden Männern gekommen war und was im tiefen Innern dieses riesigen, unwegsamen Landes auf sie lauerte.

Kapitel Sechs

Endlich England, dachte Colin Watson: Aber eigentlich war das ja gar nicht England, oder? Der kanadische Frachter dampfte die breite Flussmündung der Themse hinauf, der Bug zerteilte das Wasser, das den Gezeiten unterworfen war und die Farbe von grünem Tee hatte; das Ambiente war tropisch, zumindest um diese Jahreszeit. Eher wie Bombay oder Bihar, gar nicht wie zu Hause.

Er dachte an die Fracht, die unten in den Laderäumen schaukelte. Kohle aus Südafrika, Indien und Australien, ein kostbares Gut in diesen rebellischen Zeiten, da das Empire zerbröselte. Werkzeuge und Gussformen aus Kanada. Und Hunderte von Kisten mit Lee-Enfield-Gewehren[25] aus der Waffenschmiede in Alberta, alle für Kitcheners Spleen bestimmt, aus New London einen sicheren Hort in der Wildnis zu machen, wo bald wieder ein englischer König den Thron besteigen konnte.

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25

Lee (1831–1904), US-amerikanischer Gewehrkonstrukteur. Enfield, Standort der ›Royal Small Arms Factory‹ in (Alt) Groß-London.