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Und hatte sie hier zurückgelassen. Sie hasste dieses England, hasste es sogar, dieses Land so zu nennen. Sie hasste seine Geräusche, den Lärm der Menschen und mehr noch die Stimmen der Natur, die nachts durchs Fenster sickerten, Laute, deren Herkunft ihr völlig schleierhaft war, ein Geklapper wie von Insekten; ein Klagen wie von einem kleinen verletzten Hund. Sie hasste den Gestank dieses Englands und sie hasste seine giftigen Wälder und die spukenden Flüsse. London war ein Gefängnis, das von Monstern bewacht wurde.

Sie bog in die Uferstraße ein. Aus Gräben und Kanälen sickerten die Abwässer in die Themse; Möwen schossen mit heiseren Rufen übers Wasser. Caroline starrte unbeteiligt auf den Schiffsverkehr. Weit weg tauchte eine Schlammschlange aus dem Fluss, der gesprenkelte Hals stand wie ein Fragezeichen über dem schmutzig braunen Wasser. Caroline sah zu, wie Lastkräne ein Segelschiff löschten — der Kohlepreis ließ das gute alte Segel wieder aufleben, obwohl diese speziellen Segel in einer ungemein komplizierten Takelage saßen. Barhäuptige Männer und solche mit Turban kutschierten Kisten auf großen Frachtkarren und rollenden Plattformen; sonnenbeschienene Lastwagen dösten an schattigen Laderampen. Sie trat in das schattige Gebäude der Hafenbehörde, wo die Luft zwar zum Schneiden dick, aber eine Spur kühler war.

Jered kam auf sie zu und nahm ihr die Dose aus der Hand. Er bedankte sich auf seine fahrige Weise und sagte: »Sag Alice, ich komme zum Abendessen. Und sie soll ein Gedeck mehr auflegen.« Hinter ihm stand ein groß gewachsener Mann in einer sauberen aber fadenscheinigen Uniform, der sie frei heraus ansah. Jered bemerkte den Blick. »Oberleutnant Watson? Das ist Caroline Law, meine Nichte.«

Der Oberleutnant mit dem hageren Gesicht nickte ihr zu. »Miss«, sagte er gesetzt.

 »Mrs.«, stellte sie richtig.

 »Mrs. Law.«

 »Oberleutnant Watson wird für eine Weile im Hinterzimmer des Ladens wohnen.«

Caroline dachte: Ach, wirklich? Sie besah sich den Lieutenant genauer.

 »Die Kaserne ist überfüllt«, sagte Jered. »Wir nehmen ab und zu Gäste auf. Zu Ehren von König und Vaterland.«

Das ist nicht mein König, dachte Caroline. Und auch nicht mein Land.

Kapitel Sieben

 »Wissen Sie«, sagte Randall, »ich glaube, ich bevorzuge den altmodischen Gott; der braucht keine Wunder.«

 »Und die Wunder in der Bibel?«, erinnerte Vale den Professor. Wenn Randall trank, was er meistens tat, neigte er zu einer verdrossenen Theologie. Heute saß er in Vales Studio und entwickelte seine Gedanken, die Knöpfe drohten von der Weste zu springen und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.

 »Da gehören sie auch hin.« Randall nippte von dem teuren Bourbon. Vale hatte ihn nicht zuletzt für den Professor gekauft. »Soll Gott doch die Sodomiten heimsuchen. Die Belgier heimzusuchen ist irgendwie lächerlich.«

 »Seien Sie auf der Hut, Dr. Randall. Er könnte Sie heimsuchen.«

 »Das hätte er längst getan, wenn er gewollt hätte. Habe ich eine Blasphemie begangen, Mr. Vale? Dann begehe ich jetzt die nächste. Ich bezweifle, dass der Exitus von Europa eine göttliche Intervention war, egal was uns der Klerus weismacht.«

 »Diese Meinung ist nicht beliebt.«

Randalls Blick huschte über die zugezogenen Vorhänge und den Schutzwall aus Büchern. »Hört jemand mit?«

 »Nein.«

 »Ich halte es für eine Naturkatastrophe. Das Wunder, meine ich. Offensichtlich eine Katastrophe der besonderen Art, aber wer noch nie, sagen wir, einen Tornado erlebt hat und noch nie von einem gehört hat, muss der ihn nicht für ein Wunder halten?«

 »Naturkatastrophen wurden immer als Eingriff Gottes betrachtet.«

 »Auch wenn der Tornado nichts weiter als ein Unwetter ist, genauso übernatürlich wie ein Frühlingsregen?«

 »Vielleicht ist der Frühlingsregen ja übernatürlich. Nein, Sie sind ein Skeptiker, Dr. Randall.«

 »Jeder ist ein Skeptiker. Hat Gott sich gebückt und trägt die Erde seitdem seinen Daumenabdruck? William Jennings Bryan[29] lag viel an der Antwort, mir nicht.«

 »Nein?«

 »Es ist das Motiv. Sehen Sie, eine Menge Leute haben politisches Kapital aus Frömmigkeit und Fremdenfeindlichkeit geschlagen, doch das trägt nicht. Es gibt nicht genug Ausländer und Wunder, um die Krise in Gang zu halten. Die eigentliche Frage ist, wie viel wir bis dahin zu leiden bereit sind. Ich rede von politischer Intoleranz, unzumutbaren Steuern, ja sogar von Krieg.«

Vale weitete ein klein wenig die Augen, das einzige Zeichen der Erregung, die in ihm aufloderte. Die Götter spitzten die Ohren. »Krieg?«

Vielleicht wusste Randall ja etwas. Er war Kurator am Smithsonian, gehörte aber auch zu den Kapitalbeschaffern des Instituts. Er hatte vor Kongressausschüssen geredet und hatte Freunde im Senat.

War das der Grund, warum sich die Gottheit für Randall interessierte? Einer Gottheit zu dienen, brachte es ironischerweise mit sich, dass man entweder das Wie oder das Wozu nicht verstand. Oft genug jedenfalls. Er ahnte lediglich, dass hier etwas auf dem Spiel stand, das seine eigenen Ambitionen zur Bedeutungslosigkeit verblassen ließ. Der ewige Ratschluss sah vor, dass er diesen beleibten Zyniker ins Vertrauen zog, und das genügte. Ich werde belohnt, dachte Vale. Das hatte die Gottheit versprochen. Ewiges Leben vielleicht. Und bis dahin ein gutes Auskommen.

 »Krieg«, sagte Randall, »zumindest aber ein paar martialische Manöver, um die Briten in ihre Schranken zu weisen. Die Finch-Expedition… Sie haben davon gehört?«

 »Aber sicher.«

 »Sollte die Finch-Expedition von Partisanen attackiert werden, wird der Kongress Krach schlagen und den Engländern die Hölle heiß machen. Die Säbel werden nur so rasseln. Junge Männer werden sterben.« Randall lehnte sich vor, die Halslappen zerknittert und fleischig. »Das ist doch das Blaue vom Himmel. Ich meine, dass Sie mit den Toten reden können. Oder?«

Als öffne sich eine Tür. Vale lächelte nur. »Was glauben Sie?«

 »Was ich glaube? Ich halte Sie für einen Hochstapler, der wie Seife duftet und weiß, wie man einer Witwe schmeichelt. Nichts für ungut.«

 »Warum fragen sie dann?«

 »Weil… weil die Umstände sich geändert haben. Sie wissen schon.«

 »Ich bin mir nicht sicher.«

 »Ich glaube nicht an Wunder, aber…«

 »Aber?«

 »So viel hat sich geändert. Politik, Geld, Mode — die Landkarte vor allem —, aber das ist nicht alles. Ich beobachte Leute, gewisse Leute, und da ist etwas in diesen Augen, diesen Gesichtern. Etwas Neues. Als hätten sie ein Geheimnis, das sie vor sich selbst hüten müssten. Und das macht mir Sorge. Ich begreife das nicht. Sehen Sie, Mr. Vale, eben noch war ich Skeptiker und jetzt bin ich Mystiker. Schieben Sie es auf den Bourbon. Aber ich frage Sie noch einmal. Reden Sie mit den Toten?«

 »Ja. Ich rede mit ihnen.«

 »Ehrlich?«

 »Ehrlich.«

 »Und was sagen Ihnen die Toten, Mr. Vale? Worüber reden die Toten?«

 »Über das Leben. Das Schicksal der Welt.«

 »Irgendwelche Einzelheiten?«

 »Oft.«

 »Tja, das ist mir ein Rätsel. Meine Frau ist tot, müssen Sie wissen. Letztes Jahr. Eine Lungenentzündung.«

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29

William Jennings Bryan (geb. 1860), amerikanischer Politiker u. Rechtsanwalt.