PS an Caroline & Lily: Vermisse euch sehr, kommt mir vor, als würde ich mit euch reden auf diesen Seiten, auchwenn ich sehr weit weg bin — tief im verlorenen (oder Neuen) Kontinent, eine seltsame Fremdheit, wohin man auch sieht.
Der Pelztierzüchter entpuppte sich als starrköpfiger Deutsch-Amerikaner, der sich ›Erasmus‹ nannte und auf einer Farm abseits vom Fluss seine Wollschlangenzucht betrieb.
Die Wollschlange, so Sullivan, war zur Zeit der ergiebigste Rohstoff des Kontinents. Pflanzenfressende Herdentiere, die auf den Hochlandwiesen lebten und vermutlich die ganze östliche Steppe bevölkerten; Donnegan war ihnen am Fuß der Pyrenäen begegnet, was nahelegte, dass sie weit verbreitet waren. Guilford war fasziniert und verbrachte fast den ganzen restlichen Tag am Kral dieses Erasmus, und das trotz des penetranten Geruchs, der das bei weitem Unerfreulichste an diesen Tieren war.
Eigentlich, dachte Guilford, erinnerten sie weniger an Schlangen als an Larven — aufgedunsene, bleiche ›Gesichter‹ mit Kuhaugen, walzenförmige Körper auf sechs Beinen, die hinter einem Vorhang aus verfilzten Haarsträngen verschwanden. Als Ressource waren sie ein Sears-Roebuck-Katalog:[32] Wolle für Kleidung, Haut für Leder, Fett für Talg und das milde Fleisch war genießbar. Schlangenwolle war der Hauptwirtschaftsfaktor am Rhein und Schlangenwolle, so Sullivan, habe bereits ihr Debüt in New Yorker Modekreisen gehabt. Entweder, überlegte Guilford, überstand der üble Geruch das Scheren nicht oder niemand würde so etwas anziehen, auch nicht in einem New Yorker Winter.
Und nicht zu vergessen, die Wollschlange war ein zuverlässiges Packtier, das die Erkundung der Alpen enorm erleichtern würde. Preston Finch saß bereits mit Erasmus in dessen Torfhütte und feilschte um fünfzehn oder zwanzig Tiere. Und Erasmus schien hart zur Sache zu gehen, denn als Diggs das Kantinenzelt aufgestellt hatte, verhandelten die beiden immer noch und es ging laut her in der Hütte.
Schließlich stürmte Finch ins Freie und ignorierte das Essen. »Ein schrecklicher Mensch«, knurrte er. »Sympathisiert mit den Partisanen. Zwecklos.«
Der Navy-Lotse und die Crew blieben an Bord der Weston und trafen Vorbereitungen, um mit Proben, Sammlungen, Feldnotizen und Post den Rückweg anzutreten. Guilford, Sullivan, Keck und Tom Compton saßen auf einer Klippe über dem Fluss, labten sich an Digbys aufgewärmtem Corned Beef und sahen zu, wie die Sonne gen Westen sank.
»Das Dumme an Finch ist«, sagte Sullivan, »dass er nicht ein Jota nachgeben kann.«
»Das kann Erasmus auch nicht«, sagte Tom Compton. »Er ist kein Partisan, nur ein brauchbarer Dummkopf. Verbrachte drei Jahre in Jeffersonville und makelte mit Häuten, aber keiner hielt es lange bei ihm aus. Er kann nicht unter Menschen leben.«
»Die Tiere sind interessant«, sagte Guilford. Wie die Thoats in dem Roman von Burroughs. Marsianische Maultiere.
»Dann würde ich sie doch gleich mal photographieren«, sagte Tom Compton und verdrehte die Augen.
Am Morgen war klar, dass die Verhandlungen gescheitert waren. Finch wollte nicht mehr mit Erasmus reden, wenngleich er den Lotsen der Weston bat, noch bis morgen zu warten. Sullivan, Gillvany und Robertson streiften durch die Gehölze in der Nähe der Erasmus-Weiden und sammelten Proben, offenbar in der Hoffnung, die Sache würde sich durch irgendein Wunder zum Guten wenden. Und Guilford baute am Kral seine Kamera auf.
Was Erasmus veranlasste, sich wie ein Giftzwerg aus seiner windschiefen Torfhütte zu stürzen. Guilford hatte selbst noch keine Bekanntschaft mit dem Züchter gemacht und versuchte, nicht mit der Wimper zu zucken.
Erasmus — kaum größer als fünf Fuß, das Gesicht in einem biblisch gelockten Bart versteckt, angezogen mit einem geflickten Köperoverall und einem Umhang aus Wollschlangenhaut, blieb schwer atmend stehen und funkelte Guilford aus sicherem Abstand an. Guilford nickte freundlich und fuhr fort, sein Stativ zu justieren. Sollte dieser Sam Hawkins doch den ersten Schritt tun.
Erasmus brauchte Zeit, bis er den Mund aufmachte: »Können Sie mir sagen, was Sie da machen?«
»Ich photographiere die Tiere, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Da hätte ich doch erst mal gefragt.«
Guilford reagierte nicht. Erasmus atmete schwer, dann: »Dann ist das also eine Kamera?«
»Ja, Sir«, sagte Guilford, »eine Kodak-Plattenkamera.«
»Sie machen Platten-Photos? Wie im National Geographic?«
»Kann man so sagen.«
»Sie kennen das Magazin — National Geographic?«
»Ich habe dafür gearbeitet.«
»Häh? Wann?«
»Letztes Jahr. Deep Creek Canyon, Montana.«
»Das waren Ihre Bilder? Dezember 1919?«
Guilford besah sich den Mann genauer. »Sind Sie Mitglied der National Geographic Society, Mr…, äh… Erasmus?«
»Sagen Sie einfach Erasmus. Und Sie?«
»Guilford Law.«
»Tja, Mr. Guilford Law, ich bin kein Mitglied dieser ehrenwerten Gesellschaft, aber das Magazin kommt hin und wieder den Fluss herauf. Ich nehme es in Zahlung. Lesestoff ist schwer zu bekommen. Ich kenne Ihre Photographien.« Er zauderte. »Diese Bilder von meiner Herde — werden sie veröffentlicht?«
»Vielleicht«, sagte Guilford. »Das entscheiden andere.«
»Verstehe.« Erasmus überlegte. Dann sog er lange und kräftig von der strengen Kralluft. »Hätten Sie Lust, in meine Hütte zu kommen, Guilford Law? Jetzt wo Finch fort ist, könnten wir plaudern.«
Guilford bestaunte die Sammlung auf dem Wandbrett, alles in allem fünfzehn Ausgaben des National Geographic, die meisten mit Wasserflecken und Eselsohren, ein paar wurden durch Bindfaden zusammengehalten, darunter ramponierte, obszöne Postkarten, billige Wildwestromane und ein noch relativ junges Argosy, das er noch nicht kannte.
Er sprach sich anerkennend über die dürftige Bibliothek aus und schwieg über den festgetretenen Erdboden, den Gestank nach gepökelten Fellen, die brütende Hitze, das trübe Licht und den schmutzigen Tisch mit alten Essensspuren.
Angeregt durch Erasmus, erging Guilford sich eine Weile in Erinnerungen an Deep Creek Canyon, den Gallatin River, Walcotts winzige, versteinerte Krustentierchen: Flusskrebse aus dem Kieselschiefer, unvorstellbar alt — wenn man sich über Finchs Vorbehalt hinwegsetzte. Ironischerweise fand Erasmus, ein alter darwinischer Fuchs, der in Milwaukee geboren war und flussab von Rheinfelden lebte, die Idee von Montana-Flussbetten ungemein exotisch.
Die Unterhaltung lief dann doch auf das Anliegen von Preston Finch hinaus. »Nichts für ungut«, sagte Erasmus, »aber er ist ein großspuriger Angeber, damit das klar ist. Will zwanzig Tiere für zehn Dollar das Stück, stellen Sie sich vor?«
»Der Preis ist nicht fair?«
»Oh, der Preis ist fair — mehr als das, wirklich; das ist es nicht.«
»Sie wollen keine zwanzig verkaufen?«
»Sicher will ich. Zwanzig Tiere zu dem Preis brächten mich über den Winter.«
»Und wo, wenn ich fragen darf, liegt dann das Problem?«
»Finch! Finch ist das Problem! Er kommt in meine Hütte, trägt die Nase in der Luft und behandelt mich wie ein Kind. Preston Finch! Dem werd ich keinen Rossapfel verkaufen, und wenn er mir ein Vermögen bietet. Lieber würde ich verhungern.«
Guilford suchte nach einem Ausweg. »Erasmus«, sagte er schließlich, »mit diesen Tieren erreichen wir mehr, mit diesen Tieren kommen wir weiter voran. Je erfolgreicher die Expedition, umso wahrscheinlicher werden Sie meine Photographien gedruckt sehen. Vielleicht sogar im Geographic.«