»Meine Tiere?«
»Ihre Tiere und Sie selbst, wenn Sie sich photographieren lassen.«
Der Viehzüchter strich sich über den Bart. »Na ja. Na ja. Ich würde mich ja photographieren lassen. Aber nein. Ich bleibe dabei. Ich verkaufe nicht an Finch.«
»Einverstanden. Und wenn ich Sie nun bitte, die Tiere mir zu verkaufen?«
Erasmus blinzelte und lächelte träge. »Dann kämen wir womöglich ins Geschäft. Aber hören Sie, Guilford Law, so einfach ist das nicht. Die Tiere werden eure Boote über den Rheinfall tragen und ihr könntet wahrscheinlich bis zum Bodensee fahren, aber wenn ihr Packtiere in den Alpen braucht, dann müsst ihr sie vom Rheinfall bis ans Seeufer treiben.«
»Sie wären der richtige Mann dafür.«
»Jaja, das wäre nicht das erste Mal. Viele Herden überwintern dort. Von da hab ich die meisten Tiere. Für Sie würde ich es tun, klar — umsonst natürlich nicht.«
»Ich habe keine Vollmacht zu verhandeln, Erasmus.«
»Blödsinn. Bereden wir die Einzelheiten. Und dann machen Sie damit, was Sie können.«
»In Ordnung… nur eins noch.«
»Was?«
»Könnten Sie sich von dem Argosy trennen?«
»Äh? Nein. Glaube nicht. Es sei denn, Sie könnten etwas in Zahlung geben.«
Guilford fragte sich, ob Dr. Farr seine Diluvian and Noachian Geognosy überhaupt vermissen würde.
Unterhalb von Rheinfelden die Farm von Erasmus. Der Kral, die Wollschlangen. Erasmus bei seiner Herde. Sturmwolken im NW; Tom Compton sagt, es gibt Regen.
PS. Mit Hilfe der ›marsianischen Maultiere‹ können wir die zusammenlegbaren Motorbarkassen an den Kaskaden vorbeischaffen — raffinierte Leichtkonstruktionen aus weißer Eiche und Michigan-Kiefer, sechzehn Fuß lang, mit wasserdichtem Stauraum und abnehmbarem Schwert — und dann wahrscheinlich bis zum Lake Constance fahren (Erasmus nennt ihn Bodensee). Die Weston bringt alles, was wir bis jetzt gesammelt und notiert haben, nach J’ville.
Preston Finch scheint mir das Gespräch mit Erasmus übelzunehmen — er guckt mich an wie ein zürnender Jehova mit Tropenhelm —, nur Tom Compton scheint beeindruckt: Immerhin spricht er neuerdings mit mir und nimmt mich nicht mehr nur Sullivan zuliebe in Kauf. Bot mir sogar einen Zug aus seiner notorischen & speichelnassen Pfeife an, was ich höflich abgelehnt habe, auch wenn uns das wieder zurückwarf — er ist dazu übergegangen, mir mit seinem Wachstuchbeutel getrockneter Blätter zu winken & dabei auf eine Weise zu lachen, die nicht gerade schmeichelhaft ist.
Wenn das Wetter mitspielt, marschieren wir morgen früh los. Die Heimat war noch nie so weit entfernt wie jetzt und das Land wird mit jedem Tag fremder.
Kapitel Neun
Caroline passte sich dem seltsamen Rhythmus von Onkel Jereds Haushalt an. Wie London und der größte Teil der heutigen Welt hatte auch das Haus ihres Onkels den Charakter eines Provisoriums. Er ging zu ungewöhnlichen Zeiten schlafen und stand zu ebenso ungewöhnlichen Zeiten auf. Häufig überließ er Alice den Laden (und immer häufiger Caroline). Sie kannte sich zunehmend besser mit Schrauben, Muttern, Winden und Nägeln und gelöschtem Kalk aus. Und dann war da noch das mäßig unterhaltsame Rätsel namens Colin Watson, das auf einem Feldbett im hinteren Teil des Ladens schlief und sich wie ein ruheloses Gespenst hinaus- und hereinschlich. In regelmäßigen Abständen nahm er am Abendessen der Pierce teil, war tadellos höflich und etwa so gesprächig wie ein Backstein. Er war hager, aß nicht viel und errötete leichter als Caroline es von einem Soldaten erwartet hätte. Obwohl die Tischgespräche von Onkel Jered manchmal ziemlich derb waren.
Lily hatte sich erstaunlich gut an die neuen Verhältnisse gewöhnt, weniger gut an die Abwesenheit ihres Vaters. Von Zeit zu Zeit fragte sie immer noch nach ihrem Daddy. »Dein Vater hat den englischen Kanal überquert«, erklärte ihr Caroline. »Er ist jetzt da, wo vor ihm noch kein Mensch war.«
»Ist er auch vorsichtig?«
»Sehr vorsichtig. Und sehr tapfer.«
Lily fragte meistens vor dem Einschlafen. Es war Guilford, der ihr immer vorgelesen hatte, ein Ritual, auf das Caroline gegen alle Vernunft ein bisschen eifersüchtig gewesen war. Guilford las Lily mit einer Ernsthaftigkeit vor, die Caroline nicht aufbrachte, weil sie mit den Büchern haderte, die Lily so gern hatte und in denen es immer nur um Feen und Monster ging. Doch Caroline übernahm die Aufgabe und brachte so viel Enthusiasmus auf, wie sie irgend konnte. Lily brauchte einfach den guten Ausgang einer Geschichte, bevor sie sich richtig entspannen, ihre Wachsamkeit aufgeben und einschlafen konnte.
Caroline fand dieses Ritual beneidenswert einfach. Allzu oft trug sie die Bürde aus Ungewissheit und Sorge bis weit in die Morgenstunden hinein.
Trotzdem, die Sommernächte waren warm, und die Luft trug einen Duft, der fremd aber nicht unangenehm war. Gewisse hiesige Pflanzen, so Jered, blühten nur bei Nacht. Caroline malte sich fremdartige Mohnblumen aus, mit schweren Blüten und betäubender Wirkung. Sie gewöhnte sich an, das Schlafzimmerfenster offen und die blumige Brise über ihr Gesicht fächeln zu lassen. Mit jeder Sommernacht fand sie leichter in den Schlaf.
Als der Juli zur Neige ging, war es Lilys Schlaflosigkeit, die darauf hindeutete, dass sich in Jereds Haus etwas verändert hatte.
Lily hatte dunkle Ränder unter den Augen. Lily stocherte wie betäubt in ihrem Frühstück herum. Lily schweigsam und verbissen am Mittagstisch, sich von Carolines Onkel wegduckend.
Caroline wollte der Sache nicht auf den Grund gehen — wollte nicht wahrhaben, dass etwas nicht stimmte, hasste die Vorstellung, es könne noch schlimmer kommen, als es ohnehin schon war. Eines warmen Abends, als Lily immer noch unruhig war, obgleich sie ihr zwei Kapitel aus ›Dorothy‹ vorgelesen hatte, wie Lily diese ewig gleichen Märchen nannte, da nahm sie all ihren Mut zusammen.
Das kleine Mädchen zog sich die Decke übers Kinn. »Ich werde immer wach, wenn sie kämpfen.«
»Wenn wer kämpft, Lily?«
»Tante Alice und Onkel Jered.«
Caroline wollte es nicht glauben. Lily musste andere Stimmen hören, von der Straße vielleicht.
Doch Lilys Zimmerchen hatte nicht mehr als ein Guckloch, das auf ein Seitengässchen ging und nicht auf die geschäftige Marktstraße. Es war tatsächlich eine ausgebaute Abstellkammer im hinteren Flur; Jered hatte daraus ein winziges aber gemütliches Schlafzimmer für seine Nichte gemacht. Genug Platz für ein Mädchen, seinen Teddy und seine Mutter, die ein Weilchen sitzenblieb und vorlas.
Doch das Zimmerchen teilte sich eine Wand mit dem Schlafzimmer von Jered und Alice, und diese Wände waren nicht besonders dick. Stritten Jered und Alice zu später Stunde, wenn sie sich allein wähnten? Die beiden schienen ganz glücklich zu sein… ein bisschen reserviert vielleicht, jeder in seiner eigenen Welt, wie es bei älteren Paaren keine Seltenheit war, aber zufrieden eben. Sie konnten sich noch nicht lange so streiten oder Lily hätte sich beklagt oder zumindest Symptome gezeigt.
Die Streiterei musste begonnen haben, nachdem Colin Watson hier angekommen war.
Caroline riet Lily, die Stimmen einfach zu überhören. Tante Alice und Onkel Jered seien nicht wirklich böse miteinander, sie hätten nur Meinungsverschiedenheiten. Sie würden einander wirklich sehr lieb haben. Lily schien das zu akzeptieren, nickte und schloss die Augen. Im Laufe der nächsten Tage besserte sich ihr Verhalten ein wenig, obwohl sie ihrem Onkel nach wie vor aus dem Weg ging. Caroline verdrängte die Sache, und dachte nicht mehr daran bis zu jener Nacht, da ihr über einem Kapitel von ›Dorothy‹ die Augen zufielen und sie irgendwann nach Mitternacht verkrampft und mit Gliederschmerzen neben Lily aufwachte.