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Randall wollte mit seiner geliebten Louisa Ellen sprechen, der Frau mit dem Pferdegesicht auf den Photographien, und Vale tat so, als rufe er sie über die große Kluft hinweg, die Augen verdreht, um die eigene Todesangst zu kaschieren. In Wahrheit wich er in sich selbst zurück, ging der Gottheit aus dem Weg und wurde passiv. Er atmete nicht, er wurde beatmet, er war ein Spielball der Gezeiten aus Galle und Blut.

Wie aus weiter Ferne hörte er die halbherzigen Fragen von Randall, obwohl der emotionale Kern peinlich offen zu Tage trat. Randall, der eingefleischte Rationalist, wollte mit der Kraft der Verzweiflung glauben, er könne mit Louisa Ellen sprechen, die vor weniger als einem Jahr an einer tückischen Lungenentzündung gestorben war; doch es fiel ihm schwer, seine eingefleischte Denkungsart aufzugeben. Also stellte er Fragen, die nur Louisa Ellen beantworten konnte, wollte Beweise und litt schreckliche Angst, sie nicht zu bekommen.

Und Vale spürte zum ersten Mal eine andere zusätzliche Präsenz. Eine gequälte, partielle Entität — eine Hülse aus Leid, die durchaus einmal Louisa Ellen Randall gewesen sein mochte.

Ihre Stimme würgte sich aus seinem Kehlkopf. Die Gottheit modulierte den Klang.

Ja, sagte Vale, sie erinnere sich an den Sommer in Maine lange vor dem Neuen Europa, das kleine Ferienhaus am Meer, und es hatte geregnet, so war es doch, den ganzen kühlen Juli hindurch hatte es geregnet, aber darunter habe sie nicht gelitten, sie sei vielmehr dankbar gewesen für jeden Spaziergang am Strand, wann immer die Wolken sich verzogen hatten, und für das Kaminfeuer am Abend, für ihre Sammlung von kreideweißen Muscheln und Schneckenhäusern, für die Patchwork-Steppdecke und das Federbett.

Und so weiter und so fort…

Und als Randall, gerötet vom Pulsschlag in seinen verengten Adern, fragte: »Louisa, du bist es tatsächlich, hab ich Recht?« — da sagte Vale »ja«. Als Randall fragte: »Geht es dir gut?« — da sagte Vale »natürlich«. Hier schwankte seine Stimme ein wenig, weil ihm Louisa Ellen Randall ihre Pein ins Hirn schrie und ihren Hass auf diese Gottheit, die sie entführt hatte, die sie gegen ihren Willen aus… aus…

Aber so sind die Mysterien.

Die Stimme hörte sich nur noch an wie die von Louisa Ellen, als Randalls Skepsis aus der Betäubung erwachte und Vales Gottheit einen Coup de Grâce landete, ein Orakel, eine Prophezeiung: eine Warnung an Randall, die Finch-Expedition sei zum Scheitern verurteilt und er, Randall, solle sich gegen die politischen Folgen wappnen. »Die Partisanen haben die Weston bereits beschossen«, sagte Vale, und Randall erbleichte.

Das war eine knappe und wundersame Prophezeiung. Am Abend des nächsten Tages kamen die Nachrichtenagenturen groß damit heraus. Die Zeitungen in Washington brachten es in Balkenschrift.

Hätte Vale davon gewusst, es hätte ihn nicht gekümmert. Die Gottheit hatte ihn verlassen, das war das Einzige, was zählte. Sein gepeinigter Leib gehörte wieder ihm, und es gab genug Alkohol im Haus, um die Labsal des Vergessens herbeizutrinken.

Kapitel Vierzehn

Lake Constance.

Geographisch gesehen war der Bodensee nicht mehr als eine Erweiterung des Flusses. Doch im Morgennebel hätte er ein weites, friedliches Meer sein können, sanft wie Seide, die junge Sonne stellte silbrige Segel in den Nebel. Das Nordufer, gerade noch zu erkennen, war eine felsige, dicht bewaldete Ungewissheit, Moscheebäume und Salbeikiefern und Bestände eines breitblättrigen, weißstämmigen Baums, für den nicht einmal Tom Compton einen Namen hatte. Kreiselnde Schwärme von Nachtfalken fegten über das schimmernde Wasser.

 »Vor mehr als tausend Jahren«, sagte Avery Keck, »gab es an diesen Ufern ein römisches Fort.« Keck hatte in der Perspicacity den Platz von Gillvany eingenommen, er ließ sich durch die holprigen Synkopen des kleinen Motors nicht stören. »Im Mittelalter war Konstanz eine der mächtigsten Städte in Europa. Eine lombardische Stadt auf der Handelsroute zwischen Deutschland und Italien. Jetzt sieht es aus, als hätte sie nie existiert. Nur Wasser. Nur Felsen.«

Guilford wunderte sich laut. Was bloß mit den Europäern passiert sei? Waren sie einfach gestorben? Oder zu einer spiegelbildlichen Erde ausgewandert, auf der Europa intakt geblieben und die übrige Welt verwandelt worden war?

Keck war ein ausgemergelter Mann um die Vierzig mit dem Gesicht eines Leichenbestatters aus der Provinz. Er bedachte Guilford mit einem trübseligen Blick. »Dann haben die Europäer ihre eigene, unberührte Wildnis, die sie auf den Kopf stellen und sich gegenseitig streitig machen können. So wie wir, Gott stehe ihnen bei.«

Lager am Bodensee. Diggs an seiner Feuerstelle. Sullivan, Betts & Hemphill an ihren Zelten. Wiese grün mit einer kleinen, um sich greifenden Blattpflanze, die an türkisfarbenen Klee erinnert. Hohe Wolkendecke, frischer, böiger Wind.

PS. Vielleicht sollte ich aufhören, diese Notizen als ›Postscriptum‹ zu bezeichnen & zugeben, dass es sich um Zeilen an Caroline handelt. Caroline, ich hoffe, du bekommst sie bald zu sehen.

Seit dem tragischen Tod von Gillvany verlief die Reise ohne größere Zwischenfalle, aber dieser eine Zwischenfall hängt wie eine düstere Wolke über uns. Besonders Finch ist verdrossen und wortkarg geworden. Ich glaube, er macht sich Vorwürfe. Er schreibt unentwegt in sein Notizbuch & redet kaum.

Wir kampieren im Weideland, das Erasmus beschrieben hat. Habe riesige Herden von wilden Wollschlangen gesehen, die über Land ziehen wie Wolkenschatten aneinem sonnigen Tag. Der findige Tom Compton hat sich angepirscht und ein Exemplar erlegt. Heute ist Schlangenfleisch angesagt — fettige Steaks, die wie wildes Geflügel schmecken, endlich mal keine Konserven. Die Boote sind sicher verstaut, ein gutes Stück über dem Wasserpegel, gut versteckt unter Zeltplanen & einem bemoosten Granitsims & nur zu finden, wenn man weiß, wonach man sucht. Doch wer sollte das sein in diesem menschenleeren Land?

Wir warten auf Erasmus und die Packtiere mit unserem Proviant. Tom Compton ist immer noch der Meinung, wir hätten die Tiere umsonst haben können — sie sind (nichtselten buchstäblich) allgegenwärtig — aber Erasmussens Tiere sind an Gepäck und Zaumzeug gewöhnt und haben uns viel Arbeit abgenommen.

Immer vorausgesetzt, Erasmus kommt wie verabredet.

Wir kennen uns inzwischen ganz gut — mit all unseren Marotten & Vorlieben — und ich hatte sogar ein paar lohnende Gespräche mit Tom Compton, der mich seit dem Beinaheverlust der Perspicacity mit mehr Respekt behandelt. In seinen Augen bin ich zwar immer noch der verwöhnte Oststaatler, der sich seine Donuts mit einem Photo-Kasten verdient (wie er es nennt), hatte aber genug Initiative bewiesen, um ihn zu beeindrucken.

Seine Skepsis kommt nicht von ungefähr. Geboren in San Francisco, ein Mischling, der von der Hand in den Mund lebte, nach eigenen Angaben ein Abkömmling von Sklaven, Indianern & gescheiterten Goldsuchern —, brachte er sich selbst das Lesen bei und fand eine Anstellung in der Handelsmarine und landete schließlich in Jeffersonville, einer rauen Siedlung, wo seine Talente gefragt waren und seine Manieren nicht weiter auffielen.

Ich weiß, du würdest ihn grob finden, Caroline, aber er hat einen guten Kern & man kann sich auf ihn verlassen. Ich bin froh, dass er bei uns ist.

Wir warten nun schon eine Woche auf Erasmus und werden, wenn nötig, noch länger warten. Zum Glück habe ich das Argosy, das ich für Finchs Geo-Wälzer bekommen habe. Das Magazin enthält eine Folge von E. R. Burroughs’ ›Lost Kingdom of Darwinia‹, Neues aus dem fiktiven ›ancient hinterland‹ mit seinen Dinosauriern, seinen edlen Wilden und seiner Dynastie aus bösartigen Junkern, die das Sagen haben. Eine Prinzessin muss gerettet werden. Ich weiß, wie sehr du diese Art von ›Literatur‹ verachtest, Caroline, und ich muss zugeben, dass selbst das wilde Darwinia von Burroughs vor der Wirklichkeit verblasst: diese allzu massiven Felsen und die dunklen, kühlen Wälder. Aber das Magazin ist eine wunderbareAblenkung & die anderen beneiden mich, denn ich leihe es nur ungern aus.