Ich stelle fest, dass ich mich wieder auf die Zivilisation freue — die hohen Gebäude, die Zeitungskioske und das alles.
Erasmus und die Packtiere sind eingetroffen, Finch hat ihm angeboten, den Scheck auf eine Bank in Jeffersonville auszustellen und Erasmus war einverstanden. Er verbrachte den Abend im Lager und brachte, was Gillvanys Tod anging, zwar sein Beileid zum Ausdruck, zeigte sich aber nicht überrascht.
Doch seine Ankunft wurde von einer Entdeckung überschattet. Avery Keck und Tom Compton waren wieder auf Jagd gewesen und Keck hatte zweierlei im Auge gehabt: die geographischen Gegebenheiten und die Methoden des Grenzers. Nicht dass die Jagd auf Wollschlangen viel Geschick erfordere, wie Keck am Lagerfeuer erklärte. Sie hatten einfach ein Tier von der Herde getrennt und Tom Compton hatte es mit einem einzigen Schuss aus seiner Flinte erlegt. Die Beute zum Lager zu schaffen, sei das eigentliche Problem.
Interessanter allerdings, sagte Keck, sei das Insektennest gewesen, an dem man vorbeigekommen war — das Nest und die dazugehörige Abfallhalde.
Diese Insekten waren zehnbeinige, wirbellose Fleischfresser, entfernt verwandt mit den Stumpfläufern, denen Guilford schon begegnet war. Sie untertunnelten sumpfige Flachlandbereiche, wo der Boden locker und nass war. Verirrte sich ein größeres Tier in ihr Territorium, wurde es wiederholt von den giftigen Drohnen der Kolonie gebissen, dann von Schwärmen überfallen und ausgeschlachtet. Die sauber abgenagten Knochen wurden akribisch an den Rand der Kolonie geschafft — die besagte Abfallhalde.
»Je älter die Kolonie, umso größer die Halde«, sagte Keck. »Im Rheinischen Tiefland habe ich ein Nest gesehen, das wie ein Feenkreis gewachsen war, gut hundert Meter im Durchmesser. Das Nest, das Tom und ich gefunden haben, gehört schon zu den größeren. Ein perfekter Kreis aus porösen, ausgebleichten Knochen. Hauptsächlich von Wollschlangen, aber…« — Keck nahm etwas in Wachstuch Verpacktes und schlug das Wachstuch auseinander — »… wir haben auch das gefunden.«
Es war ein langer, hoch gewölbter Schädel mit spitzen Zähnen. Er war weiß wie poliertes Elfenbein und schimmerte im Schein der Flammen.
»Na, Scheiße!«, rief Diggs und erntete einen konsternierten Blick von Preston Finch.
Guilford sah Sullivan an. Der nickte: »Sieht aus wie der Schädel, den wir in London gesehen haben.« Er schilderte das Museum für Monstrositäten. »Interessant. Sieht mir nach einem großen Raubtier aus, das weit verbreitet war, früher jedenfalls.«
»Früher?«, fragte Finch verächtlich. »Meinen Sie 1913 oder 1915?«
Sullivan ließ sich nicht beirren. »Wie alt schätzen sie diesen Fund, Mr. Keck?«
»Schwer zu sagen. Keine Spuren von Fossilisation oder Verwitterung, also — relativ jung.«
»Was heißt, dass wir dieser Bestie bequem in die Arme laufen könnten«, warf Ed Betts ein. »Dann sollten die Pistolen geladen sein.«
Allerdings hatte Tom Compton bei all seinen Streifzügen noch nie ein lebendiges Exemplar zu Gesicht bekommen, auch nicht Erasmus, der Wollschlangenzüchter: »Obwohl es Leute gibt, die nicht mehr aus dem Busch zurückkommen.«
»Sieht aus wie ein Bär«, meinte Diggs. »Wie ein ausgewachsener kalifornischer Grizzly. Unsere Abfälle könnten ihn anlocken. Wie wär’s, wenn wir das Lager ab sofort ein bisschen schärfer bewachten?«
»Vielleicht meiden sie Menschen«, sagte Sullivan. »Vielleicht haben sie Angst vor uns.«
»Kann sein«, sagte Tom. »Aber dieses Maul verschlingt ein halbes Bein und kann es bestimmt auch abbeißen. Wenn die Angst vor uns haben, dann sollten wir auch Angst vor denen haben.«
»Wir verdoppeln die Nachtwache«, entschied Finch.
Auch Eden hat seine Schlange, dachte Guilford.
Im Morgengrauen brachen sie nach Süden auf, vor sich das sanft gewellte Grasland, dahinter die Berge. Die Wollschlangen gaben passable Reittiere ab — den Tieren war es gleich, welche Last sie trugen, und sie waren selbst mit primitivem Zaumzeug gut zu führen —, doch die Leiber waren einfach zu breit, als dass man es rittlings darauf ausgehalten hätte (ganz abgesehen von den fettigen Absonderungen und dem penetranten Gestank); auch war bis jetzt noch kein vernünftiger Schlangensattel erfunden.
Guilford zog es vor, zu Fuß zu gehen, auch noch am dritten Tag, als der Marsch so mörderisch wurde, dass Waden, Knöchel und Oberschenkel wie mit einer Stimme protestierten.
Die grasbewachsenen Hügel klommen ständig bergan. Trinkwasser war jetzt schwerer zu finden, obwohl die Wollschlangen einen Bach oder Teich aus einer Meile Entfernung witterten. Und das Gebirge am Horizont, Gegenstand von Kecks beharrlichen Triangulationen, war eine allzu deutliche Barriere: Ende der Straße, selbst wenn Finch und Genossen da, wo Brenner oder Mont Genevre gewesen waren, einen geeigneten Pass fanden.
Dann machen wir kehrt, dachte Guilford, und bringen die gepressten Pflanzen und aufgespießten Insekten nach Amerika zurück, und die Leute werden sagen, wir hättendazu beigetragen, den Kontinent zu ›zähmen‹, obwohl das ein Witz ist: Was wir hier in Erfahrung bringen, ist ein Fliegenschiss auf einem einzigen riesigen weißen Fleck.
Aber er war stolz auf ihre Leistung. Wir sind, erklärte er dem Grenzer, da gewesen, wo vor uns noch keiner war, und haben Darwinia ein paar Geheimnisse entlockt.
»Wir haben Darwinia nicht entjungfert«, räumte Tom Compton ein, »aber wir haben ihr unter den Rock geguckt.«
Guilford stapfte zusammen mit Compton und Sullivan und ihren Packtieren durch den kühlen Nachmittag. Tiefe Wolken trieben über den Himmel, grellweiß an den Rändern, flauschig grau dazwischen. Guilfords Stiefel hinterließen kurzlebige Abdrücke in der schwammartigen Grasnarbe. In einer Senke hatte Keck wieder eine Abfallhalde dieser Insekten ausgemacht, einen Ring aus Knochen rings um ein täuschend friedliches Fleckchen Wiese. Wie das Gärtchen eines Trolls, dachte Guilford. Sie machten einen weiten Bogen um die Stelle.
Tom Compton hatte ein anderes Problem. »Seit zwei Nächten gibt es Lagerfeuer«, sagte er. »Fünf, sechs Meilen hinter uns. Keine Ahnung, was das bedeutet.«
»Partisanen?«, fragte Sullivan.
»Wahrscheinlich nur Jäger, die uns über Rheinfelden gefolgt sind — die eher noch Erasmus gefolgt sind, um in seinen Weidegründen zu wildern. Partisanen, die meisten sind Küstenpiraten aus irgendwelchen Schurkennestern. Die kommen doch nur ins Innere, um zu jagen oder zu buddeln. Bestimmt nicht, um Politik mit der Waffe zu machen.«
»Trotzdem«, sagte Sullivan. »Es wär mir lieber, wir wären unter uns.«
»Mir auch«, sagte der Grenzer.
Hügelcamp an einem namenlosen Bach. Es geht bergan. In der Ferne die schneebedeckten Gipfel einer alpinen Bergkette. Gehölze hauptsächlich aus Moscheebäumen & einer neuen Pflanze: ein kleiner Busch mit harten & ungenießbaren, gelben Beeren. (Keine richtigen Beeren, sagt Sullivan, aber genauso sehen sie aus.) Ein steifer und erfrischender Wind vertreibt die Billy fliegen — oder es ist einfach nicht mehr ihre Höhenlage.