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Irrtum.

Der geschwätzige Mr. Crane verstummte in Gegenwart des Kutschers. Vale versuchte sich mit aller Kraft zu ernüchtern — renkte die Schultern nach hinten, runzelte die Stirn und blinzelte —, derweil das Taxi an elektrischen Masten vorüberkroch, die leuchtende Eiskugeln in die frostige Nacht hängten. Ein mörderischer Winter für Washington.

Schließlich hielten sie vor Vales Reihenhaus. Die Straße war still, alle Fenster enthaltsam finster. Crane zahlte das Taxi, lud zwei immens große Handkoffer aus dem Vehikel, schleppte sie durch Vales Haustür und ließ sie am Schirmständer gehörig aus den Händen rumsen.

 »Sie bleiben eine Zeit lang?«

 »Fürchte, ja, alter Knabe.«

Alter Knabe? Gott bewahre, dachte Vale. »Haben wir so viel zu besprechen?«

 »Jede Menge. Aber das kann bis morgen warten. Sie brauchen ihren Schlaf, Elias. Sie sind wirklich nicht in Form. Ausgeruht redet es sich besser. Nur keine Umstände. Was mich angeht, ich kann die Knie anziehen, das Sofa ist gerade richtig.«

Und tatsächlich streckte er sich unverwandt grinsend auf dem Samtsofa aus.

 »Hören Sie, ich bin zu müde, um sie rauszuwerfen. Sollten Sie morgen früh noch hier sein…«

 »Werden wir die Sache besprechen. Gute Idee.«

Vale warf die Hände hoch und verließ das Zimmer.

* * *

Für Vale begann der Morgen kurz vor Mittag.

Crane saß beim Frühstück. Er hatte geduscht und war rasiert. Das Haar war gekämmt. Das Hemd frisch. Er schenkte sich Kaffee ein.

Vale registrierte unterschwellig den schalen Schweißgeruch, der aus seinen verstopften Poren dampfte. »Wie lange gedenken Sie zu bleiben?«

 »Weiß nicht.«

 »Eine Woche? Einen Monat?«

Achselzucken.

 »Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, Mr. Crane, aber ich lebe allein. Und zwar weil ich es möchte. Ich will keinen Hausgenossen, weder unter diesen noch unter anderen Umständen. Und offen gesagt, man fragt doch wenigstens.«

 »Tun sie doch nie, oder?«

Die Götter, meinte er.

 »Wollen Sie sagen, mir bleibt keine Wahl?«

 »Mir hat man keine gelassen. Toast, Elias?«

Wir sind zu zweit, dachte Vale. Das hatte er nicht erwartet. Obwohl es natürlich Sinn machte. Aber wie viele Heimgesuchte liefen da draußen herum? Hunderte? Tausende?

Er faltete die Hände. »Was führt Sie zu mir?«

 »Immer dieselbe Frage, hm? Schwer zu sagen. Vorerst zumindest. Ich glaube, Sie sollen mich herumzeigen.«

 »Als was? Als meinen Lustknaben?«

 »Als Ihren Vetter, Neffen, unehelichen Sohn…«

 »Und dann?«

 »Und dann tun wir, was man uns zu gegebener Zeit sagt.« Crane legte das Buttermesser zurück. »Ehrlich, Elias, ich kann auch nichts dafür. Und ich vermute, es ist nur auf Zeit. Nichts für ungut.«

 »Nichts für ungut, schade.«

 »Inzwischen müssen wir ein Kissen für mein müdes Haupt finden. Oder soll ich meine Sachen in der Diele verteilen. Kommt es vor, dass hier Klienten übernachten?«

 »Häufig. Was wissen Sie eigentlich von mir?«

 »Ein bisschen. Und Sie von mir?«

 »Gar nichts.«

 »Ach.«

Vale machte einen letzten, verzweifelten Anlauf: »Gibt es denn in der Stadt kein Hotel…?«

 »Das ist nicht in ihrem Sinne.« Wieder dieses Grinsen. »In Freud und Leid, unsere Schicksalsfäden scheinen sich zu verheddern.«

* * *

Das Erstaunliche war, Vale gewöhnte sich daran, dass Crane seine Mansarde in Beschlag nahm, etwa so wie man sich an eine chronische Migräne gewöhnt. Crane war ein rücksichtsvoller Gast, pingeliger als Vale, was Abdecken, Spülen und Aufräumen betraf, darauf bedacht, nur ja nicht zu stören, wenn Vale zahlende Kundschaft hatte. Er bestand tatsächlich darauf, dass Vale ihn mit zum Sanders-Moss-Salon nahm und als seinen ›Vetter‹ vorstellte, der von Beruf Finanzier war. Zum Glück schien Crane wirklich etwas von der Wall Street und vom Bankwesen zu verstehen, gerade so als sei er damit großgeworden. Wer weiß? Was seine Vergangenheit anging, so machte er lediglich Andeutungen über gewisse familiäre Beziehungen.

Heute jedenfalls kehrten die Tischgespräche bei Sanders-Moss immer wieder zum Verlust der Finch-Expedition und dem drohenden Krieg zurück. Die Hearst-Blätter spekulierten über einen Krieg mit England, behaupteten Beweise zu haben, dass die Engländer die Partisanen mit Waffen belieferten und damit den Tod von Amerikanern in Kauf nahmen. Etwas, das Vale völlig egal war, nicht aber seiner Gottheit.

* * *

Wenn sie beide in Vales Domizil waren, versuchte man sich gegenseitig zu ignorieren. Und wenn sie sich doch unterhielten — gewöhnlich nachdem Vale etwas getrunken hatte —, dann unterhielten sie sich über ihre Gottheiten.

 »Meine droht nicht bloß«, sagte Vale in einer weiteren kalten Nacht, da er mit Crane in der Falle saß und ein rauer Wind an den Flügelfenstern rüttelte. Tennessee-Whisky. Timor mortibus conturbat me. »Sie versprach, ich würde leben. Ewig, meine ich.«

 »Unsterblichkeit«, sagte Crane gelassen, während er mit dem Küchenmesser einen Apfel schälte.

 »Und bei Ihnen?«

 »Bei mir? Dasselbe.«

 »Und… glauben Sie daran?«

Crane sah ihn komisch an. »Elias. Wann haben Sie sich zuletzt geschnitten — beim Rasieren, meine ich?«

 »Wie? Ich kann mich nicht erinnern.«

 »Lange her?«

 »Lange her«, gab Vale zu. »Wieso?«

 »Blinddarmentzündung, Grippe, Schwindsucht? Knochenbrüche, Zahnschmerzen, Niednagel?«

 »Nein, aber… was wollen Sie damit sagen?«

 »Sie kennen die Antwort, Elias. Sie trauen sich bloß nicht. Waren Sie nie in Versuchung — über dem Waschbecken, mit dem Rasiermesser in der Hand?«

 »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

Crane spreizte die linke Hand auf die Tischplatte und setzte das Messer auf. Die dünnen Knochen knirschten, dann steckte die Klinge im Holz. Vale fuhr zurück und blinzelte.

Crane zuckte kurz zusammen. Dann lächelte er. Er schloss die Faust um den Griff des Messers und zog die Klinge aus der Hand. Ein Tropfen Blut quoll aus der Wunde. Ein einziger. Crane tupfte ihn mit der Serviette weg.

Die Haut darunter war glatt, rosa, unverletzt.

 »Christus«, hauchte Vale.

»Verzeihen Sie, dass ich den Tisch beschädigt habe«, sagte Crane. »Aber jetzt wissen Sie, was ich meine.«

Kapitel Achtzehn

AUS DEM TAGEBUCH VON GUILFORD LAW:

Entschuldige meine Schrift. Das Feuer wärmt, aber das Licht taugt nicht zum Schreiben. Caroline, ich tröste mich mit dem Gedanken, du könntest diese Zeilen lesen. Ich hoffe, du musst nicht frieren, da wo du bist.

Hier ist es relativ warm, gemessen an dem, was wir gewöhnt sind — zu warm vielleicht. Unnatürlich warm. Aber dazu muss ich ausholen.

* * *

Heute früh sind wir zu unserer Exkursion ins Innere der Stadt aufgebrochen, Tom Compton, Dr. Sullivan und ich. Wir müssen einen komischen Anblick geboten haben (auf jeden Fall für Diggs) — in Felle gehüllt und weiß wie Pusteblumen, zwei, die hinken (der eine rechts, der andere links), ein Schlitten mit Proviant für vier Tage, den eine grunzende Wollschlange zog. ›Eine komische Nummer‹ eben, wie Digby meinte.

Wir ignorierten die Sticheleien und ließen uns von unserem sechsbeinigen Schrittmacher tiefer in das Ruinenfeld lotsen, in die bedrückende Stille der inneren Stadt. Caroline, ich kann dir nicht sagen, wie unheimlich es hier ist, regelrecht gespenstisch, diese wuchtigen, glatten Bauwerke, uferlos in Reih und Glied. Wir bewegten uns nach Südwesten, über uns der sonnige Himmel, unter uns der strahlend weiße, feste Schnee.