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* * *

 »Das habe ich nicht gewollt«, sagte Finch.

Das Feuer war niedergebrannt. Guilford hockte vor der blakenden Flamme und fütterte sie mit feuchten Zweigen. Der Qualm bestand hauptsächlich aus Dampf. »Was ist, Dr. Finch?«

Finch erhob sich, trat vorsichtig aus der Höhle ins kalte Tageslicht hinaus, er schien verletzlich wie altes Pergament. Guilford behielt ihn im Auge. Vergangene Nacht hatte Finch im Schlaf phantasiert.

Doch der Geologe stellte sich nur an den Fels, griff ins Fell und urinierte ausgiebig.

Er kam zurückgehumpelt, immer noch redend. »Nein, das hab ich nicht gewollt, Mr. Law. Ich wollte eine normale Welt, verstehen Sie?«

Er war ohnehin schwer zu verstehen. Zwei Vorderzähne hatten sich gelockert; er pfiff wie ein Wasserkessel. Guilford nickte geistesabwesend, während er das Feuer päppelte.

 »Schonen Sie mich nicht. Hören Sie mir zu. Sie hatte ihren Sinn, Mr. Law, die Verwandlung von Europa, sie hatte Sinn im Hinblick auf die Sintflut, auf Babel und die Zerstörung von Sodom und Gomorrha, und wenn diese Verwandlung nicht die Tat eines eifernden aber vernünftigen Gottes ist, dann kann sie nur Chaos und Schrecken bedeuten.«

 »Vielleicht sehen wir mit falschen Augen, vielleicht wissen wir zu wenig«, sagte Guilford. »Vielleicht sind wir wie Affen, die in einen Spiegel starren. Der Affe ist im Spiegel, aber nicht dahinter. Ist das schon ein Wunder, Dr. Finch?«

 »Sie haben nicht gesehen, wie dieser Mann im Handumdrehen geheilt ist.«

 »Dr. Sullivan hat mal gesagt, ›Wunder‹ sei ein Name für unsere Unwissenheit.«

 »Nur einer von vielen.«

 »Ach.«

 »Geister, Dämonen.«

 »Aberglaube«, sagte Guilford, obwohl ihm nicht geheuer war.

 »Aberglaube«, sagte Finch monoton, »nennen wir die Wunder, die uns nicht passen.«

Kaum noch Papier, kaum noch Tinte. Ich fasse mich kurz. (Außer dass ich dir sage, wie sehr ich dich vermisse, Caroline, und dass ich die Hoffnung nicht aufgegeben habe, dich wiederzusehen und in meinen Armen zu halten).

Tom Compton ist seit vier Tagen fort, also seit einem Tag überfällig. Ich müsste aufbrechen, aber ohne ihn sieht es schlimm aus. Wer weiß? Vielleicht sehe ich die zottelige Gestalt ja noch aus dem Wald kommen…

Dr. Finch ist tot, Caroline. Als ich wach wurde, war er fort. Ich trat in den frischen Morgen hinaus und fand, dass er sich erhängt hatte — mit unserem Seil am Ast einer Salbeikiefer.

Überfroren vom Regen letzte Nacht. Glitzernd in der Sonne, wie ein böser Christbaumschmuck. Ich werde ihn abschneiden, wenn ich wieder bei Kräften bin. Diese Steinhöhle wird sein Denkmal & sein Grab.

Armer Dr. Finch. Er war müde & krank & wollte wohl nicht mehr weiterleben in einer, wie er nun glaubte, von Dämonen besessenen Welt. Kann man ihm das verdenken?

Aber ich mache weiter. In Liebe für dich & Lily.

Kapitel Zweiundzwanzig

Das Plüsch-Foyer des Empire war verwaist. Die Bewohner hatten sich am höchsten Punkt der Straße versammelt, um das Artilleriefeuer zu beobachten. Caroline ging an den roten Samtgarnituren vorbei und eilte die Treppe hinauf, gefolgt von Colin und Lily.

Colin schloss sein Zimmer auf. Augenblicklich war Lily am Fenster und verrenkte sich fast, um an der Mauer eines Lagerhauses vorbei den Krieg zu sehen. Lily war froh gewesen, von Mrs. de Koenig wegzukommen: Sie wollte doch auch wissen, was da los war.

 »Feuerwerk«, sagte Lily feierlich.

 »Nicht wirklich, Liebling. Das ist etwas Schlimmes.«

 »Und wie laut das ist«, gab Lily zu bedenken.

 »Sehr laut.« Sind wir hier sicher?, fragte sich Caroline. Wohin hätten sie gehen sollen?

Das Artilleriefeuer ließ die Mauern beben. Amerikanische Artillerie, dachte Caroline. Und das bedeutete? Es bedeutete, dass sie ein feindlicher Ausländer in einem kriegführenden Land war. Und das konnte noch ihre geringste Sorge sein. Sie zog Lily vom Fenster weg, die Docks standen in Flammen und die Werften und das Zollgebäude, vielleicht auch Jereds Lagerhaus, das voller Munition war. Der Wind war sanft aber hartnäckig und kam von Osten und am anderen Ende der Candlewick Street brannte es bereits.

Der Lieutenant räusperte sich. Sie drehte sich um und sah ihn unsicher in der offenen Tür stehen.

 »Ich müsste bei meinem Regiment sein«, sagte er.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Ein schrecklicher Gedanke. »Colin, nein — lass uns jetzt nicht allein.«

 »Es ist meine Pflicht, Caroline…«

 »Zum Teufel mit deiner Pflicht! Ich will nicht wieder verlassen werden. Ich will nicht, dass Lily wieder verlassen wird, nicht jetzt. Lily braucht jemanden, der zu ihr steht.«

Und das tue ich, dachte sie. Das tue ich, weiß Gott.

Colin sah hilflos und unglücklich drein. »Caroline, um Gottes willen, wir haben Krieg!«

 »Und was hast du vor? Willst du den Krieg allein gewinnen?«

 »Ich bin Soldat«, sagte er hilflos.

 »Wie lange schon — zehn Jahre? Länger? Gott, lässt man dich nicht gehen oder willst du nicht?«

Er gab keine Antwort. Caroline kehrte ihm den Rücken zu. Sie ging zu Lily ans Fenster. Der Rauch von den Kais verdunkelte den Fluss, aber sie konnte stromabwärts die Schlote der amerikanischen Kanonenboote sehen und die britischen Schiffe, die sie bereits leckgeschossen hatten, zerstörte Dreadnaughts, die in der Themse versanken.

Die Artillerie verstummte. Jetzt waren die Stimmen zu hören, das Geschrei unten auf der Straße. Ein scharfer Geruch nach Rauch und brennendem Treibstoff wehte heran.

Die Stille zog sich hin. Schließlich sagte Colin: »Ich könnte den Dienst quittieren. Na ja, nein, nicht solange Krieg ist. Aber, Gott ist mein Zeuge, ich habe mit dem Gedanken…«

 »Keine Rechtfertigung«, fiel ihm Caroline ins Wort.

 »Ich will dir aber nicht wehtun.« Er zögerte. »Jetzt ist sicher nicht der passende Augenblick, aber ich habe mich nun einmal in dich verliebt. Und ich mache mir Sorgen um Lily.«

Caroline versteifte sich. Nicht jetzt, dachte sie. Nur,wenn er es ernst meint. Nicht, wenn es nur eine Entschuldigung ist, um gehen zu können.

 »Versuch mich zu verstehen«, bettelte er.

 »Ich verstehe dich. Verstehst du mich?«

Keine Antwort. Nur das Geräusch der Tür, die rasch ins Schloss fiel. Tja, das wär’s dann, dachte Caroline. Auf Nimmerwiedersehen, hol dich der Teufel, Lieutenant Watson! Nur noch wir beide, Lily und keine Tränen, keine Tränen.

Doch als sie sich umdrehte, war er noch da.

* * *

Die Hauptziele des Angriffs waren das Zeughaus und die verschiedenen britischen Kriegsschiffe, die an den Kais lagen, allesamt in der ersten Phase des Artilleriefeuers zerstört. Das Zeughaus und die dockseitigen Lagerhäuser brannten die ganze Nacht hindurch. Sieben britische Kriegsschiffe waren versenkt, die Ungetüme flackerten in der trägen Strömung der Themse.

Die anfänglichen Schäden am Londoner Hafen hielten sich in Grenzen und auch die Brände an den Kaianlagen hätte man unter Kontrolle bringen können, wenn da nicht die Irrläufer gewesen wären, die am Ostende der Candlewick einschlugen.

Das erste zivile Opfer war ein Bäcker namens Simon Emmanuel, der kürzlich aus Sydney angekommen war. Sein Laden hatte sich geleert, als die amerikanischen Schiffe den Fluss heraufkamen. Er stand an den Backöfen und wollte mehrere Dutzend Rosinenbrötchen retten, als eine Artilleriegranate durchs Dach schlug und vor seinen Füßen explodierte. Er war sofort tot. Das Feuer verschlang Emmanuels Laden und griff rasch auf die benachbarten Ställe über und auf die Brauerei gegenüber.