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Aber er war kein Mensch.

Zumindest kein lebendiger Mensch. Zum einen war er gar nicht richtig da. Ich will damit sagen, Caroline, dass seine Erscheinung periodisch verblasste und aufhellte, ähnlich wie das Funkeln der Sterne in einer windigen Nacht.

 »Wer bist du?«, flüsterte ich.

Seine Stimme klang fest, gar nicht geisterhaft. Er sagte: »Das ist eine gute Frage. Aber einen Teil der Antwort kennst du schon.«

Nebel stieg aus dem durchweichten Boden ringsherum. Wir standen da im kalten Halbdunkel, als trenne uns eine Wand vom Rest der Welt.

 »Du siehst aus wie ich«, sagte ich mit lahmer Zunge. »Oder wie ein Geist. Was bist du?«

Er sagte: »Gehen wir ein Stück, Guilford. Beim Gehen kann ich besser denken.«

Also spazierten wir durchs Heidekraut an diesem nebelverhüllten Morgen. Eigentlich hätte ich Angst haben müssen. Hatte ich auch bis zu einem gewissen Grad. Doch seine Art war entwaffnend. Seine Miene schien zu sagen: Wie verrückt, dass wir uns so begegnen müssen.

Als ob sich ein Gespenst für seinen absurden Auftritt entschuldigte: das Leichentuch, die Ketten.

* * *

Es mag sich anhören, als hätte mich diese Erscheinung nicht sonderlich aufgeregt. Tatsächlich war ich eher entgeistert oder verzückt. Ich glaube, er hatte gewartet, bis ich wehrlos genug — betäubt genug — war, ihn trotz meiner lärmenden Angst zu verstehen.

Oder er war bloß eine Halluzination aus Erschöpfung, Alkohol und Kummer. Du kannst es halten, wie du willst, Caroline.

Wir schlenderten im Halblicht dahin. Am Rand der Wiese, im tiefen Schatten der Moscheebäume, schien er glücklicher zu sein, zumindest am leibhaftigsten. Seine Stimme war eine richtige Stimme mit allem, was an Atem- und Lungengeräuschen dazugehörte. Er sprach ohne Schnörkel, redete Umgangsenglisch, das mir so vertraut war wie das Poltern meiner Gedanken. Aber er stockte nie oder suchte nach Worten.

Und das hat er gesagt:

Sein Name sei Guilford Law, und er sei in Boston geboren und aufgewachsen.

Er habe ein ganz normales Leben geführt, bis er mit achtzehn eingezogen und nach Übersee geschickt worden sei, in den Krieg… einen europäischen Krieg, einen ›Weltkrieg‹.

Ich sollte mir einen Weltenlauf vorstellen, in dem Europa geblieben sei, was es war, ein brodelnder Eintopf aus Königreichen und Diktaturen, der schließlich übergekocht sei und einen globalen Konflikt ausgelöst habe.

Die Einzelheiten sind nicht von Belang. Wichtig ist, dass es diesen Guilford Law zuletzt nach Frankreich verschlug, wo er den Deutschen in einem blutigen Stellungskrieg gegenüberlag, ein Alptraum, der durch Giftgas und Fliegerangriffe nur noch schauerlicher wurde.

Dieser Guilford Law — jener ›Wachsoldat‹, wie ich nunmehr weiß — wurde in diesem Krieg getötet.

Als er nun die Augen zum letzten Mal schloss, war dies zu seiner Verblüffung nicht das Ende.

Und jetzt, Caroline, wird die Geschichte noch abwegiger, noch verrückter.

* * *

In der Morgenfrische saßen wir auf einem gestürzten Baumstamm und ich war beeindruckt von seiner Selbstverständlichkeit, seiner Leibhaftigkeit, seiner schieren Greifbarkeit. Das dunkle Haar bewegte sich im Wind; er atmete ein und aus wie du und ich; der Baumstamm regte sich, als er sein Gewicht verlagerte, um mir ins Gesicht zu sehen.

Wenn das stimmt, was er mir erzählt hat, dann haben Schiaparelli und seinesgleichen Recht: Es gibt Leben draußen im Weltall. Leben, wie wir es kennen und wie wir es nicht kennen, manchmal so extrem anders, dass wir es von alleine nicht erkennen würden.

Das Universum, sagte der Wachsoldat, sei unvorstellbar alt. So alt, dass es schon wissenschaftliche Zivilisationen hervorgebracht habe, lange bevor der Mensch die Steinaxt erfand. Unsere Galaxie sei bereits mit Bewusstsein durchtränkt gewesen, als der Mensch noch gar nicht spruchreif war. Bevor unsere Sonne aus dem Urnebel kondensierte, sagte er, da habe es im Universum bereits Wunderwerke gegeben, die so gewaltig und so feinnervig waren, dass sie eher den Anschein von Magie als von Naturwissenschaft erwecken; und noch viel großartigere Werke sind im Entstehen, Projekte, die buchstäblich Äonen in Anspruch nehmen.

Er beschrieb die Milchstraße — diese bescheidene Schar aus etlichen Milliarden Sternen, selbst nur eine unter Milliarden ihresgleichen — er beschrieb sie als etwas Lebendiges, das allmählich ›zu sich komme‹. Es gebe unsichtbare Verbindungen zwischen den Sternen: weder Telegraphie noch Funk, sondern etwas, das einen Grundzug des Raums nutze, die ›isotrope Energie‹ (womit er wohl den Äther meint); und diese eng geknüpften Verständigungsnetze seien so verwickelt und kompliziert geworden, dass sie eine eigene Intelligenz besäßen! Die Galaxien, so behauptet der Wachsoldat, würden buchstäblich denken, und nicht nur das: Sie würden sich sogar erinnern.

Preston Finch pflegte Bischof Berkeley zu zitieren, der uns für Gedanken Gottes hält. Was aber, wenn es sich genauso verhält, Caroline?

Bis zu seinem Tod war dieser Guilford Law ein körperliches Lebewesen gewesen, dann wurde er zu einem Gedanken… einem Saat-Bewusstsein, wie er es nannte, im Geist dieses lokalen Gottes, dieses sich entwickelnden galaktischen Egos.

Keine, wie er meinte, besonders ausgezeichnete Existenz, anfangs zumindest.

Ein menschlicher Geist bleibt eben ein menschlicher Geist, selbst wenn er in den Großen Geist eingeht. Als er nach seinem Tod erwachte, glaubte er sich mit einer Schrapnellwunde in einem französischen Feldlazarett, und es brauchte ein paar Verstorbene, ihn zu überzeugen, dass er wirklich tot war! Sein ›virtueller‹ Leib (wie er es nannte) sah seinem eigenen zum Verwechseln ähnlich, obwohl sich das ändern konnte, wie man ihm erklärte. Der Kern des Lebens sei Veränderung, meinte er, und der Kern des ewigen Lebens sei ewige Veränderung. Es gelte zu lernen, Welten zu erkunden, fremden Lebensformen zu begegnen — sie anzunehmen, falls der galaktische Geist es so wolle. Während der organische Leib durch seine Bedürfnisse bestimmt wird und der organische Geist von der Beschränktheit des Hirns, genieße der ›virtuelle‹ Leib eine gewisse Unbeschränktheit.

Er würde sich unweigerlich verändern, und zwar in dem Maße, wie er sich in dem Größeren Geist zurechtfinde und dessen Erinnerungen und dessen Weisheit anzapfe. Nicht um seine menschliche Natur aufzugeben, sondern um sie auszubauen, zu überhöhen.

Und das hat er, kurz gesagt, über Millionen von Jahrhunderten hinweg getan, bis ›Guilford Law‹, das so genannte Saat-Bewusstsein, zu guter Letzt Teil eines gewaltigen und komplexen Ganzen war.

Womit ich mich an diesem Morgen unterhalten habe, war sowohl Guilford Law als auch dieses gewaltige Wesen, das sich im Grunde aus Milliarden über Milliarden von Wesenheiten zusammensetzt, die miteinander verknüpft sind und dennoch ihre Individualität bewahren.

Du kannst dir sicher denken, wie fassungslos ich war. Doch unter den gegebenen Umständen hätte jede Erklärung plausibel geklungen.

* * *

Kannst du in diesen Zeilen etwas anderes lesen als die fixen Ideen eines Mannes, der durch Isolation und Schock zum Wahnsinn getrieben wurde?

Der Schock sitzt tief genug, weiß Gott. Was du und ich verloren haben, der Gedanke zerreißt mir das Herz.

Und ich erwarte nicht, dass du mir glaubst. Alles, worum ich dich bitte, ist ein bisschen Geduld. Und guten Willen, Caroline, wenn du noch welchen hast.

* * *

Ich habe den Wachsoldaten gefragt, wie das alles passieren konnte. Ich sei schließlich Guilford Law, und ich sei nicht in einem Krieg gegen die Deutschen gefallen, und das sei so sicher wie die Sonne, die soeben aufging.