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Vielleicht würde er wiederkommen… und vielleicht würde ihr das ganz recht sein.

Doch heute Abend trank er nur aus und ging alleine nach Haus, wie ein verwundetes Tier. Sie machte ihm Augen. Er blickte in eine andere Richtung.

Kapitel Dreiunddreißig

Um halb fünf verließ Lily das Büro und fuhr mit dem Bus zum National Museum. Der Tag war kalt, klar und frisch. Der Bus war voll von Lohnempfängern, Männern mittleren Alters in Kammgarnanzügen und mit zerdrückten Hüten auf dem Kopf. Niemand von ihnen ahnte, dass ein himmlischer Krieg bevorstand. Was diese Männer nach Lilys Erfahrung im Sinn hatten, war ein Cocktail, dann ein Dinner, dann ein Cocktail nach dem Dinner, Kinder im Bett, das Fernsehen auf einen der zwei nationalen Sender eingestellt und vielleicht noch ein Absacker vor dem Schlafengehen.

Sie waren zu beneiden.

Über den Portalen des Museums hingen prunkvolle Banner:

THE TRANSFORMATION OF EUROPE

Understanding a Miracle

 »Wunder.« Das Wort sollte wohl die religiösen Lobbys besänftigen. Im Stillen nannte Lily den Kontinent immer noch so, wie ihn die Hearst-Blätter getauft hatten: Darwinia. Die Ironie war verlorengegangen; die meisten Menschen akzeptierten, dass Europa eine eigene fossile Geschichte hatte, was immer das bedeutete, und sie konnte sich sehr wohl den jungen Charles Darwin vorstellen, wie er in der Rheinmarsch Käfer sammelte und sich den Kopf über Darwinia zerbrach. Wobei ihm wahrscheinlich das eigentliche Mysterium des Kontinents entging.

Aus dem Bus und in die leuchtstoffhellen Gemächer des Museums.

Die Ausstellung war enorm umfangreich. Lily ignorierte den größten Teil und ging schnurstracks auf die Glasvitrine zu, die sich der Finch-Expedition von 1920 und dem kurzen angloamerikanischen Konflikt widmete. Hier waren Exemplare altmodischer Kompasse, Pflanzenpressen und Theodoliten zu sehen sowie eine primitive Gedenktafel, die man Jahre später im Rheinland unterhalb des Bodensees gefunden hatte: In Memory of Dr. Thomas Markland Gillvany. Photographien der Expeditionsmitglieder: Preston Finch, lächerlich steif mit seinem Tropenhelm; der magere Every Keck; der glücklose Gillvany; der arme, zu Tode gepeinigte John Watts Sullivan… Diggs, der Koch, war nicht vertreten, auch Tom Compton nicht, aber da war ihr Vater, Guilford Law, auf Expedition zum Gallatin-River, mit Tagesbart und Flanellhemd, ein junger Mann mit schmutzigen Fingernägeln, krauser Stirn und Boxkamera.

Ihre Fingerkuppe berührte die Vitrine. Seit zwanzig Jahren hatte sie ihren Vater nicht mehr gesehen, nicht mehr seit diesem grässlichen Morgen in Fayetteville, den sie in Erinnerung hatte, als sei die Sonne über einem Meer aus Blut aufgegangen.

Er war damals nicht gestorben. So tödlich die Wunden gewesen waren, so rasch waren sie verheilt. Er hatte im Bezirkskrankenhaus von Oro Delta gelegen, unter Bewachung: Die Bezirkspolizei wollte Aufschluss über den gewaltsamen Tod von Abby, Nicholas, drei Unbekannten und Sheriff Carlyle. Doch er war wieder auf den Beinen gewesen, viel eher, als die Ärzte ahnen konnten; während der Nachtschicht hatte er eine Wache überwältigt und das Krankenhaus verlassen. Man erließ Haftbefehl gegen ihn, aber das war kaum mehr als Kosmetik gewesen. Der Kontinent verschluckte seine Ausreißer mit Haut und Haaren.

Er war immer noch da draußen.

Sie wusste, dass er lebte. Die Alten Männer nahmen von Zeit zu Zeit Verbindung mit ihr auf. Dann berichtete sie ihnen, was sie als Schreibkraft im Büro von Matthew Crane in Erfahrung gebracht hatte — einem von Dämonen besessenen Beamten des Verteidigungsministeriums —, und erkundigte sich gleichzeitig nach ihrem Vater.

Der immer noch da draußen war, um die Apokalypse abzuwenden.

Der Zeitpunkt, versicherten sie, rücke in greifbare Nähe.

Lily blieb vor einem erleuchteten Diorama stehen.

Ein darwinischer Zweifüßer — der lateinische Name war ein Zungenbrecher — zwei Beine, vier Arme, ein Monster, das um die Eiszeit herum auf dem europäischen Flachland gejagt hatte, ein wahres Ungetüm. Das Skelett stand acht Fuß hoch, hatte eine massive, ventrale Wirbelsäule, an der kräftige Muskelbänder anpackten, einen gewölbten Schädel und Zähne wie Faustkeile. Daneben stand eine Rekonstruktion, komplett mit Chitinhaut, Glasaugen und gezähnten Scheren, die einer Wollschlange die Kehle aufrissen.

Ein Ausstellungsstück wie die Photographie von Guilford Law; doch Lily wusste, dass beide noch existierten: ihr Vater und diese Bestien.

 »Wir schließen gleich, Ma’am.«

Es war der Nachtwächter, ein kleiner Mann mit Hängebauch und näselnder Stimme und Augen, die weit älter schienen als das übrige Gesicht. Sie wusste nicht, wie er hieß, obwohl sie sich schon oft begegnet waren, immer so wie heute. Er war ihr Verbindungsmann.

Wie immer drückte sie ihm ein Buch in die Hand. Sie hatte es tags zuvor in einer Filiale in Arlington gekauft. Ein populärwissenschaftliches Buch, The Martian Canals Reconsidered,[45] mit den neuesten Aufnahmen aus dem Mount Palomar, die Lily aber nur flüchtig interessiert hatten. Zwischen den Seiten lagen Fotokopien von Dokumenten aus Cranes Büro.

 »Das hat wohl jemand liegenlassen«, sagte sie.

Der Wachmann nahm das Buch in seine fleischigen Hände. »Da freut sich das Fundbüro.«

Sie hatten diese Floskeln so oft ausgetauscht, dass sie allmählich das Gefühl hatte, ›Fundbüro‹ sei ein anderer Name für die Alten Männer, die Veteranen, die Unsterblichen.

 »Danke.« Sie war so mutig zu lächeln, bevor sie sich umdrehte und zum Ausgang ging.

* * *

Altwerden, dachte Matthew Crane, ist wie Rechtsprechen. Es muss nicht bloß passieren, es muss öffentlich sein.

Er hatte sich eine Reihe Techniken ausgedacht, um sicherzustellen, dass er nicht verdächtig jung erschien.

Einmal im Jahr — jeden Herbst — zog er sich in die Intimsphäre seines marmornen Bades zurück, duschte, trocknete sich ab, setzte sich vor den Spiegel und rupfte sich mit der Pinzette Haare vom Kopf, um einen zurückweichenden Haaransatz zu simulieren. Die Götter waren nicht so mitfühlend, ihm eine Lokalanästhesie zu gönnen, doch inzwischen hatte er sich an den Schmerz gewöhnt.

Als er fertig war, schnitt er sich mit der blanken Rasierklinge ein paar Linien ins Gesicht.

Die Technik war heikel. Es kam darauf an, oft und tief (aber nicht zu tief) zu schneiden. Dieser Bereich am Augenwinkel zum Beispiel. Er musste aufpassen, das Auge nicht zu verletzen, zog die Klinge kräftig nach außen über die Wange. Blut quoll hervor, kurz nur. Abtupfen und wiederholen. Nach dem dritten oder vierten Schnitt ließ sich das sture, unsterbliche Fleisch endlich zu einer dauerhaften Narbe herab.

Eine Kunst für sich.

Auf Uneingeweihte mussten diese Prozeduren natürlich abstoßend wirken. Schneiden, verschmieren, wieder schneiden, wie ein Arzt, der eine Leiche für anatomische Zwecke seziert, ohne ihre Nervenbahnen zu beschädigen. Einmal war er drei Tage mit einer hängenden Lippe herumgelaufen, was eine seiner Assistentinnen zu der besorgten Frage veranlasst hatte, ob er womöglich einen Schlag erlitten habe. Es war eine heikle Arbeit, die Geduld und eine ruhige Hand erforderte.

Er hob die Utensilien in einem Lederetui im Medizinschränkchen auf, Make-Up-Besteck eines Unsterblichen: frische Rasierklingen, Schleifstein, Wattebäusche, Pinzette.

Um die Grobheit einer gealterten Haut vorzutäuschen, benutzte er Schmirgelpapier.

Er bevorzugte Stärke 10 und wandte sie an, bis die Poren blutig waren.

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45

Etwa: Die Marskanäle in neuem Licht.