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Und da war immer die Angst gewesen: Was, wenn es nie zu dieser Schlacht kam? Was, wenn er verdammt war zu einem endlosen Kreislauf aus schäbigen Zimmern, den Bekenntnissen impotenter Männer und todgeweihter Frauen und trauernder Ehemänner, dem seichten Trost aus Billigschnaps und türkischem Heroin?

Bald, flüsterte seine Gottheit. Oder war es nur seine innere Stimme? In letzter Zeit war ihm diese Unterscheidung abhanden gekommen.

Bald. Bald.

Der Zug ratterte tief ins Land hinein, vorbei an tropfenden Moscheebäumen und Salbeikiefernwäldern, über Stahlbrücken, an denen sich der Herbstnebel niederschlug, nach Osten, den wilden Osten, gen Armageddon.

* * *

Er erwachte unter einer Flut von Sonnenschein, der Landstreicher stand über ihm. Vale floh auf allen Vieren vor dem übel riechenden Alten und griff nach seiner Pistole.

Der Landstreicher wich zurück, hielt die schmutzigen Hände beschwichtigend hoch. »Nichts passiert! Nichts passiert!«

Der Zug klapperte durch taghellen Wald. Hinter der Aussparung des Wagens floss am Fuß eines Berghangs ein moosgrüner Fluss.

 »Bleib einfach auf Abstand«, sagte Vale.

 »Du hast dir die Hand verletzt, Bruder«, sagte der Landstreicher.

 »Mein Problem.«

 »Sieht schlimm aus.«

 »Wird schon wieder.« Er hatte sich die Hand verstaucht, als er letzte Nacht auf den Zug gesprungen war. Sie tat nicht weh. Ein bisschen komisch sah sie schon aus.

Vier der fünf Fingernägel fehlten. Die Nagelbetten waren bleich und… Er hatte so was noch nie gesehen.

Kapitel Fünfunddreißig

Sie kamen von der Küste und aus dem Hinterland, aus Tilson und Jeffersonville und New Pittsburgh und hundert kleineren Städten; aus den Alpen, den Pyrenäen, aus allen Himmelsrichtungen der Territorien. Sie kamen zusammen, eine heimliche Armee, wo Straßen auf Bahntrassen stießen, in einem Dutzend Dörfer und namenlosen Wirtshäusern an den Verbindungsstraßen. Sie trugen Waffen: Pistolen, Gewehre, Schrotflinten. In Randall und Perseverance, den Schienenköpfen, trafen Kisten mit Munition ein und wurden mit Lastwagen und Lieferwagen auf die Arsenalzelte tief im Wald verteilt. Artilleristen trafen ein, als Farmer getarnt, die Feldartillerie unter Heuballen versteckt.

Guilford Law hatte das letzte Jahr als Kundschafter gedient. Er kannte sich aus in diesen Bergen und Tälern. Er folgte seinem eigenen Pfad zum Hort der Dämonen und musterte den Wald, forschte nach Spuren des Feindes.

Das Wetter war klar, kühl und stabil. Die Moscheebäume behielten ihr spitzes Laub, es färbte sich lediglich grau. Der Waldboden, ein bunt schimmelnder Mulch aus pflanzlichem Gewebe, verschluckte jede Spur. Er wanderte durch ein Schattenreich, das nach Zimt duftete, zwischen dünnen Fingern aus Sonnenlicht. Er trug eine knielange Jacke aus Wurmleder und darunter ein Sturmgewehr.

Die Dämonenstadt war nirgends verzeichnet. Die öffentlichen Straßen kamen ihr nicht zu nahe. Messtischblätter und Luftbildkarten ignorierten sie und weder Land noch Klima waren geeignet, Siedler oder Holzfäller in Versuchung zu führen. Privatflugzeuge, besonders die kleinen, in den Territorien beliebten Wasserflugzeuge Marke Winchester, überflogen sie gelegentlich, doch die Piloten sahen nichts Ungewöhnliches. Nachdem die Finch-Expedition das bewaldete Tal beinah publik gemacht hätte, war es in den Jahren darauf aus der menschlichen Wahrnehmung entfernt worden. Es war unsichtbar für menschliche Augen.

Nicht für Guilfords Augen.

Gib jetzt Acht, ermahnte er sich. Das Land stieg in einer Reihe dünn bewaldeter Kämme bergan. Diese uralten Felsgrate zu überqueren, wäre allzu leichtsinnig gewesen.

Er näherte sich der Stadt, vielleicht nicht zufällig, von derselben Seite, von wo er sie vor fast fünfzig Jahren zum ersten Mal erblickt hatte.

Aber nein, er hatte sie schon früher gesehen… in der Blüte ihrer Jahre, vor mehr als zehntausend Jahren, als die Granitblöcke noch frisch aus dem Urgestein geschlagen waren, die Alleen noch bevölkert waren mit den Inkarnationen der Psionen, schwer gepanzerten Zweifüßern, dem Ergebnis einer Evolution, in der die Wirbellosen einen längeren Weg bis zur Erfindung der Wirbelsäule zurückgelegt hatten, einer Evolution, die, hätte das galaktische Bewusstsein nicht interveniert, die Erde völlig vertilgt hätte. Halb verlorene Schlachten, dachte Guilford, halb gewonnene Schlachten. Mitten in diesem neuen Europa hatten die Psionen ein Loch im Mantel des Planeten gelassen, einen Brunnen, eine Maschine, die direkt mit den Freigabecodes des Archivs kommunizierte und aus der zu gegebener Zeit — schon bald — die Psionen wieder auftauchen würden, um die Erde zu bevölkern… nur um sie zu vertilgen.

Diesen Planeten und Millionen anderer archivierter Planeten.

Jetzt und in der Vergangenheit und in der Zukunft.

In gewisser Hinsicht waren es Guilfords Erinnerungen, sie waren allerdings vage, flüchtig und unvollständig. Er war sich seiner Grenzen bewusst. Er war ein zerbrechliches Gefäß. Er fragte sich, ob er überhaupt fassen konnte, was der göttliche Guilford ihm einschenken würde.

Er lag bäuchlings über dem Tal und sah die Stadt durch einen Schirm aus Nesselgras. Er hörte den Wind durch die Halme fahren, spürte Billyfliegen zwischen den Armhaaren. Er lauschte seinem Atem.

Die Dämonenstadt erwachte zu neuem Leben.

Die Psionen waren noch nicht aus dem Brunnen gestiegen, doch die Straßen waren wieder bevölkert, diesmal von Männern, die von Dämonen besessen waren. Noch mehr Kriegskameraden, dachte Guilford. Wie die Alten Männer, die sich in den Wäldern sammelten, waren auch sie bei Ypres oder an der Marne oder auf See ums Leben gekommen — gestorben in der einen, lebendig in einer anderen Welt. Sie waren Transportkanäle zwischen dem Archiv und seiner Ontosphäre. Da es ihnen an Bewusstsein fehlte, waren sie perfekte Vehikel für die Psionen. Sie waren die Verteidiger der Dämonenstadt und verfügten über eigene Waffen. Seit Monaten trafen sie einzeln oder zu zweit hier ein.

Guilford zählte die Zelte und versuchte Schützengräben und Artilleriestellungen auszumachen. Klarer, zarter Sonnenschein warf Wolkenschatten über die Stadt. Die zentrale Kuppel, in welcher sich der Brunnenschacht befand, war freigelegt worden. Er war jetzt deutlich zu sehen, aus der teilweise eingestürzten Kuppel stieg eine Dunstfahne in den herbstlichen Nachmittag.

Guilford nahm sein Notizbuch und machte sich Skizzen: die Lage der Schützengräben, Schwachstellen, mögliche Einfallstraßen an den bewaldeten Talhängen. Denen läuft die Zeit davon, überlegte er. Die Turingmaschinen hatten gute Arbeit geleistet. Die waren im Rückstand.

Aber die Verteidiger hatten sich gut verschanzt, in konzentrischen Ringen aus Gräben und Stacheldraht rings um die Zentralkuppel bis an den zerfallenen Rand der Stadt.

Es würde kein Spaziergang werden.

Den ganzen Nachmittag über beobachtete er die Stadt, aber mehr gab es nicht zu sehen… nur diese Straßen, die wie Sonnenuhren die Stunden der Erde zählten.

* * *

Er kehrte so umsichtig zurück, wie er hergekommen war. Die Schatten zwischen den Bäumen sammelten sich zu Tümpeln. Er ertappte sich dabei, wie er an Karen dachte, das Barmädchen im Schaffhausen Grill in Randall. Was fand sie an ihm? Ich bin alt wie Leder, dachte Guilford. Lieber Gott, ich bin ja kaum mehr ein Mensch.