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Trotzdem, es war verlockend, an menschliche Wärme zu denken… es war verlockend; auch wenn das alles nach Sentimentalität und Schmerz roch.

Als er das Camp erreichte, war es schon dämmrig. Die Mahlzeit bestand aus einer Dosenration, die wahrscheinlich aus einer Fracht abgezweigt war, deren Bestimmungshafen im Chinesischen Meer lag. Der Wald wimmelte von uralten Männern: Geistersoldaten, wie manche sich nannten. Das hier war eine Infanterieeinheit und Tom Compton war ihr Kommandeur. Tom saß am Ufer eines steinigen Baches, schmauchte seine Pfeife und starrte sinnend in das scheidende Blau des Abends.

Immer wenn Guilford den Grenzer zu Gesicht bekam, erlebte sein geistiges Auge eine Art Doppelbelichtung: Tom war mit ihm am Bois Belleau gewesen, ihr Bataillon war im langsamen Gleichschritt ins feindliche Feuer marschiert, zwei blutjunge Amerikaner, fest entschlossen, die Boches genauso in die Flucht zu schlagen, wie ihre Großväter es mit den Truppen von Jeff Davis[47] getan hatten; sie konnten nicht recht an die Kugeln glauben, die ihre Linien wie mit einer unsichtbaren Sense dezimierten…

Andere Erinnerungen, andere Feinde: Tom und Lily und Abby und Nick…

Wir haben unsere Unschuld verloren, dachte Guilford. Wir riechen nach Blut.

Er berichtete, was er gesehen hatte.

 »Das Wetter scheint mitzuspielen«, sagte der Grenzer. »Morgen zumindest. Viel helfen wird uns das nicht.«

 »Wir rücken aus? Diese Nacht?«

 »Die Munitionswagen rollen schon. Viel Schlaf ist nicht mehr drin.«

Kapitel Sechsunddreißig

Nach nunmehr fünfzehn Jahren, die sie im Verteidigungsministerium arbeitete, ging Lily davon aus, Matthew Crane zu kennen.

Er war ein ziviler ›Berater‹, der die meiste Zeit darauf verwandte, mit Kongressinspektoren zu lunchen und seinen Namen unter Duplikate von Kopien irgendwelcher Bewilligungsschreiben zu setzen. Er war groß, hager, hatte ein einnehmendes Wesen und gute Beziehungen. Sein Stab von drei Sekretärinnen und einem halben Dutzend Assistenten war nicht überbeansprucht. Sein Gehalt war großzügig.

Er war natürlich von Dämonen besessen, und Lilys eigentliche Arbeit hatte darin bestanden, Mr. Matthew Crane zu observieren und ihr Wissen gelegentlich an die Alten Männer weiterzugeben. Sie hatte keine Ahnung, wie nützlich oder wichtig ihre Beobachtungen waren. Vielleicht würde sie es nie erfahren. Ihre größte Sorge war, anderthalb Jahrzehnte mit kleinkarierter Spionage zugunsten einer finalen Schlacht zu vergeuden, die sie nicht mehr erleben würde, weil die Vorlaufphase womöglich eine halbe Ewigkeit in Anspruch nahm.

Sie war Fünfzig, hatte nie geheiratet und diesen Schritt höchst selten in Betracht gezogen. Sie hatte sich mit ihrer Einsamkeit arrangiert. Dieser Status hatte sein Vorzüge.

Und wie das Schicksal es wollte, hatte sie im Laufe der Jahre eine gewisse Sympathie für Matthew Crane entwickelt. Er war zuvorkommend, reserviert und pünktlich. Er trug maßgeschneiderte Anzüge und war, was seine Kleidung betraf, äußerst pedantisch, ja geradezu eitel. Sie hatte unter der Glasur aus vollkommener Selbstbeherrschung eine Spur von Unsicherheit entdeckt.

Und er war, zumindest teilweise, eine berechnende, mitleidslose und ganz und gar unmenschliche Kreatur.

An diesem Morgen war er ungekämmt und derangiert ins Büro gekommen, den linken Arm an den Leib gepresst, und huschte wortlos an seinen Sekretärinnen vorbei. Lily wechselte einen besorgten Blick mit Barb und Carol, den jüngeren Kolleginnen, sagte aber nichts.

Der einen Frage war sie immer aus dem Weg gegangen: Was, wenn er mir auf die Schliche kommt? Diese Angst nagte schon lange an ihr. Crane konnte charmant sein. Aber Gnade vor Recht ergehen zu lassen, war nicht seine Art.

* * *

Allein in seinem Büro, zog Matthew Crane den Rock aus, streckte den Arm über die lackierte Schreibtischplatte und krempelte den Hemdsärmel hoch. Er stellte einen Löscher unter den Ellbogen, um das Blut aufzusaugen, das unaufhörlich tropfte.

Er war gegen den Springbrunnen im Foyer gestolpert und hatte sich irgendwie die Haut am linken Unterarm aufgeschrammt. Die Wunde blutete. Das war ihm ebenso unwillkommen wie neu. Es war lange her, dass Crane mehr von seinem Blut gesehen hatte als in einen Fingerhut passte.

Vorausgesetzt das war sein Blut. Es schien nicht ganz in Ordnung zu sein. Erstens war es der falsche Rotton. Ein schmutziges Ziegelrot, beinah braun. Mit winzigen Blitzern darin wie von Glimmer. Zum anderen war das Blut dickflüssig wie Honig; und es roch entfernt (vielleicht doch nicht so entfernt) nach Ammoniak.

Blut, überlegte Matthew Crane fieberhaft, hätte so nicht sein dürfen.

Die Wunde war ein Witz, nicht mehr als eine Abschürfung, nur dass sie keine Anstalten machte, im Handumdrehen zu verheilen, und das entblößte Fleisch weniger an zünftiges Menschengewebe erinnerte als an die blutenden Waben eines Wespennestes.

Er rief Lily auf der internen Leitung an und bat sie, sich aus der Sanitätsstube Verbandswatte und eine Mullbinde schicken zu lassen. »Und, bitte, machen Sie keinen Wirbel — ich habe lediglich eine Schramme.«

Ein Moment des Schweigens. »Ja, Sir«, sagte sie.

Crane legte den Hörer zurück. Ein Tropfen Blut fiel auf die Hose. Es roch jetzt stärker. Wie irgendein Toilettenreiniger.

Er atmete mit entspannter Bauchdecke und besah sich seine Hände. Die Finger sahen aus wie die eines Säuglings, rosa und unfertig. Die letzten Nägel waren diese Nacht abgefallen. Er hatte sie gesucht, kindisch, aufgeregt, hatte sie aber nicht finden können zwischen dem rosarot gefleckten Bettzeug.

Die Zehennägel hatte er noch. Ein Schuh verliert nichts. Er konnte sie fühlen, sie waren lose und verfingen sich in den Argyll-Socken.

Augenblicke später kam Lily mit dem Verbandszeug und einer Flasche Desinfektionsmittel. Er hatte vergessen, den Arm wieder zu bedecken, und sie glotzte auf die Wunde. Sie wird hysterisch, dachte Crane, wenn sie näher hinschaut. Er bedankte sich und bat sie zu gehen.

Er schüttete Jod auf die Wunde und tupfte den Überschuss mit der Kopie eines Sitzungsprotokolls vom Schreibtisch. Dann legte er die Watte auf, wickelte die Stelle kreuz und quer und streifte den blutbraunen Ärmel darüber.

Er brauchte ein neues Hemd. Was nun? Sollte er Lily zu einem Herrenausstatter schicken?

Irgendwas war schiefgelaufen, das sagten ihm nicht nur seine Nägel und die Wunde und das nervtötende Schweigen seiner inwendigen Gottheit. Crane spürte es buchstäblich in den Knochen. Alles tat ihm weh. Ihm war, als verwerfe sich der Erdmantel, als höre er das Getriebe krachen, das die materielle Welt in Gang hielt.

Die Vorboten der Schlacht, dachte er, der Augenblick des Triumphs naht, ein neues Zeitalter bricht an; wie Magma werden sich die Götter aus dem verborgenen Tal in Europa ergießen und aus den Gebeinen der Barbaren ihre Paläste errichten, und er, Crane, würde unsterblich sein und in alle Ewigkeit seine Baronie regieren, die eroberte Erde…

So hatte es seine Gottheit versprochen.

Was war schiefgelaufen?

Vielleicht gar nichts. Nur dass er, Crane, auseinanderfiel.

Er hielt seine nagellosen Finger in die Höhe, zehn plumpe, rosarote Würstchen.

Auf dem Schreibtisch lag eine Schicht von Haaren.

* * *

Diesen Morgen blieb Matthew Crane in seinem Büro und ließ alle Termine absagen. So oft, wie er Lily anrief, hätte er längst verblutet sein müssen; er verlangte neue Mullwickel, Mopp und Eimer, einen ganzen Beutel Verbandswatte. (»Schnell«, als es um den Beutel ging. »Und seien Sie um Himmels willen diskret.«)

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47

Jefferson Davis (1808–1889) führte die Südstaaten in den Sezessionskrieg.