Als sie ihn verhafteten, hatte er falsche Papiere bei sich, aber sie bekamen heraus, wer er war und daß er von seiner früheren Arbeit her Hunderte von Genossen kennen mußte, und sie verlangten sofort, er solle ihnen Adressen nennen und Verhaftete identifizieren. Da er nichts aussagen wollte, schafften sie ihn in die General-Pape-Straße und behielten ihn dort drei Tage lang im Keller. Meine Frau hat ihn zwei Wochen später im Krankenhaus besuchen dürfen; er war kaum zu erkennen, ganz aufgedunsen. Seine Wäsche, die sie mitbrachte, konnte man nicht ansehen, es war ein Grauen.
Sie haben ihn dann sechs Wochen eingesperrt gehalten und immerzu verhört, Tag und Nacht, mit ganz kurzen Pausen. Er war schließlich schon so auf dem Hund, daß sie Angst bekamen, er könnte ihnen verrecken. Das wollten sie nicht, sie hatten noch Verschiedenes mit ihm vor. Sie ließen ihn frei, wahrscheinlich hofften sie herauszufinden, mit wem er Verbindung aufnahm, aber das merkte er und blieb einfach zu Hause. Auch war er so hergenommen, daß er sich zuerst einmal etwas erholen mußte. Gerade als er halbwegs beisammen war und auch die erste Verbindung mit den Genossen hergestellt hatte, holten sie ihn wieder, und alles fing von neuem an: General-Pape-Straße, Krankenhaus, Gestapo. Als sie mir auf dem Präsidium sagten, er sitze in Tempelhof im Columbiahaus, dachte ich, ich sehe ihn nicht wieder. Aber sie machten ihn doch nicht fertig, sie hofften immer noch, aus ihm herauszubekommen, was er wußte. Er sagte mir später, er wisse selbst nicht, wie er das alles ausgehalten habe, die Prügel und die Verhöre und das stundenlange Strammstehen. Er muß in einem Zustand gewesen sein, wie er bei Todkranken eintritt. Er sagte, er habe das Gefühl gehabt, als sei er schon vom Leben weggeschwommen, aber noch nicht am anderen Ufer angelangt.
Dann kamen sie auf einen neuen Gedanken. Sie nahmen ihn zu Haussuchungen und Fahndungen mit. Immer, wenn jemand verhaftet oder Material ausgehoben wurde, mußte Martin mitfahren, vorn, neben dem Chauffeur, so daß es aussah, als machte er den "Fremdenführer" für die Fahndungskommandos.
Er hat immer wieder, zuletzt gestern noch, beteuert, daß er unzählige Kassiber an die Genossen schickte, um sie aufzuklären, aber seine Botschaften wurden offenbar abgefangen. Sie ließen ihn auch bei den Verhören der Verhafteten draußen vor der Tür des Vernehmungszimmers stehen und führten die Gefangenen an ihm vorbei; drinnen sagte man ihnen dann, sie sollten nicht erst leugnen, sie seien von einem früheren Genossen schon so belastet worden, daß nur ein volles Geständnis sie retten könne. Auch bekam Martin eine neue Kluft, piekfein, richtig wie ein Spitzel, der genug Geld macht. Ein paar Male versuchte er Krach zu schlagen, um gefangenen Genossen zu zeigen, was gespielt wurde, aber dann taten die Beamten so, als sei das nur eine verabredete Komödie. Auch war der Verdacht gegen Martin schon zu groß, und zudem kam noch ein Flugblatt heraus, in dem stand, daß er ein gekaufter Spitzel sei. Vielleicht war das Flugblatt von der Gestapo gemacht, sie soll ja ähnliche Dinge schon gedreht haben, vielleicht auch nicht. Jedenfalls wollte niemand von unseren Leuten etwas mit ihm zu tun haben, als er plötzlich freigelassen wurde. Sie hatten recht, sie mußten mißtrauisch und vorsichtig sein; er war verdächtig, man konnte seine Erklärungen nicht nachprüfen, man mußte nach dem Grundsatz handeln, daß es tausendmal besser ist, einem einzelnen unrecht zu tun als die Organisation zu gefährden. Er sagte mir gestern, er habe das damals selbst eingesehen und habe es trotzdem nicht ertragen können, als Spitzel behandelt zu werden. Deshalb sei er so verstört gewesen, wie vor den Kopf geschlagen. Aber wer konnte damals mit Sicherheit sagen, ob er so verstört war, weil er unter dem Verdacht litt, oder weil er ein böses Gewissen hatte? Ich selbst kannte mich in ihm nicht aus. Ich wollte ihm glauben, aber da kam zum Beispiel einer mit einer Hundemarke und brachte Geld für ihn in einem Umschlag. Martin rührte das Geld nicht an, aber das konnte ja auch eine Finte sein. Es war überhaupt schwer zu sagen, was Mache war und was echt. Ich wußte es nicht. Ich fühlte mich wie in einem Netz. Es war die schwerste Zeit meines Lebens.
Martin wollte über die Grenze gehen, aber sie beobachteten ihn zu gut und holten ihn vom Bahnhof weg. Und dann ließen sie ihn von neuem auf den Flitzern der Fahndungskommandos mitfahren. Er war dabei, als die halbe Unterbezirksleitung M… ausgehoben wurde, alles alte Freunde von ihm. Auch begannen sie ihn abermals stundenlang zu verhören. Sie sagten ihm immer wieder: "Lassen Sie doch endlich die Zicken! Reden Sie doch! Ihr Schweigen hat ja doch keinen Sinn mehr! Ihre Genossen halten Sie für einen Schuft. Von denen will keiner mehr etwas von Ihnen wissen. Die erschlagen Sie bei der nächsten Gelegenheit wie einen tollen Hund. Für die Partei sind Sie ein Provokateur, ob Sie uns geholfen haben oder nicht. Nehmen Sie also Vernunft an und arbeiten Sie für uns!" So ging das immerwährend: Verhöre, Zureden, Prügel. Sie brachten ihm unsere schwarzen Listen, da war er als Spitzel eingetragen. Sie brachten ihm auch Zellenzeitungen, in denen vor ihm gewarnt wurde. Und dann sagten sie ihm, sie würden ihn erschießen, aber sie knallten ihn nicht nieder, sondern redeten auf ihn ein, nächtelang: daß er ja nur geschwiegen habe, um seine proletarische Ehre rein zu halten, daß aber diese Ehre ja doch hin sei, und daß er, wenn sie ihn fertigmachten, auch durch den Tod nicht rein gewaschen werde; er krepiere als Verräter!
Sie haben ihn schließlich kleingekriegt. Er gestand mir gestern, er sehe ein, daß er sich hätte erschlagen lassen müssen. Aber er war damals schon zu zermürbt und zerbrochen. Er hat dann angefangen, ihnen Angaben zu machen, hat Decknamen preisgegeben und Adressen genannt, aber das alles hatte fast keinen Wert mehr für sie, er war schon zu lange ohne Verbindung mit der Organisation gewesen. Doch dann steckten sie ihn ins Columbiahaus zum Erkennungsdienst. Dort bekam er alle Gefangenen vorgeführt, von denen man nicht wußte, wer sie waren, und er fischte die heraus, die er kannte. Ihr wißt, er kannte sehr viele. Nach Hause kam er nicht mehr. Er wohnte bei einem Kriminalkommissar, irgendwo draußen vor der Stadt.
Gestern kam er unerwartet zu mir. Ich wollte ihm nicht öffnen, aber er ging nicht von der Tür, und so ließ ich ihn endlich ein. Er hat mir alles erzählt. Es war wie ein Guß. Es war unsagbar qualvoll. Für ihn und für mich. Zum Schluß wußte ich: er hat sich gewehrt, aber sie sind stärker gewesen, sie haben ihn zerbrochen. Ich wußte aber auch, daß ihn das nicht rechtfertigen kann, daß wir stärker sein müssen als sie; daß er recht hat: er ist verpfuscht und verdorben, es ist ihm nicht zu helfen, und er darf nicht am Leben bleiben.
Ich habe den Revolver genommen, seinen eigenen Revolver, und habe ihn erschossen. Seinen Ausweis und fünfzig Mark, die er in der Tasche hatte, lege ich bei.
Ich weiß, daß ich eigenmächtig gehandelt habe und von Euch keine Unterstützung beanspruchen kann, und ich beanspruche sie auch nicht. Ich hoffe, ich komme so durch. Ich werde mich, sobald es nur möglich ist, bei der Partei melden, um mich zu verantworten. Die fünfzig Mark bitte ich der Roten Hilfe zu übergeben. In den Zeitungen sollt Ihr schreiben, daß Martin Selbstmord begangen hat, aus Furcht oder aus schlechtem Gewissen. Er war ein zerschlagener Mensch. Das darf, wie ich schon zu Anfang schrieb, keine Entschuldigung für ihn sein, das soll nur den Fall klarstellen. Ich nehme an, er ist jetzt ganz klar.
1934 Hermann H…
Griechische Anekdote
Sir Ronald Scobie, Kommandeur der britischen Truppen in Griechenland, ist ein persönlicher Freund Winston Churchills und wie der letztere ein feiner Kenner Shakespeares.
Noch immer riecht es hier nach Blut; alle Wohlgerüche Arabiens würden diese kleine Hand nicht wohlriechend machen.