Partisanen der griechischen Freiheitsarmee (die das Land von den Deutschen befreit hatte, lange bevor der Generalleutnant Sir Ronald Scobie mit einigen britischen Truppen und der aus königstreuen Halsabschneidern gebildeten "Hellenischen Brigade" in Attika landete, um, wie er später verkündete, den "Gebirgsbanditen" Ordnung und Gesetzmäßigkeit beizubringen) pflanzten auf dem Grabe eines von Scobies Soldaten getöteten Kameraden einen Stein mit folgender Inschrift auf: "Leonidas und Sokrates lehrten ihn die Liebe zur Freiheit, Scobie brachte ihm Ordnung und Gesetzmäßigkeit bei."
Sie überlieferten damit der Nachwelt zwar nicht den Namen eines großen, wohl aber den eines kleinen Mannes, so wie manchmal, eingeschlossen in einen Bernsteintropfen, ein winziges Insekt für späte Generationen aufbewahrt bleibt.
Drei bunte Murmeln
Den Rückzug der Arbeiter aus dem seit einem halben Tag unter schwerstem Geschützfeuer liegenden Schlingerhof im 21. Wiener Bezirk deckte ein einziges Maschinengewehr, das die angreifenden Regierungstruppen, zweihundert Soldaten und doppelt soviel Heimwehrmänner mit zahlreichen Minenwerfern, länger als eine Stunde in Schach hielt.
Als die Angreifer endlich, nachdem ein Granatvolltreffer das Feuer der Verteidiger zum Verstummen gebracht hatte, in das Gebäude eindrangen, stießen sie auf zwei Tote: einen kräftigen Mann, dessen Hände noch den Verschluß des zerschossenen Maschinengewehrs umklammerten, und einen kleinen Jungen. Der Junge hatte dem Maschinengewehrschützen offenbar Munition zugetragen. Man fand bei ihm einen gefüllten Patronengurt. Man fand aber auch drei bunte Glasmurmeln. Er war, als er gleich den zweitausend Wiener Arbeitern in den Februartagen des Jahres 1934 für die Freiheit fiel, zehn Jahre und vier Monate alt.
Realitätenbesitz
Ein amerikanischer Oberst, dem gemeldet wurde, daß sein Regiment bei dem vergeblichen Versuch, eine von chinesischen Volksfreiwilligen genommene Hügelstellung zurückzuerobern, an die achtzehnhundert Mann, mehr als die Hälfte des gesamten Mannschaftsbestandes, verloren habe, bemerkte zu seiner Umgebung, dieser Hügel sei das gottverdammt teuerste Stück Boden, das ihm jemals unter die Augen gekommen.
Dies wäre an sich keinesfalls des Vermerkens wert, hätte der Oberst nicht für "Boden" den aus dem Jargon der Grundstücksmakler stammenden Ausdruck "real estate" verwendet und so jenen aus der Seele und dem Scheckbuch gesprochen, für die der Krieg nichts als ein Geschäft und achtzehnhundert tote Soldaten nur der etwas überdurchschnittliche Preis für ein Stück Realitätenbesitz sind.
Es ist freilich eins gegen hundert zu wetten, daß dem Obersten der tiefere Sinn seiner Wortwahl auch dann verschlossen bliebe, wenn man ihn darauf aufmerksam machte, was aber nur aufs neue zu beweisen scheint, daß die Sprache auf eine besondere Weise mit der Wahrheit verbunden ist und diese auch ohne Wissen, ja gegen den Willen des Sprechenden oder Schreibenden kundzutun weiß.
Der tödliche Donauwalzer
Mendel Harb, ein halbblinder Klavierspieler, und Wladimir Sokolko, ein alter Geiger, waren die einzigen Musiker, die in einem von den Deutschen gleich zu Beginn des Ostfeldzuges besetzten Landstädtchen am Bug zurückgeblieben waren. Sie wurden, wenige Tage nach dem Einmarsch der Feinde, auf das in ein Offizierskasino umgewandelte Rathaus befohlen, wo sie zuerst den Film "Deutschland siegt" begleiten und hierauf bei einem Bierabend des Garnisonkommandanten zum Tanz aufspielen mußten.
Als die Feststimmung der Offiziere bei den Klängen des Donauwalzers ihren Höhepunkt erreichte, gab Mendel Harb, dem es gelungen war, unter dem Flügel eine Dynamitladung anzubringen, seinem Gefährten Sokolko ein Zeichen, worauf dieser unter dem Vorwand, Ersatz für eine gesprungene Saite beschaffen zu wollen, den Saal verließ. Mendel Harb, während er die Schlußakkorde des Walzers wiederholte, steckte mit seiner Zigarette die Zündschnur an. Die Explosion ließ das Gebäude zusammenstürzen und tötete alle Offiziere. Auch Mendel Harb wurde unter den Trümmern begraben.
Sokolko brachte, wie vorher mit dem Freunde verabredet, die Nachricht von dem Geschehenen zu den Partisanen, die ohne Verzug über die führerlose Garnison herfielen und sie bis auf den letzten Mann niedermachten.
Schulze
Der Mann, von dem hier berichtet werden soll, führte einen Namen, der neben Müller und Meier als gewöhnlichster deutscher Name gilt. Er hieß Schulze, Fiete Schulze. Sein Vater war Arbeiter in Fischbeck bei Hamburg gewesen, und er selbst war Arbeiter in Fischbeck bei Hamburg. Aber vielleicht lebte der Vater auch in Barmbeck und Fiete in Altona das tut wenig zur Sache. Er war ein Arbeiter. Zu seinem Leben gehörte die Unsicherheit des Arbeitsplatzes ebenso selbstverständlich wie der Wille, für eine bessere Ordnung zu kämpfen, und die Erkenntnis, daß dieser Kampf nur in der Gemeinschaft mit andern Gleichgesinnten möglich ist.
Er war ein Feind der Nazis, bevor sie zur Macht gelangten, und er blieb ihr Feind auch, nachdem sie ihr Drittes Reich aufgerichtet hatten. Zwei Jahre lang stand er in den ersten Reihen der Untergrundkämpfer. Dann fing ihn die Gestapo. Vor Gericht hielt er sich so tapfer, daß ihm sogar die Nazi-Richter ihre grollende Bewunderung nicht versagen konnten. Sie verurteilten ihn zu insgesamt dreihundert Jahren Zuchthaus; das waren, da Schulze achtunddreißig Jahre zählte, sieben ganze Leben, die ihm so abgesprochen wurden. Sie verurteilten ihn weiter dreimal zum Tode und zweimal zum Verlust dessen, was sie Ehre nannten. Den Kopf schlugen sie ihm — sie konnten nicht anders — nur einmal ab. Bevor dies geschah, rief Schulze, der als letzten Wunsch sich die Teilnahme des Gerichtshofes an der Hinrichtung ausgebeten hatte, mit fester Stimme: "Ein Kämpfer weniger, aber wir werden die Sieger sein!"
Um die Worte des Verurteilten zu übertönen, begannen die Trommler der SS-Abteilung, die den Richtplatz absperrte, einen Wirbel zu schlagen. Auch wurde Fiete Schulze zu weiteren Rufen keine Zeit gelassen. Die Henker stürzten sich auf ihn, und er wurde in der nächsten Minute, wie es das Urteil verlangte, "vom Leben zum Tode befördert". Die Gestapo ließ den Leichnam verbrennen und die Asche, unbekannt wo, einscharren. Aber acht Jahre später, im Kriegssommer 1943, öffnete der Tote seinen Mund wieder: In der von englischen Bombern zertrümmerten Stadt tauchten Flugblätter auf, die den Hamburgern einige von Hitlers Prahlereien über die sichere Vernichtung Londons in Erinnerung brachten und sie zum Sturz der braunen Tyrannei aneiferten. Die Flugblätter waren gezeichnet: "Gruppe Fiete Schulze".
Die Passagiere des Todes
Drei norwegische Arbeiter, deren Namen unbekannt geblieben sind, vollbrachten in jenen düsteren Apriltagen 1940, da ihr Land im tiefsten Frieden von den Nazis überfallen wurde, eine Tat, die wohl im Gedächtnis der Nachwelt fortleben wird, wie die Aufopferung der dreihundert Spartaner bei Thermopylae.
Die drei Norweger arbeiteten in der Nähe einer Garage der Autobuslinie Oslo-Hönefoß, als ein Trupp deutscher Fallschirmjäger auftauchte, die Garage besetzte und nach den Chauffeuren der darin befindlichen großen Überland-wagen zu fahnden begann. Ein Blick der Verständigung genügte, und die drei gaben sich für die Gesuchten aus. Es wurde ihnen mit vorgehaltenen Pistolen bedeutet, die Truppe nach Hönefoß zu fahren. Sie fügten sich, weder allzu willig noch auch allzu widerspenstig, so daß die Nazis den Eindruck gewinnen mußten, die Norweger würden vielleicht die Faust im Sack ballen, aber im übrigen Order parieren.