Die Bürger von Florennes, die ihn wie einen gefallenen Heerführer zu Grabe geleiteten, setzten ihm einen Denkstein mit folgender Inschrift: "Seine Tat spricht in tausend Zungen zur Nachwelt." Sie haben damit nicht zuviel gesagt.
Der weiße Rabe
Zu derselben Zeit, da bekannt wurde, daß in den zwei oberschlesischen Vernichtungslagern Auschwitz und Birkenau eine Million und siebenhundertfünfzehntausend Juden ermordet und zu Kunstdünger verarbeitet worden waren; zu derselben Zeit, da bekannt wurde, daß die SS vierzehnjährige Hitlerjungen "zwecks Erlernung von Härte" zur Teilnahme an der Vergasung polnischer Frauen kommandiert hatte… zu derselben Zeit wurde auch der Fall des Majors Rethmayer bekannt, dem die Mitglieder der im Bezirk von Arras operierenden Maquistruppen den Namen "der weiße Rabe" gaben, weil er, als deutscher Stadtkommandant von Arras, mehreren französischen Geiseln und gefangenen Freiheitskämpfern zur Flucht verholfen hatte. Als die deutschen Behörden und Truppen die Stadt vor den anrückenden Verbündeten räumten, blieb Rethmayer auf seinem Posten. Eine Trikolore in der Hand, empfing er die erste Patrouille der Maquisarden auf der Kommandantur.
"Ich bin Ihr Gefangener", sagte er zu dem Führer der Patrouille.
"Sie irren sich", wurde ihm geantwortet, "Sie sind unser Mitbürger." Es stellte sich heraus, daß das Komitee der Widerstandsbewegung beschlossen hatte, der Einwohnerschaft von Arras vorzuschlagen, den Major Rethmayer für den Rest seines Lebens in ihrer Stadt als Bürger unter Bürgern leben zu lassen.
Sonst noch was?
Als ein deutsches Sondergericht in Kopenhagen der wegen Einverständnisses mit dem Feinde verhafteten Monica Wichfeld verkündete, daß sie zum Tode durch Erschießen verurteilt sei, öffnete die unerschrockene Dänin ihre Handtasche, besah sich im Spiegel und fragte, während sie gemächlich ihre Nase puderte: "Sonst noch was, meine Herren?"
Das Todesurteil wurde vom Kommandanten der deutschen Besatzungstruppen gnadenweise aufgehoben und Monica Wichfeld in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht, wo sie noch zehn Monate lang Gelegenheit hatte, über den Begriff der Gnade, wie ihn die Nazis verstehen, nachzudenken. Sie fand das gleiche Ende, das rund siebentausend andere Insassen des genannten Lagers fanden: durch Verhungern. Die musterhaft geführte Statistik der Lagerkommandantur buchte diese Fälle in der Rubrik "natürliche Todesursachen".
Der Barbier von Rostow
Nach der Befreiung Rostows wurde die Geschichte eines alten Theaterbarbiers bekannt, der — von den Deutschen gezwungen, in der Friseurstube des Offiziershotels zu arbeiten — immerzu darauf aus war, einem der Eroberer beim Rasieren die Kehle durchzuschneiden, welches Vorhaben er freilich im entscheidenden Augenblick dann doch nicht ausführte. Vielmehr griff er, als ein eingeseift vor ihm sitzender SS-Leutnant sich damit rühmte, die drei Kinder einer Partisanenfrau wie Läuse geknackt zu haben, nach einem schweren Eichenschemel und hieb dem Schwarzen mit einigen fürchterlichen Schlägen die Schädeldecke ein. Er entkam wie durch ein Wunder und hielt sich bis zur Ankunft der Sowjettruppen in den Kanälen unter dem zerstörten Theatergebäude verborgen.
"Und warum hast du statt deines Messers den Schemel benützt?" wurde er gefragt, als er seinen Fall zu Protokoll gab und dabei erwähnte, daß ihm beinahe die Kraft zum letzten Schlage gefehlt habe, "das wäre doch, scheint es, viel leichter gewesen."
"Ja, so scheint es", gab der Barbier zurück, "aber ihr müßt wissen, ich habe dieses Messer schon über dreißig Jahre im Gebrauch; es ist ein ehrliches Messer und mir sozusagen ans Herz gewachsen, und da sollte ich damit einem, der sich rühmt, Kinder wie Läuse geknackt zu haben… Nein, nein, versteht nur: das konnte ich dem Messer doch nicht antun!"
Die kleinen Schrauben
Auf dem Bankett, das nach dem Abschluß der Konferenz von Jalta stattfand, wurden viele Trinksprüche ausgebracht. Aber nur zwei von ihnen sind über den Kreis der Tischgenossen hinaus bekannt geworden.
Der eine wurde, ganz im Geiste und in der bilderreichen Ausdrucksweise Sir Winstons, von dessen Sekretär gesprochen. Nachdem er die Energien Roosevelts, Stalins und Churchills mit riesigen Schwungrädern verglichen, bat er die Anwesenden, auf das Wohl der "großen Drei" anzustoßen. Dies geschah. Darauf stand Stalin auf und sagte: "Schwungräder sind gut und notwendig. Aber was wären sie ohne die kleinen Schrauben? Ich schlage vor, wir trinken auf die kleinen Schrauben!"
Das Mädchen von Krasnodar
Als die erste Kosakenpatrouille in das von der zurückflutenden deutschen Kaukasusarmee geräumte Krasnodar einritt, fand sie auf dem Hauptplatz der vandalisch zerstörten und nahezu völlig entvölkerten Stadt ein etwa achtzehnjähriges Mädchen damit beschäftigt, in einer roh zusammengezimmerten Holzbude Bücher zum Verleih an Soldaten und heimkehrende Einwohner zurechtzulegen.
Auf eine Frage des Offiziers, der die Patrouille führte, gab das Mädchen zur Antwort, daß sie Polina Udowenko heiße, von Beruf Türhüterin der städtischen Bibliothek sei und während der deutschen Besetzung nächtlicherweile die ganzen Bücherbestände — zwanzigtausend Bände — weggeschafft und in einem Schuppen an der Stadtgrenze versteckt habe. Dergestalt seien, als die Nazis vor ihrem Abzug das Bibliotheksgebäude anzündeten, nur die leeren Regale verbrannt, und der Bibliotheksdienst könne sofort wieder aufgenommen werden.
Ob ihr bei den nächtlichen Bergungsexpeditionen niemals der Gedanke gekommen sei, daß die deutschen Posten sie überraschen und niederschießen könnten, wollte der Offizier wissen. Und Polina darauf: Gewiß, damit habe sie immer gerechnet, aber Bücher seien schließlich Munition, und Munition dürfe dem Feinde doch nicht überlassen werden.
Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten
In einer von seinen unübertrefflichen Anekdoten", sagte bei einer geselligen Zusammenkunft mit New-Yorker Freunden ein deutscher Emigrant, ehemaliger Offizier der Internationalen Brigaden, "läßt Kleist einen alten Hauptmann erklären, er wisse drei Geschichten, von deren Glaubhaftigkeit er selbst vollkommen überzeugt sei, während sie anderen wohl so unwahrscheinlich vorkommen würden, daß er Gefahr liefe, für einen Windbeutel gehalten zu werden, wenn er sie zum besten geben wollte. "Denn", so heißt es bei Kleist weiter, "die Leute fordern als erste Bedingung von der Wahrheit, daß sie wahrscheinlich sei, obschon, wie die Erfahrung lehrt, die Wahrscheinlichkeit durchaus nicht immer auf Seiten der Wahrheit ist" — was ich zum Beispiel durch drei Histörchen beweisen könnte, die denen des Hauptmanns in der erwähnten Anekdote weder an Unwahrscheinlichkeit noch an Wahrhaftigkeit nachstehen."
"Erzählen Sie", riefen einige der Zuhörer, "erzählen Sie!" — denn man kannte den Emigranten als verläßlichen und schätzenswürdigen Mann, der sich niemals der Großsprecherei schuldig machte.
Der Emigrant meinte lächelnd, er wolle der Gesellschaft den Gefallen tun, versicherte aber im voraus, daß er in diesem besonderen Falle keinen Anspruch auf ihren Glauben erhebe.
Die Freunde dagegen sagten ihm diesen bereitwillig zu; sie forderten ihn nur auf, zu reden, und horchten.
"Im Feldlazarett, 1937, vor Teruel", begann der Emigrant, "machte ich die Bekanntschaft eines Artilleriekorporals aus Böhmen, der — obwohl an Kopf und Hüften nicht unerheblich verwundet — die Belegschaft unseres Krankensaales durch seine Schnurren und Späße ständig bei guter Laune erhielt, was eine um so erstaunlichere Leistung war, als ihm neben seiner tschechischen Muttersprache nur wenige Brokken eines seltsamen, aus Spanisch und Französisch gemischten Soldatenkauderwelschs zur Verfügung standen. Dennoch erachtete er es für überflüssig, sich weitere Sprachkenntnisse anzueignen. Warum das Gehirn unnötig belasten, argumentierte er, wenn es auch so gehe? Bei dieser Meinung blieb er, allen Belehrungsversuchen zum Trotz. Unser Beisammensein ging übrigens ebenso plötzlich und zufällig zu Ende, wie es begonnen. Ich wurde, kaum daß der Zustand meiner Wunde es erlaubte, nach einem Lazarett an der Mittelmeerküste gebracht. Den Tschechen sah ich im weiteren Verlaufe des Krieges nicht wieder; auch bekam ich von ihm in der Folgezeit nie mehr etwas zu hören, bis mich vor wenigen Tagen, auf einem Gang durch das Hafenviertel an der Battery, der Zufall mit einem Waffengefährten aus Spanien, der jetzt als Maschinist zur See fährt, zusammenführte. Als wir über einem Glas Toddy alte Erinnerungen austauschten und dabei auf das Feldlazarett von Teruel, wo auch er kurz nach mir gelegen, zu sprechen kamen, überraschte mich mein Kamerad mit der Mitteilung, daß er auf einer seiner letzten Reisen nach dem Vorderen Orient unserem böhmischen Spaßvogel wiederbegegnet sei. Der Tscheche hatte das Schicksal so vieler braver Spanienkämpfer geteilt, die — nach ihrem Übertritt auf französisches Gebiet — zuerst in verschiedenen Konzen trationslagern am Fuße der Pyrenäen gefangengehalten und dann nach Nordafrika verschickt und zum Straßenbau in der Wüste gepreßt wurden. Die Gefangenschaft mit all ihren Härten vermochte nicht, den Spaßvogel um seinen Witz und guten Mut zu bringen, dagegen ließ sie ihn die frühere Abneigung gegen das Studium fremder Sprachen aufgeben; er lernte, so sauer es ihn auch ankam, nacheinander Französisch, Spanisch, Englisch und Arabisch — immer von dem Gedanken besessen, daß es ihm einmal gelingen werde, auszubrechen und sich nach Ägypten durchzuschlagen. Nach mehreren Fehlschlägen glückte ihm endlich, im Sommer 1942, zusammen mit zwei anderen Gefangenen die Flucht aus dem Arbeitslager, doch zeigten sich seine beiden Gefährten den mörderischen Strapazen einer Wüstenwanderung nicht gewachsen und starben am Ende der ersten Woche eines elenden Todes. Den sicheren Untergang vor Augen, setzte der Tscheche gleichwohl die Flucht fort. Wider alle vernünftige Erwartung, ja auch nur Hoffnung, erreichte er nach drei weiteren Wochen eines der kleinen britischen Forts an der ägyptischen Grenze. Obwohl völlig erschöpft und seiner Sinne kaum mehr mächtig, wollte er die Wache dennoch in einem der neuerlernten Idiome ansprechen, als er sich zu seinem maßlosen Erstaunen auf tschechisch angerufen hörte. Er war, wie sich herausstellte, mit einer geradezu magnetischen Genauigkeit auf den einzigen Punkt der ganzen nordafrikanischen Front zugewandert, wo sich, seit ganz kurzer Zeit, ein aus tschechoslowakischen Freiwilligen gebildeter Truppenteil — eine leichte Flugabwehrbatterie — in Stellung befand."