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Der Ersatz

Durch ein zerschlagenen Gefangenen abgepreßtes Geständnis gelang es der Berliner Geheimen Staatspolizei, einen der Organisatoren des unterirdischen Widerstandes in seinem Unterschlupf aufzuspüren und nach heftigem Kampf angeschossen in ihre Gewalt zu bekommen.

Da das Gefängnislazarett überfüllt war, wurde der Verwundete vorläufig in die Charite gebracht, wo man ihn zu andern Festgenommenen und Verhörten in ein Zimmer der chirurgischen Abteilung legte.

Von einem gutgesinnten Wärter erfuhren die Zimmerinsassen, wer der Neuankömmling war und daß er im Laufe des Tages abgeholt und nach der berüchtigten Folterhöhle in der General-Pape-Straße geschafft werden sollte, wo damals — es war zu Beginn des Dritten Reiches — alltäglich Gefangene eingeliefert und Leichen abgeholt wurden. Sie beschlossen sofort, dem Bedrohten zur Flucht zu verhelfen. Vergebens weigerte er sich, ein Opfer anzunehmen, von dem er wußte, daß es die Rache der SS herausfordern würde; sie gaben ihm alles Geld, das sie hatten, und ein paar Kleidungsstücke und drängten ihn dann fast mit Gewalt aus dem Zimmer.

Er konnte kaum die Straße erreicht haben, als ein Trupp SS in das Zimmer drang und lärmend nach dem "neueingelieferten Aas" verlangte, für das man den Leichenwagen bereits mitgebracht habe.

Bevor noch der Truppführer, vor dem leeren Bett angelangt, Verdacht schöpfen konnte, hatte sich schon ein junger Neuköllner Arbeiter, der nach einer Hausdurchsuchung mit zertrümmerter Schulter hierhergebracht worden war, als der Gesuchte gemeldet.

Ohne ihm Zeit zu lassen, seine Habseligkeiten zusammenzupacken — wozu auch? er würde sie ja doch nicht mehr brauchen! — , nahmen ihn die SS-Männer in die Mitte und stießen ihn hinaus.

Seine Genossen sahen ihn noch vom Fenster aus, wie er unten auf dem Lastauto inmitten der Schwarzen — blaß, aber mit einem schönen und stolzen Lächeln um die fest aufeinandergepreßten Lippen — den heilen Arm hob, die Faust zum Gruß geballt.

Eine Woche später wurde sein Leichnam in verlötetem Sarg zur Beerdigung freigegeben. Am gleichen Tag war der Entkommene von seinen Verwundungen so weit genesen, daß er die unterirdische Arbeit wiederaufnehmen konnte.

Das beste Buch

Diese Anekdote habe ich in verschiedener Form, je nach dem Lande, in dem sie sich ereignet haben soll, erzählen hören, doch glaube ich, daß keine andere Fassung sich mit der hier aufgezeichneten vergleichen läßt, weil sie, wie eine winzige Spiegelscherbe, ein weit größeres Stück Wirklichkeit, als ihre Fläche vermuten läßt, auffängt und zurückwirft.

Ein New-Yorker Börsenmakler, der über einer ebenso gewagten wie einträglichen Baissespekulation vergessen hatte, sich rechtzeitig nach einem Geschenk für die gerade vor Jahresfrist heimgeführte dritte Gattin, zukünftige Erbin eines beträchtlichen Vermögens, umzusehen, fragte zwischen Tür und Angel seine Sekretärin, was er vor dem Nach-Hause-Jagen schnell noch kaufen könne.

"Wie wäre es mit einer von diesen neuen Armbanduhren aus Platin?" schlug die Sekretärin vor.

Der Makler schüttelte bedauernd den Kopf. "Geht nicht. Hat sie schon zu Weihnachten bekommen."

"Nun, dann schenken Sie ihr ein goldenes Feuerzeug."

"Zu dumm! Hat sie auch schon", lautete die bekümmerte Antwort.

"Dann vielleicht ein Buch?"

"Ein Buch?" entgegnete zögernd der wackere Spekulant, indes sein Blick durch das Fenster zu dem gegenüberliegenden Wolkenkratzer schweifte, einem im griechischen Tempelstil erbauten Bankpalast der Manufacturers' Trust Company, von dessen Giebel ein Werbeplakat in mannshohen Lettern die lapidare Weisheit "Das beste Buch — dein Bankbuch!" verkündete. "Ein Buch? Gottverdammich, hat sie auch schon!"

Der arische Papagei

In Prag erzählte mir einer der wenigen Juden, die sich während der deutschen Besetzung versteckt halten und so dem Schicksal, deportiert oder vergast zu werden, entgehen konnten, daß die Nazis im Jahre 1943, als ihre Wehrmachtsberichte fast nur noch von Frontbegradigungen und Loslösungen vom Feinde zu melden wußten, einen siegreichen Feldzug gegen die Hunde, Katzen, Kanarienvögel und Papageien in (wie es im Braunwelsch des Dritten Reiches hieß) rassisch minderwertigen Haushalten durchführten. Diese Tiere mußten der Gestapo ausgeliefert werden, die sie nach Abfassung eines Protokolls zur Vergiftung in das Lager Milovice schickte.

Als ob sie es darauf angelegt hätten, zur Niedertracht und Abscheulichkeit auch noch etwas makabre Lächerlichkeit hinzuzufügen, richteten die Herren von der Gestapohauptstelle eine besondere Kommission ein, deren Aufgabe es war, über das Schicksal von Tieren in "rassisch gemischten" Haushalten zu entscheiden.

Vor diese Kommission wurde eines Tages die nichtjüdische Frau eines Verwandten meines Gewährsmannes gerufen, um Auskunft über die Rassezugehörigkeit ihres Papageis Ruprecht zu geben.

Die Frau, durch die Vorladung nicht wenig in Schrecken versetzt, erklärte weinend, sie könne keine bestimmte Aussage machen, glaube aber, daß Ruprecht, da er den größeren Teil seines Lebens in ihrem Elternhaus zu Frankfurt verbracht habe, wohl als arisch angesehen werden könne.

Das Argument fand Gnade bei dem Vorsitzenden der Kommission, einem Oberinspektor Brunner, der sich von seinen Freunden in leichten Stunden gern "Judenknacker" nennen ließ. Der Papagei durfte am Leben, allerdings nicht weiter in einem Haushalt bleiben, der — hier sei das Protokoll zitiert, das uns erhalten geblieben ist — in rassischer Hinsicht einen Gefahrenherd darstellte. Er wurde deshalb nach Frankfurt zu der Schwester seiner Besitzerin geschickt. Der Transport erfolgte auf dem Luftwege, um dem Tier eine beschwerliche Eisenbahnfahrt zu ersparen. Die amtliche Genehmigung für diese ungewöhnliche Flugsendung wurde vom "Judenknacker" aus eigenem Antriebe besorgt, war er doch, wie sein Führer, ein Freund der Tiere. Vorausgesetzt freilich, daß es sich um rein deutschblütige Exemplare handelte.

Sägemehl

Von den unzähligen Geschichten aus dem spanischen Bürgerkrieg scheint mir eine besonders bemerkenswert, zum ersten, weil sie den Geist der Republikaner, ihren Mut und ihr Pathos so treffend widerspiegelt, und zum andern, weil ich sie aus dem Mund eines ihrer Gegner gehört habe.

Es war in einer jener kleinen Pariser Gaststätten, die von Russen — ehemaligen zaristischen Offizieren oder Händlern — betrieben werden. Auf dem Tisch, an den ich mich gesetzt hatte, lag ein Zeitungsblatt, das in großen Lettern von dem letzten verzweifelten Kampf einer republikanischen Abteilung im verratenen Madrid erzählte. Nicht nur die Soldaten und Offiziere, auch viele Frauen — Angehörige der umzingelten Truppe — waren niedergemacht worden.

"Wie schrecklich", sagte mit einemmal ein Gast, der am gleichen Tisch saß, und wies auf die Zeitung, "wie schrecklich! Aber haben sie es denn anders verdient, diese Roten? Nun, jetzt ist es aus mit ihnen für immer."

Keiner von den andern Gästen ging auf diese Worte ein, und der Mann, der so gesprochen hatte, erwartete wohl auch nichts anderes. Um so größer war sein und unser aller Erstaunen, als der Kellner, ein hagerer Mensch, der auf dem linken Fuß lahmte, mit lauter Stimme erklärte: "Ob sie es verdient haben, weiß ich nicht; aber was das Aus- und Zu-Ende-Sein anlangt, so möchte ich daran zweifeln…"

Er wurde von dem andern unterbrochen. "Was?" rief dieser erstaunt. "Das sagen Sie? Sind Sie nicht selber in Spanien gewesen, auf der Seite der Weißen?"