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Wer's nicht glaubt, zahlt weniger als im Märchen, nämlich nur den Preis für ein Heft der Zeitschrift "Time" vom 23. Mai 1955.

Der gute und der schlechte Geschmack

Vom Senat der Vereinigten Staaten wurde, als aus allen Tielen des Landes Klagen über eine erschreckende Zunahme der von Jugendlichen begangenen blutigen Untaten einliefen, ein besonderer Ausschuß eingesetzt, der unter anderem den Einfluß der sogenannten Horror-Comics auf die Jugend untersuchen sollte, jener billigen Bildheftchen, deren haargenaue Schilderungen von Morden, Sittlichkeitsdelikten und Grausamkeiten aller Art nach Ansicht der meisten Erzieher und Jugendrichter eine wahre Schule des Verbrechens darstellen. Ganz anderer Meinung war freilich der vor dem Ausschuß als Experte erscheinende Vorsitzende des Verbandes der Comics-Industrie, Mister William A. Graines. Mit der Würde und dem Selbstbewußtsein eines Mannes, der zweihunderttausend Dollar im Jahr macht, erklärte er, seine Firma sei stolz auf die Heftchen, die sie produziere. Es gebe wohl auch einen bestimmten Personenkreis, der daran keinen Gefallen finde, doch das sei eine Sache des persönlichen Geschmacks. Er, Graines, wisse sich jedenfalls mit dem, was man den guten Geschmack des achtbaren amerikanischen Bürgers nenne, in voller Übereinstimmung.

Hier nun zog einer der Senatoren, der Ehrenwerte Estes Kefauver, ein Heft hervor, dessen Titelblatt mit dem grellfarbigen Bild eines Mannes geschmückt war, der in der Rechten eine Axt, in der Linken einen abgehackten Frauenkopf hielt, und fragte, ob Mister Graines auch angesichts dieses seines Produkts an der soeben geäußerten Ansicht festhalte.

Natürlich, erwiderte ohne Wimperzucken der biedere Erzeuger von Greuelheftchen. Es komme allerdings, setzte er verbindlich hinzu, bei solchen Bildern auf gewisse Nuancen an, die man beachten müsse. Was er damit meine, wollte Kefauver wissen.

Und der andere darauf: "Ja, sehen Sie, Senator, wenn zum Beispiel der Gentleman auf dem Titelblatt den Kopf der Lady etwas höher hielte, so daß man das aus dem Hals tropfende Blut sehen könnte, dann wäre das mit dem guten Geschmack nicht mehr vereinbar."

Wundert es jemand, daß der Ausschuß in seinem Bericht an das Hohe Haus zu dem Schluß kam, von einer Kontrolle der Comics-Industrie abzuraten, weil eine solche Maßnahme sowohl gegen das Prinzip der Pressefreiheit als auch gegen das Ideal des freien Unternehmertums verstieße.

Eisele

"Wir sind dazu da, unsere Kinder für das Leben, nicht für den Tod zu erziehen!" pflegte Anton Eisele, Lehrer in Enddersdorf im Schwäbischen, zu seinen Nachbarn am Tisch des Dorfkrugs zu sagen. Er sagte es auch zu sich selbst, als er in der dunklen Zeit, da der Bonner Kanzler Adenauer mit allen Mitteln die Wiederaufrüstung für einen Krieg in fremden Diensten betrieb, seine Schüler einen Aufsatz mit dem Thema "Warum wird uns die Remilitarisierung ins Verderben führen?" schreiben und die Aufsatzhefte von den Eltern oder anderen erwachsenen Verwandten der Kinder lesen und unterzeichnen ließ.

Er wurde von einem ehemaligen SS-Mann, der es, wie im Bonner Staat üblich, wieder zu Amt und Ehren gebracht hatte, angezeigt und daraufhin in Stuttgart vor Gericht gestellt.

Nach Verlesung der Anklageschrift, die den Lehrer beschuldigte, staatsgefährdende Gedanken verbreitet zu haben, fragte der Richter unseren Eisele, warum er gerade dieses Aufsatzthema gewählt habe.

Eisele, in Miene und Gebaren die Unschuld selber, entgegnete, die Lehrer seien doch von ihrer vorgesetzten Behörde angewiesen worden, die Themen für den deutschen Aufsatz aus der Gegenwart zu nehmen.

Die Antwort rief auf den Gesichtern der Zuhörer, deren es eine ganze Menge gab, war doch halb Endersdorf zur Gerichtsverhandlung gekommen, kein schlechtes Grinsen hervor, und nicht einmal der Richter konnte ein Lächeln unterdrücken.

Da griff der Staatsanwalt ein. Obwohl ein schneidiger Herr und von soldatischem Gehaben, zwang er seiner Stimme die sanftesten Töne ab. Ob der Angeklagte vielleicht von jemand dazu angestiftet worden sei?

"An-ge~stif-tet?" gab Eisele zurück und wiegte nachdenklich den mächtigen Schädel.

"Jawohclass="underline" angestiftet!" wiederholte der Staatsanwalt und setzte hoffnungsvoll hinzu: "Steckt vielleicht eine — fremde Macht dahinter?"

Wieder wiegte Eisele den Kopf. "Kann schon sein, Herr Staatsanwalt. Ja, so was steckt wohl dahinter."

Unter den Zuhörern entstand ein Getuschel; der Richter beugte sich so weit vor, daß der Tisch unter seinem Gewicht knarrte; und der Staatsanwalt preßte ganz heiser heraus: "Aha! Und wer war's?"

"Wer?" erwiderte Eisele und schneuzte sich umständlich in sein großes blau-weiß gewürfeltes Taschentuch. "Die Oberpostdirektion, Herr Staatsanwalt. Mir hat das Soldatenspielen schon lange nicht gefallen. Dann hab ich eines Tags einen Brief gekriegt, aus München, da war ein Poststempel drauf mit einem Spruch: "Mitdenken, mitreden, mithandeln — dein Beitrag zur Demokratie!" Recht hat die Oberpostdirektion, hab ich gesagt. Und dann hab ich den Aufsatz schreiben lassen."

Anton Eisele verlor den Prozeß, er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Aber, so sagte er später im Dorfkrug von Endersdorf zu seinen Nachbarn, das Geld reue ihn nicht, denn ihm scheine, daß er am Ende mehr gewonnen als verloren habe. Und dem Chronisten scheint desgleichen.

Der Weg des Hirten

Einer Moskauer Delegation, die — nachdem zwischen der Sowjetunion und Israel diplomatische Beziehungen angeknüpft worden waren — das "Heilige Land" bereiste, wurde unter anderem auch ein Kibuz, eine der auf primitiver Gütergemeinschaft beruhenden landwirtschaftlichen Genossenschaften, gezeigt.

Der Vorsitzende des Kibuz konnte es sich nicht versagen, die Gäste bei jeder Gelegenheit auf den, wie er ihn nannte, urwüchsigen Sozialismus seiner Genossenschaft hinzuweisen. "Nehmen Sie zum Beispiel unseren Schafhirten", sagte er, als man nach einem Rundgang durch die Ställe und Felder zu den Weideplätzen kam, "der Mann verkörpert schon durch seinen Werdegang unser Prinzip der vollständigen Gleichheit und Brüderlichkeit. Er war früher Universitätsdozent in Heidelberg. Ich weiß nicht, ob Sie mir in Ihrem Lande einen ähnlichen Fall nennen könnten."

"In der Tat, das könnten wir nicht", erwiderte eines der Delegationsmitglieder aus dem Lande des Sozialismus, "bei uns ist es nämlich genau umgekehrt, wir versuchen aus Schafhirten Universitätsdozenten zu machen."

Der Flüchtling

Der Dichter Hans Marchwitza wurde während eines Besuchs im Ruhrgebiet, wo er in seiner Jugend harte Jahre als Bergmann verlebt hatte, von einem Wachtmeister der Adenauerschen Bundespolizei, bei dem er sich nach einer Fahrtverbindung erkundigte, gefragt, ob er "nicht auch Flüchtling" sei.

"Ich? Flüchtling?" entrüstete sich Marchwitza, der vor kurzem in der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Nationalpreis ausgezeichnet und zum Mitglied der Akademie ernannt worden war. "Wie kommen Sie darauf?"

"Ganz einfach", entgegnete der Wachtmeister. "Ich habe an Ihrer Aussprache erkannt, daß Sie aus Oberschlesien sind: Da müssen Sie doch von dort vertrieben worden sein."

Jetzt nickte Marchwitza, daß ihm der weiße Schopf in die Stirn fiel. "Allerdings. Und schon 1910. Da haben mich di Grafen von und zu Henkell-Donnersmarck, dieselben, dem es heute bei euch noch so gut geht und die damals Besitzer der inzwischen zum Volkseigentum gewordenen schlesischen Gruben waren, durch ihre Hungerlöhne aus der Heimat vertrieben. Und wenn Sie noch mehr davon hören wollen…"

Doch auf mehr war der Wachtmeister nicht erpicht.

Die Baude im Riesengebirge