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Während einer der Gehilfen mit beiden Händen den Kopf des Verurteilten auf den Richtblock drückte, verrichtete der Henker sein Werk. Unmittelbar danach trat er auf den Generalstaatsanwalt zu und teilte ihm mit: "Hinrichtung in zwanzig Sekunden ausgeführt!"

Die kürzeste Hinrichtung hatte vierzehn Sekunden, die längste zwanzig Sekunden gedauert.

Bei allen Verurteilten ging die Exekution mit einem einzigen Streich des Beils vonstatten. Auch bei Hammacher gab es keinen zweiten Schlag, nur mußte der Scharfrichter zweimal schneiden, um den Kopf vom Rumpf zu trennen.

Es ist also unzutreffend, daß der Scharfrichter einen falschen Schlag geführt hat. Ebenso unrichtig ist es, daß sich der Zuschauer Nervosität oder vor Entsetzen und Empörung eine beträchtliche Aufregung bemächtigt hat.

Neunzigtausend

Zu Beginn des Monats November konnte man in den kurhessischen Zeitungen eine amtliche Mitteilung finden, des Inhalts daß die Geheime Staatspolizei den Kommunisten Ludwig Schleenbecker aus Gießen suche. Schleenbecker — so hieß es in der Mitteilung, auf deren wörtliche Wiedergabe in jener barbarischen Sprache, die von den Führern des Dritten Reichs für deutsch ausgegeben wird, wir verzichten wollen Schleenbecker habe wiederholt in den Städten und auf dem Lande aufrührerische Flugblätter verteilt und werde deshalb wegen Hochverrats verfolgt; jeder, der etwas über ihn in Erfahrung bringe, müsse davon sofort das Geheime Staatspolizeiamt verständigen; Landjäger und Polizeibeamte seien angewiesen, bei einem Zusammentreffen mit Schleenbecker unverzüglich von der Schußwaffe Gebrauch zu machen; wer immer dem Hochverräter Unterschlupf oder Beistand gewähre, sei zu verhaften und unter Anklage zu stellen.

Das war im November.

Um die Weihnachtszeit konnte man in den kurhessischen Zeitungen die gleiche Mitteilung noch einmal lesen, ergänzt durch die Ausschreibung eines Kopfpreises. Schleenbecker trieb sich noch immer in den Städten und auf dem Lande umher und verteilte weiterhin kommunistische Flugschriften. Im Januar war aus den Zeitungen nichts über Schleenbecker zu erfahren. Im Februar wurde sein Kopfpreis auf das Dreifache erhöht. Von da an wurde nichts mehr über ihn gemeldet. Vielleicht hat ihn die Geheime Staatspolizei gefaßt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht faßt sie ihn morgen. Oder übermorgen. Aber auch wenn sie ihn faßt… es gibt hunderttausend Schleenbeckers in Deutschland. Man kennt ihre Namen nicht, aber gerade sie, so sagen die Genossen, sind die größten Helden, ihre Namen kann das Geheime Staatspolizeiamt nicht einmal in die Zeitung setzen; es merkt von ihnen nur, wie gut sie arbeiten, aber es weiß nicht, wie sie heißen und wer sie sind.

Nach den Pressemeldungen einer Woche:

…klebten dreimal am Morgen, wenn die Angestellten der preußischen Staatsdruckerei zur Arbeit kamen, an den Schränken im Ankleideraum rote Zettel mit Hammer und Sichel — die Täter blieben unbekannt…

…fuhren plötzlich, am hellichten Tage, vielleicht zweihundert Radfahrer durch die N… straße im Berliner Osten und sangen den "Roten Wedding" und die "Internationale" — sie blieben unbekannt…

…fanden die Bewohner eines Neubaublocks in Berlin-T… zwischen den Blättern des "Völkischen Beobachters", den ihnen SA-Männer in die Wohnung gebracht hatten, die verbotene "Rote Fahne" — die Täter blieben unbekannt…

…verteilte eine nationalsozialistische Propagandakolonne in Charlottenburg einen Stoß Aufrufe, den sie "zum Verteilen bestimmt!" in ihrem Vereinslokal gefunden hatte; erst als man mit der Arbeit beinahe zu Ende war, bemerkte jemand, daß es getarnte kommunistische Aufrufe waren — die Täter blieben unbekannt…

…erschoß sich der Buchdrucker S… in seiner Wohnung, der sechsten, seit er, ein früherer Kommunist, in die Dienste der Gestapo getreten war; er hatte fünfmal die Wohnung wechseln müssen, weil trotz schärfster Bewachung immer wieder am Haustor, an den Flurwänden, an der Wohnungstür die Worte "Spitzel! Arbeitermörder!" aufgetaucht waren, man hatte sie auch an die Tür der letzten Wohnung gemalt — die Täter blieben unbekannt…

…erhielten in Schöneberg Passanten, die nichts für die Winterhilfe geben wollten, von den Sammlern Briefumschläge mit einer "letzten Mahnung" in die Hand gedrückt; die Umschläge enthielten illegale Schriften — die Täter blieben unbekannt…

In ihrem Bericht an das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale meldete die KPD Anfang 1934 über neunzigtausend eingeschriebene Mitglieder. Neunzigtausend Sheleenbeckers. Man sucht sie. Man jagt sie. Man setzt Kopfpreise auf sie aus. Es nützt nichts. Sie geben nicht nach. Sie werden mehr und mehr. Sie sind die Stärkeren, sie wissen: Sie werden die Sieger von morgen sein.

Der alte Liebermann

Ein Kunsthändler aus Brüssel traf wenige Wochen nach Hitlers Machterschleichung Max Liebermann, der — sei es wegen seines hohen Alters, sei es, weil er den richtigen Augenblick zur Emigration versäumt zu haben oder anderswo nicht leben zu können glaubte — in Berlin geblieben war, im Kaffeehaus Kranzler Unter den Linden. Der Maler saß allein an einem versteckten Tisch im Hintergrund des großen Saales und kritzelte Fratzen auf die Rückseite der Speisekarte.

"Ihr Aussehen gefällt mir nicht, Meister", sagte der Belgier nach den ersten Worten der Begrüßung. "Essen Sie nicht zuwenig? Wie geht es Ihnen überhaupt?"

"Ach, wissen Sie", entgegnete Liebermann, "heutzutage kann man gar nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte."

Wasser

"Wenn Gott will, heißt es in der Redensart, schießt ein Besen. Doch was ist ein solches, übrigens weder bewiesenes noch beweisbares Wunder göttlicher Vorsehung gegen das, was ich ein Mirakel der Dialektik nennen möchte. Jawohl, ein Mirakel der Dialektik, das sich an diesem Ort tatsächlich begeben und aus ein wenig klarem Wasser, also einer gemeinhin für völlig unschädlich gehaltenen Flüssigkeit, eine furchtbare Waffe gemacht hat. Aber das will erklärt sein…"

Diese Worte sprach mein Freund E…, als er mich durch das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald führte, wo er zu Hitlers Zeiten viele Jahre als Häftling verbracht hatte.

"Dort drüben", sagte er, indem er den Krückstock hob, ohne den er nicht mehr gehen kann, seitdem ihn die Nazis lahm geschlagen, "dort drüben arbeitete ich als Sanitätsgehilfe. Es war die Serumstation. Die SS-Ärzte entwickelten damals, im vierten Kriegsjahr, einen neuen Impfstoff gegen den Flecktyphus und benutzten bei ihren Experimenten Gefangene als Versuchskaninchen. Tausende gingen dabei elend zugrunde, ohne daß wir — die illegale kommunistische Gruppe — etwas tun konnten… Wenigstens anfangs."

E… schwieg und zeichnete mit dem Stock Kreise in den Sand des Weges, doch mußte er währenddem in meinem Sinn gelesen haben, denn als er den Mund wieder öffnete, antwortete er auf das, was ich mich und ihn im stillen gefragt hatte. "Und später? Später fanden wir Mittel und Wege, eine große Anzahl von Häftlingen mit dem Serum zu impfen, und wir hätten noch viel mehr retten können, wenn es uns nicht an Spritzen und Nadeln gefehlt hätte. Denn diese waren begreiflicherweise viel schwerer zu beschaffen als das Serum."

E… machte wieder eine Pause, und als er im Reden fortfuhr, zeigte sich, daß er abermals meine Gedanken erraten hatte. "Begreiflicherweise? Nun ja, wenn wir ein Instrument beiseite schafften, war es nicht mehr da, und sein Fehlen konnte jeden Augenblick von den Nazis bemerkt werden. Die Folgen einer solchen Entdeckung kannst du dir wohl selbst ausmalen. Dagegen war einer Eprouvette, der wir das Serum entnahmen, nichts anzusehen, weil wir sie einfach mit Wasser wieder füllten. Schließlich hatten wir alles so gut organisiert, daß das Umfüllen im großen vorgenommen werden konnte, und im letzten Kriegsjähr wurden die Regimenter der Waffen-SS, für die das bei uns erzeugte Serum bestimmt war, gegen Flecktyphus nur mit aqua destillata geimpft. Mit klarem, destilliertem Wasser."