"Dynamit" nannte ein entkommener Häftling, der diese Geschichte über die Grenze brachte, den erdrosselten Schrei der Kameraden, die stumm bleiben mußten, als die zerschlagenen Leiber an ihnen vorbeigeschleift wurden, "Dynamit, das auch in zwanzig Jahren nicht dumpf werden wird."
Ehrvergessen und unwürdig ihrer Rasse
Im Spätherbst 1942, während der Niederlage bei Stalingrad, befahl in zahlreichen deutschen Städten und Flecken die Gestapo "zwecks Aufpulverung der Hinterlandsmoral" die letzten Juden auf die Polizeiämter und schob sie fristlos nach Polen ab, wo die Kräftigeren unter ihnen von Arbeitslagern, die Gebrechlichen und Kranken von den neuerdings eingerichteten Gaskammern erwartet wurden.
Die Kinder der Verschickten blieben vorläufig zurück, dem Hunger preisgegeben. Ihnen zu helfen war, als Volksund Rassenverrat, bei hoher Strafe verboten. Dennoch fanden sich in einem Dorfe des Königsberger Bezirks fünf Frauen, die acht jüdische Kinder zu sich nahmen und für ihre eigenen ausgaben, ungeachtet des Umstandes, daß ihre Familienverhältnisse natürlicherweise der Nachbarschaft und den Behörden auf das genaueste bekannt waren.
Ein Sondergericht verurteilte die "ehrvergessenen und ihrer Rasse unwürdigen Kreaturen" — wie die "Königsberger Zeitung" zu melden wußte — zu je sechs Jahren Zuchthaus. Mildernde Umstände wurden nicht zuerkannt, da die Angeklagten keinerlei Reue zeigten, ja, auf Befragen versicherten, sie würden, wenn sie die Wahl hätten, nochmals genauso handeln, wie sie gehandelt hatten.
Als ob er geahnt hätte, worauf es der Nachwelt allein ankommen wird, nannte der nationalsozialistische Schriftleiter keinen der Richter, Anklagevertreter und Belastungszeugen, wohl aber die Verurteilten mit Namen. Die fünf Frauen hießen: Johanna Krieger, Ernestine Schmiedel, Sophie Metzger, Frieda Krantz und Frieda Seifert.
Als durch die Ungeschicklichkeit oder Naivität eines beteiligten Offiziers bekannt wurde, daß die Truppen Ihrer Britischen und Holländischen Majestäten bei der Nieder-metzelung indonesischer Freiheitskämpfer auf Java fast ausschließlich Waffen verwandten, die deutlich als amerikanisches Heeresgut gekennzeichnet waren, nahm die Regierung der Vereinigten Staaten daran begreiflicherweise Anstoß und beschloß, wie es in einem aus diesem Anlaß veröffentlichten Bericht hieß, bei den Kabinetten von London und Den Haag unverzüglich Vorstellungen zu erheben.
Dies geschah, und der Erfolg ließ nicht auf sich warten. In der Folgezeit sahen die britisch-holländischen Kommandeure streng darauf, daß die amerikanischen Kennzeichen von den Kanonen und Tanks entfernt wurden, bevor diese in Aktion traten, um den Indonesiern Freiheit und Demokratie zu bringen.
Für die hohen Beteiligten war damit die Angelegenheit erledigt. Der Chronist freilich kann sich abschließend nicht der Frage enthalten, wieviel Fliegen auf diese Weise mit einem Schlag beseitigt wurden… wobei, um mit Kleist zu reden, noch die shakespearische Eigenschaft zu bemerken ist, daß mit dem Ausdruck "Fliegen" für tote Indonesier nicht aus der Sphäre der hohen Beteiligten hinausgegangen wird.
Greuelmärchen
Während der Kämpfe im Warschauer Getto kreisten die Nazis das jüdische Lazarett in der Ulica Franciszkanska ein und steckten es, nachdem sie vorsorglich alle Ausgänge vernagelt hatten, in Brand. Kranke und Verwundete, die trotzdem einen Weg ins Freie fanden, wurden mit Schüssen und Stößen in die Flammen zurückgetrieben.
Als ein Teil der glühenden Mauern schon am Einstürzen war, erschien plötzlich auf dem Dach des Gebäudes eine Frau, die zwei Kinder in ihren Armen trug. Sofort begannen ihr die rundum postierten SS-Leute, die sich dabei vor Lachen kaum zu fassen wußten, muntere Ratschläge zu erteilen: sie solle sich nicht weiter zieren und hinunterhüpfen, und dergleichen mehr. Einige Hitlermädchen vom Ambulanzdienst der SS stimmten in die grausige Fröhlichkeit ein.
Die verzweifelte Mutter schleuderte eines der Kinder, um ihm einen leichteren Tod zu bereiten, in die Tiefe. Das andere Kind klammerte sich zu fest an, als daß sie seinen Griff hätte lösen können; so sprang sie schließlich mit ihm ins Feuer.
Eine plötzliche Salve streckte fast im gleichen Augenblick die immer noch lachenden SS-Leute und Hitlermädchen nieder. Am nächsten Tage konnte man in der "Warschauer Zeitung" lesen, daß jüdische Heckenschützen in ihrer viehischen Roheit nicht einmal das Leben deutscher Krankenschwestern schonten.
Dreizehn Kappen
Als nach eingetretener Waffenruhe der erste Transport nordkoreanischer und chinesischer Kriegsgefangener, aus amerikanischen Lagern heimkehrend, an der Demarkationslinie eintraf, bot sich den sie Erwartenden — es waren Mitglieder der gemischten Waffenstillstandskommission, Ärzte, Krankenschwestern, Abordnungen der Bevölkerung und der Freiheitsarmee — ein Bild, das keiner von ihnen so leicht vergessen dürfte.
Die Gefangenen, in Lumpen gekleidet, ausgemergelt, verschmutzt, zum Teil krank und verwundet (in den Lagern verwundet, denn die blessiert in Gefangenschaft Geratenen waren schon vorher ausgetauscht worden), verließen in tiefem Schweigen die Lastwagen, auf denen sie gekommen waren. Schweigend formierten sie sich zu einer Kolonne, schweigend marschierten sie über die Demarkationslinie, wobei die Flügelmänner der ersten Reihen mit ausgestreckten Armen dreizehn zerknitterte Militärkappen trugen. Es waren, wie sich alsbald herumsprach, die Kappen ihrer von den Amerikanern in Verachtung aller Gebote der Menschlichkeit und des Völkerrechts im Kriegsgefangenenlager auf der Insel Jontscho niedergemetzelten Kameraden — das einzige, was von den Habseligkeiten der Ermordeten vor dem Zugriff der beutegierigen Wachmannschaften hatte gerettet werden können.
Es wird berichtet, daß die Zeugen des Vorbeimarsches, soweit es sich freilich um Koreaner und Chinesen handelte, in Tränen ausbrachen. Aber selbst den Offizieren und Reportern aus dem reichsten und barbarischsten Lande der Welt soll bei diesem Anblick der Kaugummi gewissermaßen zwischen den Zähnen erstarrt sein, dergestalt, daß sie, solange die Kolonne in Sichtweite war, verwirrt dastanden, die sonst immer in mahlender Bewegung befindlichen Kiefer wie festgekittet.
Der Kälberstrick
Für jene Gefangenen, die wegen "Aufsässigkeit" oder weil es der Kommandant so bestimmte, in die Arrestzellen, die sogenannten Bunker, geschafft wurden, stellte die Kanzlei des Konzentrationslagers Dachau nicht nur die "Strafkarten", sondern auch gleich die gelben Dienstzettel aus, die an den Landjägerposten (Kopie an die Staatsanwaltschaft zu München) jedesmal dann abgingen, wenn im Lager ein "Abgang durch Selbstmord" zu verzeichnen war.
Die Eintragungen auf den gelben Zetteln glichen einander mit Ausnahme der Personalangaben, der Einlieferungs- und der Sterbedaten vollkommen. Jedesmal hieß es: "In der Zelle erhängt" und "Motiv unbekannt".
Nicht vermerkt wurde hingegen, daß sogar das Corpus delicti jedesmal das gleiche war, ein und derselbe solide Kälberstrick, dessen Schlinge vom häufigen Gebrauch schon ganz glatt und dunkel geworden war. Erst als der — gewissermaßen schon geregelte — Ablauf jener Vorgänge, die zu seiner Benutzung führten, eines Tages gestört wurde, tauchte der Strick in den Akten der Lagerkanzlei auf.
Das war gegen Ende 1933 und kam so:
Wie allen Bunkerinsassen, wurde auch dem Landtagsabgeordneten B…, einem oberbayrischen Holzfäller, der schon bei der Einlieferung von dem gleichfalls aus Oberbayern stammenden Führer der Wachmannschaft mit den Worten "Willkommen auf dem Friedhof!" begrüßt worden war, zusammen mit der Bibel auch der bewußte Strick in die Zelle gebracht. Auf die Frage, was das bedeuten solle, erhielt er zur Antwort, er möge erst einmal den Besuch des Kommandos zur besonderen Verwendung abwarten, dann werde ihm der Zweck dieses "Geschenkes" ohne weiteres klarwerden. Im übrigen bleibe zu erwägen, ob er nicht schon vor Erscheinen des Kommandos z. b. V., das — wie man an dumpfen Schlägen und verzweifelten Schreien hören konnte — soeben in eine der Nachbarzellen zu Besuch gekommen war, von dem Strick Gebrauch machen wolle: lebend komme er ja doch nicht wieder aus dem Bunker hinaus, und es sei immer noch angenehmer, sich sozusagen gesund aufzuhängen als mit zerbrochenen Gliedern oder abgetretenen Hoden.