»Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete ich Jane. »Aber vielleicht kannst du heute Abend mitkommen, wenn wir das Haus besichtigen. Du verstehst doch etwas von Okkultismus, oder? Geister und Gespenster und all dieser Kram. Ich möchte gern, dass du dir mal den Türklopfer des alten Wallis anschaust, und auch drinnen so einiges. Vielleicht finden wir irgendeinen Anhaltspunkt. Ich weiß es nicht.«
»Warum ich?«, meinte sie ruhig. »Es gibt bestimmt bessere Experten für Okkultismus. Ich verkaufe nur Bücher darüber.«
»Du liest sie aber doch auch, oder?«
»Sicher, aber …«
Ich griff nach ihrer Hand. »Bitte, Jane, tu mir den Gefallen, geh mit. Es ist um neun Uhr heute Abend, in der Pilarcitos Street. Ich weiß nicht, warum ich dich dort brauche, aber ich fühle, dass ich dich brauche. Wirst du kommen?«
Jane berührte ihr Gesicht mit den Fingerspitzen, als wollte sie sich vergewissern, dass sie existierte, immer noch 26 Jahre alt war und sich über Nacht nicht in jemand anderen verwandelt hatte.
»In Ordnung, John, wenn du mich wirklich dabeihaben willst … und solange es kein Versuch ist, mich irgendwie zu verführen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Kannst du dir ein Paar vorstellen, das John und Jane heißt? Das würde nie klappen.«
Sie lächelte stumm.
Ich ging an diesem Abend etwas früher zur Pilarcitos Street. Aufgrund des bewölkten Himmels war es viel schneller dunkel geworden als sonst. Das düstere Haus wurde von Schatten und Regen verhüllt. Während ich draußen stand und wartete, hörte ich Wasser in der Regenrinne gurgeln und sah das feuchte Dach schieferdunkel glänzen. Bei diesem Wetter, in dieser Finsternis, schien Nummer 1551 in sich selbst zusammenzukriechen, sich schwermütig und unbehaglich zu fühlen, inmitten der von Regen gepeitschten Stadt.
Ich hatte noch einmal kurz im Krankenhaus angerufen, aber die Schwester sagte, dass Dan noch immer schlief und es wäre keine Veränderung eingetreten. Dr. Jarvis sei im Augenblick nicht im Dienst, deshalb könne ich nicht mit ihm über Dans Fortschritte reden, doch wahrscheinlich, mit etwas Glück, könnte ich ihn wohl heute Abend erreichen.
Auf der anderen Seite der Bucht wanderte ein Wetterleuchten umher und weit in der Ferne hörte ich das Grollen eines Unwetters. So, wie der Wind jetzt blies, würde der Sturm in einer halben Stunde über die Stadt hinwegziehen.
Ich öffnete das Gartentor und ging die Stufen zur Eingangstür hinauf. In der Dunkelheit konnte ich noch soeben die Umrisse des Türklopfers mit seinem grinsenden Wolfsgesicht ausmachen. Vielleicht war ich nur nervös und dachte zu sehr an den Traum von Dan Machin, aber der Türklopfer schien seine Augen zu öffnen und mein Nahekommen zu beobachten. Ich erwartete schon beinahe, dass er reden und etwas flüstern würde, wie Dan es sich eingebildet hatte.
Widerwillig streckte ich meine Hand aus, um den Klopfer zu nehmen und gegen die Tür zu schlagen. In dem Augenblick, als ich zugriff, ließ ich auch schon wieder los – für den Bruchteil einer Sekunde, nur einen abwegigen Moment lang, schien es, als hätte ich Borsten statt Bronze angefasst. Doch ich packte wieder zu, denn mir war bewusst, dass ich mir solche Sachen nur einbildete. Der Türklopfer war grotesk, sein Gesicht war wild und bösartig, aber er bestand aus nichts anderem als gegossenem Metall. Als ich ihn auf die Tür schlug, verursachte er einen lauten, schweren Knall, der drinnen durch das Innere des Hauses hallte.
Ich wartete, lauschte dabei dem Geräusch des sanft fallenden Regens und dem Sausen der Autos auf der Mission Street. Erneut grollte der Donner und das Wetterleuchten ging wieder los, inzwischen viel näher. Im Haus hörte ich das Öffnen einer Tür und wie sie geschlossen wurde, dann folgten Schritte, die sich der Eingangstür näherten.
Die Riegel und Ketten rasselten und dann schaute Seymour Wallis durch den Spalt. »Sie sind es«, meinte er. »Sie sind aber früh dran.«
»Ich wollte mit Ihnen reden, bevor die anderen kommen. Darf ich eintreten?«
»Aber natürlich«, sagte er und öffnete die schwere, knarrende Tür.
Ich betrat die muffige Halle. Sie war noch immer so alt und roch so stickig, wie ich sie gestern empfunden hatte, und obwohl durch den Knall vergangene Nacht die Rahmen gerissen und die Glasscheiben gesprungen waren, hingen die trübseligen Zeichnungen des Mount Taylor und Cabezon Peak immer noch an der schäbigen Tapete.
Ich ging zu der seltsamen Bärenstatue hinüber, die auf dem Endpfosten des Treppengeländers stand. Gestern Abend hatte ich sie nicht sonderlich beachtet, aber jetzt sah ich, dass das Frauengesicht ziemlich hübsch war, friedlich und gefasst, mit geschlossenen Augen.
»Das ist wirklich eine außergewöhnliche Skulptur.«
Wallis war noch damit beschäftigt, die Tür zu verriegeln. Er wirkte heute Abend älter und steifer in seiner ausgebeulten grauen Hose und der weiten grauen Strickjacke, deren Ärmel er hochgekrempelt hatte. Er roch nach Whisky.
Er beobachtete, wie ich mit der Hand über den Bronzerücken des Bären strich.
»Ich habe sie gefunden«, sagte er. »Schon vor einigen Jahren, als ich drüben in Fremont arbeitete. Wir haben eine Verkehrsbrücke für den Park gebaut und dabei haben wir sie ausgegraben. Seitdem habe ich sie immer bei mir gehabt. Sie gehörte nicht mit zum Haus.«
»Dan Marchin hat heute Morgen davon geträumt«, erzählte ich.
»Wirklich? Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum er von ihr träumen sollte. Es ist doch nur eine alte Skulptur. Ich weiß nicht mal, wie alt sie ist. Was würden Sie schätzen? 100 Jahre, 200 Jahre?«
Ich sah mir das demütige Gesicht der Bärenfrau näher an. Ich weiß nicht, weshalb, aber der Gedanke an einen Bären mit dem Gesicht einer Frau gab mir ein unangenehmes, gruseliges Gefühl. Ich vermute, es lag ganz einfach an der gesamten Atmosphäre in Wallis’ Haus. Aber wer hatte eine solch seltsame Figur geschaffen? Was sollte sie ausdrücken? Hatte sie eine symbolische Bedeutung? Zumindest war es sicher, dass sie nicht nach einem lebenden Modell modelliert worden war – das hoffte ich jedenfalls.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Experte. Ich kenne mich nur im Gesundheitswesen aus.«
»Kommt Ihr Freund auch? Der Ingenieur?«, fragte Wallis, während er mich in sein Büro führte.
»Er hat es gesagt. Außerdem kommen noch ein Arzt, wenn Sie nichts dagegen haben, und eine Bekannte von mir, die einen auf esoterische Literatur spezialisierten Buchladen in Brannan führt.«
»Ein Arzt?«
»Ja, es ist der, der Dan behandelt. Wir hatten heute einen kleinen Zwischenfall.«
Wallis ging zu seinem Schreibtisch hinüber und schenkte mit zitternder Hand zwei volle Gläser Scotch ein. »Zwischenfall?«, fragte er, den Rücken mir zugewandt.
»Es ist schwer zu beschreiben. Aber ich habe das Gefühl, dass das, was auch immer wir vergangene Nacht hier hörten, Dan sehr aufgeregt hat. Er hat sogar so ähnlich geatmet. Der Arzt glaubte zuerst, dass Dan Asthma hätte.«
Wallis drehte sich um, in jeder Hand ein Glas, gefüllt mit bernsteinfarbenem Scotch. Sein Gesicht sah in dem grünen Schattenlicht der Schreibtischlampe angespannt und geradezu gespenstisch aus. »Wollen Sie mir damit sagen, dass Ihr Freund genauso geatmet hat, wie das Atmen sich hier im Haus anhört?«
Er war so aufgeregt, dass ich ganz verlegen wurde. »Ja, genau das. Dr. Jarvis dachte, dass es vielleicht psychosomatische Gründe habe. Sie wissen, selbst verursacht. Das passiert hin und wieder nach einer schweren Gehirnerschütterung.«
Seymour Wallis gab mir den Whisky und setzte sich dann. Er sah so perplex und nachdenklich aus, dass ich mir die Frage nicht verkneifen konnte: »Was ist los? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Dollar verloren und dafür einen Nickel gefunden.«