»Mr. Wallis«, sagte Bryan, »sind Sie sicher, dass dieser Schornstein frei ist? Oder hat ihn jemand zugemauert?«
Wallis bedachte uns mit einem mürrischen Blick. »Der Kamin ist nicht zugemauert. Ich habe erst vor wenigen Tagen ein Feuer gemacht und einige alte überflüssige Unterlagen darin verbrannt.«
Bryan schaute noch einmal den Kaminschacht hinauf. »Also, Mr. Wallis, selbst wenn er zu dem Zeitpunkt noch frei war, jetzt ist er mit Sicherheit zu. Vielleicht hängt das mit den Geräuschen zusammen, die Sie gehört haben. Dürfte ich vielleicht in dem oberen Raum einen Blick in den Kamin werfen?«
»Nur zu«, antwortete Wallis. »Aber ich bleibe hier, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe für heute von alldem wirklich genug.«
Wir vier gingen in die Diele und schalteten das schwache Licht ein, das die Treppe beleuchtete. Es war so schwach, weil es von einem grün und gelb gemusterten Glas abgedeckt wurde, das in Staub und Spinnweben gehüllt war. Alles im Haus schien muffig, verblichen und mit Staub bedeckt zu sein, aber genau das nannte Wallis wahrscheinlich Charakter. Mich überkam geradezu eine Sehnsucht nach Plastik und billigen modernen Wohnblöcken.
Als Bryan die erste Stufe betrat, bemerkte Jane plötzlich die Bronzestatue der Bärenfrau.
»Die ist aber ungewöhnlich«, sagte sie. »Gehörte sie schon immer zum Haus?«
»Nein. Seymour Wallis hat sie in Fremont ausgegraben, irgendwo, als er an einer Brücke gearbeitet hat. Er baut nämlich Brücken, zumindest hat er das getan.«
Jane berührte das feierliche Gesicht der Statue, als erwartete sie, dass sie jeden Moment die Augen öffnete.
»Sie erinnert mich an etwas«, sagte sie gedankenvoll. »Sie verursacht mir ein ganz seltsames Gefühl. Es ist fast so, als hätte ich sie schon früher einmal gesehen, aber das kann nicht sein.«
Sie schwieg einige Momente, ihre Hand auf den Kopf der Statue gelegt, dann schaute sie auf. »Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht denke ich später darüber nach. Sollen wir weitergehen?«
Bryan ging voran. Wir folgten ihm so leise wie möglich die alten, quietschenden Treppen hinauf. Es waren zwei Treppen mit jeweils etwa zehn Stufen, dann standen wir auf einem langen Flur, der ebenfalls von einer trüben Glaslampe erleuchtet wurde und mit einem staubigen roten Teppich ausgelegt war. Es sah aus, als wäre das Haus seit 20 oder 30 Jahren nicht mehr renoviert worden, und überall hingen diese tiefgründige Stille und dieser klamme Mief.
»Der Bürokamin muss durch diesen Raum führen«, sagte Bryan. Er führte uns zu einer Tür, die am Ende des Flurs lag. Er drückte den Messinggriff herunter und öffnete sie.
Es war ein kleines, kaltes Schlafzimmer. Es hatte ein Fenster zum Garten hin, in dem sich dunkle, nasse Bäume im Wind und Regen hin und her bewegten. Die Wände waren blassblau tapeziert und wiesen überall Wasserflecke auf. Das wenige Mobiliar bestand aus einem mit Klarlack behandelten Kleiderschrank und einem schäbigen Eisenbett. Auf dem Boden lag altmodisches Linoleum, das vor vielen Jahren einmal grün gewesen sein musste.
Bryan ging zum Kamin, der dem in Seymour Wallis’ Büro glich, nur dass ihn jemand cremefarben gestrichen hatte. Er kniete nieder und lauschte, während wir Übrigen um ihn herumstanden und ihn beobachteten.
»Kannst du etwas hören?«, fragte ich. »Ist er noch blockiert?«
»Ich schätze schon«, antwortete er und strengte dabei seine Augen an, um in der Dunkelheit etwas zu sehen. »Ich muss nur um die Kante herumschauen, dann könnte ich vielleicht …«
Er rückte etwas näher heran und schob seinen Kopf vorsichtig unter der Feuerhaube hindurch.
Dr. Jarvis lachte, aber es war ein nervöses Lachen. »Können Sie etwas erkennen?«
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Bryan mit dumpfer Stimme. »Hier ist die Resonanz ganz anders. Eine Art dumpfes Geräusch. Ich bin mir nicht sicher, ob es durch den Schornstein hereinkommt oder ob es durchs ganze Haus vibriert.«
»Wir können hier draußen nichts hören«, sagte ich.
»Dann kommt her«, erwiderte Bryan und kroch weiter, sodass sein ganzer Kopf im Kamin verschwand.
»Ich schätze, dass Sie sich Ihr Haar waschen müssen, bevor Sie wieder in die Zivilisation zurückkehren«, sagte Jane.
»Ach, ich habe schon Schlimmeres getan als das hier«, meinte Bryan. »Abwasserkanäle sind schlimmer als eine ganze Woche Schornsteine.«
»Kannst du jetzt etwas hören?«, fragte ich und kniete mich neben den Kamin.
»Sssshht!«, forderte Bryan. »Jetzt baut sich hier irgendein Geräusch auf. Wieder dieses dumpfe Schlagen.«
»Ich kann immer noch nichts hören«, sagte ich.
»Hier drinnen höre ich es ganz deutlich. Da ist es wieder. Bum-bum-bum-bum-bum-bum-bum. Es ist fast wie ein Herzschlag. Bum-bum-bum – warum messt ihr es nicht? Hast du einen Sekundenzeiger an deiner Uhr?«
»Ich werde es messen«, sagte Dr. Jarvis. »Wenn es ein Puls ist, dann fällt es in mein Fachgebiet.«
»Okay.« Bryan hustete. »Ich beginne jetzt.«
Er hielt seinen Kopf in der Kaminhaube und suchte blind mit seiner Hand umher, bis er Dr. Jarvis’ Knie ertastete. Dann begann er, das, was in seinen Ohren dröhnte, als Takt zu schlagen, und Dr. Jarvis prüfte es mit seiner Uhr.
»Es ist kein Puls«, kommentierte Dr. Jarvis nach einigen Minuten. »Zumindest kein menschlicher Puls.«
»Reicht das?«, hustete Bryan. »Ich bekomme hier nämlich Klaustrophobie.«
»Sie sind der Santa Claustrophobius«, scherzte Jane. »Bringen Sie uns einen Sack voll mit Spielsachen mit?«
»Ach, Blödsinn«, brummte Bryan und fing an, sich wieder herauszuwinden.
Unvermittelt schrie er entsetzlich auf. Ich habe noch nie einen Menschen so schreien hören … Eine Sekunde lang konnte ich mir nicht vorstellen, was passierte. Dann brüllte er: »Holt mich raus! Holt mich raus! Um Himmels willen, holt mich raus!«, und ich wusste, dass etwas Schreckliches mit ihm geschah.
Dr. Jarvis packte eines von Bryans Beinen und schrie: »Zieh! Zieh ihn da raus!«
Vor Furcht erstarrt, packte ich Bryans zweites Bein, und gemeinsam versuchten wir, ihn herauszuziehen. Aber, obwohl nur sein Kopf in dem Kamin hing, schien er darin festzustecken. Er kreischte und schrie und seinen gesamten Körper durchzuckten Todeskrämpfe.
»Holt mich raus! Holt mich raus! Oh Gott, oh Gott, holt mich raus!«
Dr. Jarvis ließ Bryans Bein los und versuchte zu erspähen, was dort in der Kaminhaube vor sich ging. Aber Bryan zappelte und kreischte so grauenhaft, dass es unmöglich war zu erkennen, was vor sich ging.
Dr. Jarvis brüllte: »Bryan! Bryan, hören Sie! Keine Panik! Halten Sie still oder Sie werden sich verletzen!«
Er drehte sich um zu mir. »Irgendwie muss sein Kopf feststecken. Um Gottes willen, versuchen Sie, ihn ruhig zu halten.«
Wir beide rissen an der Kaminhaube, um sie aus der Befestigung der Fliesen zu lösen, aber sie saß durch den Staub und den Ruß der Jahre so fest, dass es uns nicht gelang. Bryan schrie die ganze Zeit, aber dann verstummte er plötzlich und sein Körper sackte auf den Boden des Kamins.
»Oh Gott«, sagte Dr. Jarvis. »Sehen Sie.«
Unter der Haube floss langsam feucht glänzendes Blut hervor, das Bryans Kragen und Krawatte durchtränkte. Jane, die hinter uns stand, würgte. Das war viel zu viel Blut für einen kleinen Schnitt oder einen Kratzer. Es tropfte von Bryans Hemd herab und über unsere Hände, bis es in die Fugen zwischen die Platten des Kaminbodens floss.