Выбрать главу

»Jane«, sagte Dr. Jarvis. »Sie können ruhig zuhören. Sie waren dabei, als es passiert ist. Sie werden es zumindest glauben.«

Jane fragte stirnrunzelnd: »Was ist denn? Ist etwas passiert?«

Ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Arm um sie zu legen und sie männlich beschützend zu drücken. Es ist seltsam, wie die sexuellen Instinkte eines Mannes weiterarbeiten, selbst in Augenblicken der Krise und des Grauens. Aber meine Glut war nicht gerade auf dem Siedepunkt. Und als Dr. Jarvis uns seine Neuigkeiten berichtete, fielen meine Hände zur Seite und ich stand da, erschrocken, erstarrt und erschauernd, überzeugt davon, dass das, was in Seymour Wallis’ Haus vor sich ging, mit jeder vergehenden Stunde düsterer, mächtiger und bedrohlicher wurde.

»Gerade hat das Elmwood angerufen. Sie haben Ihren Freund Bryan Corder sofort ins Leichenhaus gebracht und mit der Leichenöffnung begonnen.«

»Haben sie herausgefunden, woran er gestorben ist?«, fragte Jane.

Dr. Jarvis schluckte verlegen. »Nein, sie konnten es nicht herausfinden. Trotz der Verletzung seines Kopfes ist er klinisch noch nicht tot.«

Mein Unterkiefer klappte dumm herunter. »Er lebt noch? Das kann doch nicht sein!«

»Ich befürchte, dass es aber so ist. Zumindest glauben es die Chirurgen. Verstehen Sie, sein Herz schlägt noch. Sie haben seine Brust abgehorcht, und es schlägt laut und deutlich mit 24 Schlägen pro Minute.«

»24?«, fragte Jane. »Das ist nicht –«

»Nicht menschlich«, fiel Dr. Jarvis ein. »Wirklich nicht menschlich. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass sein Herz schlägt, und solange es noch schlägt, werden sie alles tun, um es weiterschlagen zu lassen.«

Genau in diesem Augenblick meinte ich, ein Flüstern zu hören. Es war wohl einer der Polizisten aus dem ersten Stock. Es war vielleicht auch das Geräusch von Autoreifen auf der nassen Straße. Aber als ich mich unwillkürlich herumdrehte, um zu sehen, woher es rührte, stellte ich fest, dass ich ziemlich nahe an diesem verdammten, widerlichen Türklopfer stand, diesem Türklopfer, auf dem geschrieben war: Rückkehr.

3

Ich wälzte mich einige Stunden auf meinem verschwitzten, zerwühlten Bett hin und her, bis ich um fünf Uhr morgens aufstand und mir eine Kanne starken schwarzen Kaffee machte, den ich mit einem Schuss Calvados verstärkte. Mit diesem Getränk wärmen sich die alten Männer in der Normandie an kalten Dezembertagen auf. Ich stellte mich ans Fenster, schaute auf die verlassene Straße in der Frühe und hatte das Gefühl, dass mein ganzes Leben sich plötzlich seltsam verändert hatte, als ob man mit dem Auto in einer Stadt, die man gut zu kennen glaubt, in die falsche Straße einbiegt und sich dann in einer fremden Gegend wiederfindet, wo die Gebäude dunkel und verfallen sind und die Leute unfreundlich und abweisend.

Um sechs konnte ich meine Neugierde nicht mehr bezwingen und rief das Elmwood Foundation Hospital an, um zu hören, ob Dr. Jarvis seinen Dienst begonnen hatte. Die ausdruckslose Stimme der Sprechstundenhilfe sagte mir, dass Dr. Jarvis keine Gespräche entgegennehme, aber sie notierte sich meine Nummer und versprach, dass er mich zurückrufen würde.

Ich setzte mich wieder auf mein Blumenmuster-Sofa und nippte weiter an meinem Kaffee. Ich hatte die ganze Nacht über alles nachgedacht, was in dem Haus 1551 Pilarcitos passiert war. Noch immer konnte ich nicht verstehen, was eigentlich vor sich ging. Eines war allerdings klar: Welche Kraft oder welcher Einfluss auch immer dieses Haus heimsuchte, es war nichts Wohlmeinendes. Ich zögerte wirklich, das Wort »Geist« zu benutzen, sogar wenn ich in der privaten Atmosphäre meines Apartments darüber nachdachte, aber was zur Hölle konnte es sonst sein?

Es hatten sich so viele seltsame Ereignisse begeben und sie schienen alle nichts miteinander zu tun zu haben. Ich hatte das Gefühl, dass Seymour Wallis wichtiger war, als er selbst wusste. Es war schließlich sein Haus, und er war der Erste, der das Atmen gehört hatte. Er hatte ja selbst gesagt, dass er vom Pech verfolgt wurde, seitdem er in diesem Park in Fremont gearbeitet hatte. Auch besaß er noch immer dieses eigenartige Souvenir aus Fremont, die Bärenfrau auf dem Treppenpfosten.

Ich spürte, und das sehr stark, dass alles, was passierte, nicht rein zufällig geschah. Es war wie der Anfang eines Schachspiels, bei dem die ersten Züge zufällig und beziehungslos erscheinen, aber alle Teil einer wohlüberlegten Strategie sind. Die Frage war nur, wessen Strategie! Und wozu?

Wie Bryan Corders schrecklicher Unfall und Dan Machins unheimliche Gehirnerschütterung allerdings in Verbindung gebracht werden konnten, begriff ich nicht. Ich wollte aber auch nicht zu intensiv darüber nachdenken, weil ich ständig die schrecklichen Bilder von Bryans fleischlosem Kopf vor mir sah, und der Gedanke daran, dass er immer noch lebte, ließ meine Gänsehaut noch schlimmer werden. Auch in meinen besten Zeiten hatte ich schon nicht den stärksten Magen. Ich gehörte zu den empfindlichen Leuten, die den Tintenfisch auf der Meeresfrüchteplatte nicht essen können und die die Frühstückseier stets hart gekocht bestellen.

Das Telefon läutete und Angst kroch mir prickelnd den Nacken hoch. Ich nahm den Hörer und sagte: »John Hyatt. Wer ist am Apparat?«

»John? Ich bin es, Jane.«

Ich nahm einen Schluck Kaffee. »Du bist aber früh auf«, bemerkte ich. »Konntest du nicht schlafen?«

»Konntest du denn?«

»Nun ja, nicht so richtig. Ich muss immer wieder an Bryan denken. Ich habe eben das Krankenhaus angerufen, aber sie haben noch keine Neuigkeiten. Ich hoffe nur, dass er tot ist.«

»Ich weiß, was du meinst.«

Ich trug das Telefon zum Sofa hinüber und streckte mich lang aus. Gerade jetzt wurde ich müde. Vielleicht war es auch nur die Erleichterung, mit jemand Nettem reden zu können. Ich trank den Kaffee aus, wobei ich etwas Kaffeesatz in den Mund bekam, den ich während des übrigen Gespräches von meiner Zunge zu pflücken versuchte.

»Ich rufe an, weil ich etwas herausgefunden habe«, sagte Jane.

»Hat es etwas mit Bryan zu tun?«

»Nicht ganz. Aber etwas, das mit Seymour Wallis’ Haus zu tun hat. Du kennst doch diese ganzen Zeichnungen vom Mount Taylor und Cabezon Peak?«

»Sicher. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.«

»Also, ich habe darüber in den Büchern im Laden nachgeschlagen. Mount Taylor liegt in den San Mateo Mountains, Höhe knapp 3500 Meter, und Cabezon Peak liegt im Nordosten im San Doval County, Höhe etwas über 2500 Meter.«

Ich spuckte Kaffeesatz. »Das liegt in New Mexico, richtig?«

»Das stimmt. Echtes Indianergebiet. Und es gibt Dutzende von Legenden über diese beiden Berge, meistens Navaho-Geschichten über Big Monster.«

»Big Monster? Wer zum Teufel ist Big Monster?«

»Big Monster war ein Riese, der über etliche Jahrhunderte den Südwesten terrorisiert haben soll. Er hauste auf dem Mount Taylor. Er hatte ein blau-schwarz gestreiftes Gesicht und trug eine Rüstung aus Feuersteinen – sie war mit den Eingeweiden der Leute und Tiere zusammengewebt, die er niedergemetzelt hatte.«

»Das klingt aber nicht gerade friedfertig.«

»Das war er auch nicht. Er war einer der wildesten Riesen aller Legenden und aller Kulturen. Ich habe ein Buch aus dem 18. Jahrhundert vor mir liegen. Darin steht, dass er alle menschenvernichtenden Dämonen unter sich vereinte und dass ihn kein Sterblicher vernichten konnte. Er wurde jedoch von zwei tapferen Göttern erschlagen, die man die Zwillinge nannte. Sie lenkten seine Pfeile mit einem Regenbogen ab und enthaupteten ihn dann mit einem Blitzschlag. Seinen Kopf warfen sie nach Nordosten, und daraus entstand dann der Cabezon Peak.«

Ich räusperte mich. »Das ist eine sehr nette Geschichte. Doch was hat sie mit Seymour Wallis’ Haus zu tun? Abgesehen natürlich von all den Zeichnungen vom Mount Taylor und Cabezon Peak.«