»Tja, ich bin mir da nicht ganz sicher«, sagte Jane. »Aber hier wird eine Anspielung gemacht auf den Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte. Das verstehe ich nicht so ganz. Wer oder was auch immer derjenige war, der als Erster Worte zur Gewalt benutzte, er war anscheinend mächtig genug, um Big Monsters goldenes Haar abzuschneiden und ihn dadurch zum Gespött zu machen … Und da ist noch etwas. Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, war ewig und unsterblich, und sein Motto gegenüber allen Göttern und Menschen, die ihn vernichten wollten, war ein Navaho-Spruch, den ich nicht aussprechen kann, der aber etwa so viel bedeutet wie »Zurückkommen auf dem Pfad der vielen Teile.«
»Jane, Schatz, das ergibt alles aber wenig Sinn.«
»John, Liebling, es gibt noch ein anderes Wort für ›zurückkommen‹! Falls du es vergessen hast: ›Rückkehr‹.«
Ich schwang meine Beine vom Sofa und setzte mich gerade hin. »Jane, du klammerst dich an völlig unwahrscheinliche Strohhalme. Ich gebe zu, ich weiß nicht, warum Seymour Wallis diese ganzen Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak in seinem Haus hängen hat. Ich vermute, sie hingen schon da, als er einzog. Aber du kannst jeden Berg im ganzen Südwesten nehmen und du findest eine Indianerlegende, die über ihn berichtet. Da ist nichts dran, wirklich. Ich meine, wir haben es vielleicht mit einer übernatürlichen Kraft zu tun. Irgendeine unerkannte Macht, die sich bisher im Verborgenen hielt und sich jetzt plötzlich als kinetische Kraft offenbart. Aber mit Navaho-Monstern hat das nichts zu tun. Ich bin überzeugt, so etwas gibt es nicht.«
Jane war nicht beleidigt. »Ich glaube, dass wir dem doch noch etwas nachgehen sollten. Bei dir besteht nur das Problem, dass du zu rational bist.«
»Rational? Ich arbeite für das Gesundheitsamt und du hältst mich für zu rational?«
»Ja, das tue ich. John Hyatt, der vernünftige Staatsbürger – du bist so nüchtern, dass man sogar eine Hotelkette nach dir benannt hat.«
Ich musste lachen. »Hör mal, tu mir bitte einen Gefallen. Rufe für mich im Büro an. Sprich mit Douglas P. Sharp und sage ihm, ich wäre krank. Ich will heute Morgen gern ins Elmwood-Krankenhaus gehen, um mit Dr. Jarvis zu sprechen.«
»Sollen wir uns zum Mittagessen treffen?«
»Warum nicht? Ich komme zum Buchladen und hole dich ab.«
»Rufst du mich an, wenn du weißt, wie es Bryan geht? Ich wäre dir dankbar.«
»Na klar.«
Ich legte den Hörer auf. Eine Weile dachte ich über das nach, was Jane mir gesagt hatte, aber dann schüttelte ich den Kopf und lächelte. Sie liebte Geister, Zauberei und Monster. Sie hatte mich einmal mitgezerrt, um die ganzen alten, originalen Horrorfilme wie Dracula mit Bela Lugosi und Frankenstein mit Boris Karloff anzusehen. Irgendwie war der Gedanke, dass Jane an Geister und Monster im Haus 1551 Pilarcitos glaubte, sehr beruhigend. Das weckte den gutherzigen männlich-väterlichen Chauvinisten in mir. Vielleicht hatte ich sie allein aus diesem Grunde mit dorthin genommen. Wenn Jane an so etwas glaubte, dann konnte es nicht wahr sein.
Das Telefon läutete wieder, als ich mich gerade rasierte. Mit schaumbedecktem Kinn nahm ich den Hörer ab, wie der Weihnachtsmann, der eine Bestellung für das Spielzeug des nächsten Winters entgegennimmt.
»John? Ich bin’s, James Jarvis. Sie wollten zurückgerufen werden.«
»Oh, hallo. Ich wollte nur wissen, wie es Bryan Corder geht.«
Einen Moment blieb es still. »Sein Herz schlägt noch immer.«
»Glauben Sie nicht, dass er weiterleben kann?«
»Das ist schwer zu sagen. Ich wünsche es ihm besser nicht. Auf keinen Fall könnte er wieder in die Welt hinausgehen. Er müsste den Rest seines Lebens unter einem keimfreien Sauerstoffzelt liegen. Das gesamte Gehirn liegt frei, und jede Infektion würde ihn umgehend töten.«
Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schaum vom Mund. »Können Sie nicht den Stecker herausziehen und ihn einfach sterben lassen? Ich glaube, dass ich Bryan gut genug kenne, um zu sagen, dass er so nicht weiterleben möchte.«
»Nun«, sagte Dr. Jarvis, »das haben wir.«
»Sie haben was?«
»Wir haben die Systeme zur Lebenserhaltung entfernt. Er bekommt kein Plasma, kein Blut, keine intravenöse Ernährung oder Beruhigung, kein Adrenalin, keinen elektronischen Herzschrittmacher, nichts mehr. Medizinisch müsste er schon seit Stunden tot sein.«
Er schwieg wieder und ich hörte jemanden sein Büro betreten und etwas Unverständliches sagen. Dann meinte Dr. Jarvis: »Das Problem ist, John, dass sein Herz noch immer schlägt und nicht aufhört. Wie schwer seine Verletzungen auch immer sind, ich kann seinen Tod nicht bestätigen, bevor er nicht tot ist.«
»Wie ist es mit Euthanasie?«
»Das ist ungesetzlich. Und so schwer Bryans Verletzungen auch sind, ich kann es nicht tun. Ich nehme schon genug Risiko auf mich, indem ich ihn von den Lebenserhaltungsgeräten trenne. Das kann mich meine Lizenz kosten.«
»Hat seine Frau Moira ihn gesehen?«
»Sie weiß, dass er einen Unfall hatte, mehr nicht. Wir tun natürlich alles, um sie fernzuhalten.«
»Was ist mit Dan Machin? Irgendeine Besserung?«
»Er liegt immer noch im Koma. Aber warum kommen Sie nicht her und sehen sich das selbst an? Ich könnte etwas moralische Unterstützung gebrauchen. Ich konnte hier mit niemandem über die vergangene Nacht reden. Die sind alle so verdammt vernünftig, sie würden doch glauben, dass ich zu einer Sekte oder so was gehöre.«
»Okay. Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
Ich rasierte mich, zog mir meine ausgewaschenen Jeans und ein rotes Hemd an, dann bespritzte ich mich mit etwas Rasierwasser. Es ist erstaunlich, was ein Kleiderwechsel für die geistige Verfassung bedeuten kann. Ich machte noch mein Bett, spülte das Kaffeegeschirr, warf Dolly Partons Bild, das in meiner kleinen Diele hing, einen Kuss zu und ging hinunter auf die Straße.
Es war einer von diesen strahlenden Morgen, an denen man die Augen weit aufreißt, um mehr zu sehen. Der blaue Himmel und die vereinzelten weißen Wolken stärkten in mir ganz deutlich die Gewissheit, dass das Leben auch ganz normal sein kann und dass der Unfall in der letzten Nacht nur eine abseitige, bittere Laune der Natur gewesen war.
Ich ging bis zur Straßenecke und winkte mir ein Taxi. Ich hatte früher mal selbst ein Auto besessen, aber all die anfallenden Kosten vom Gehalt eines Angestellten bei der Gesundheitsbehörde bezahlen zu wollen, war wie der Versuch, einen verstopften Kanal mit einer Zahnbürste zu reinigen. Am Ende hatte das Inkassoinstitut einen Mitarbeiter gesandt, der an einem dunstigen Morgen erschien und mit meinem metallicblauen Monte Carlo im Nebeltreiben verschwand. Erst als er fort war, stellte ich fest, dass ich meine Evel-Knievel-Sonnenbrille im Handschuhfach vergessen hatte.
Als wir die Fulton Street hinauf zum Krankenhaus fuhren, einem der höchsten Teak-und Betongebäude mit Sicht auf den Ozean, sagte der Taxifahrer: »Schauen Sie mal die verdammten Vögel da. Haben Sie so etwas schon jemals gesehen?«
Ich sah von meiner Ausgabe des Examiner auf – ich hatte nach irgendeiner Meldung über den Unfall von Bryan Corder gesucht. Wir fuhren gerade zwischen sauber geschnittenen Hecken in den weiten Vorhof des Krankenhauses ein und zu meiner Verwunderung und Beunruhigung wimmelte es auf den Dächern der Gebäude von grauen Vögeln. Es war nicht nur so ein Vogelschwarm, der sich kurz niedergelassen hatte, da saßen Tausende von ihnen. Überall auf der Silhouette des Hauptgebäudes und jedem Nebentrakt, auf der Klinik und den Garagen.
»Das nenne ich sonderbar«, sagte der Taxifahrer, während er den Wagen durch den Vorhof fuhr und am Haupteingang hielt. »Sonderbar mit einem Ausrufezeichen.«