Ich wandte mich wieder um. »Kann man irgendetwas riechen? Irgendwelche störenden Rückstände? Ich meine, haben Sie Exkremente von Tieren oder so etwas in Ihren Schränken gefunden?«
»Es atmet, das ist alles. Wie ein Hund an einem heißen Tag. Es keucht und keucht, die ganze Nacht lang – und manchmal keucht es sogar am Tag.«
Ich ging zum Schreibtisch zurück und setzte mich wieder in meinen Sessel. Seymour Wallis sah mich aufmerksam an, als könne ich einfach eine Lösung aus der unteren linken Schublade hervorzaubern; aber ich war nur dazu befugt, Ratten, Kakerlaken, Termiten, Wespen, Läuse, Flöhe und Wanzen auszurotten. Für Atmen war ich nicht zuständig.
»Mr. Wallis«, fragte ich so freundlich wie möglich, »sind Sie sicher, dass Sie hier bei der richtigen Stelle sind?«
Er hustete. »Haben Sie einen anderen Vorschlag?«
Ich begann mich wirklich zu fragen, ob ein Psychiater hier nicht besser angebracht und er dabei sei, verrückt zu werden, aber es ist ziemlich schwer, dies einem netten alten Mann ins Gesicht zu sagen. Und angenommen, das Atmen war wirklich da?
»Wenn kein Schmutz vorhanden ist und sich keine sichtbaren Anzeichen für den Grund des Atmens finden lassen, dann weiß ich eigentlich nicht, warum Sie beunruhigt sind. Es ist vielleicht nur ein ungewöhnliches Phänomen, verursacht durch die Bauweise Ihres Hauses«, sagte ich.
Seymour Wallis hörte zu, mit einem Gesichtsausdruck, der bedeutete: Sie sind ein Bürokrat und müssen solch beruhigendes Zeug sagen, aber ich glaube kein Wort davon. Als ich verstummte, lehnte er sich in seinem Plastiksessel zurück und nickte eine Weile nachdenklich vor sich hin.
»Falls Sie sonst noch irgendetwas benötigen, falls Sie Ihre Schaben oder Ratten vernichtet haben wollen, dann kümmern wir uns darum.«
Er sah mich fest und unbeeindruckt an. »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen«, meinte er rau. »Die Wahrheit ist, dass ich Angst habe. In diesem Atmen ist etwas, das mir eine Gänsehaut verursacht. Ich bin nur hierhergekommen, weil ich nicht wusste, wohin ich hätte sonst gehen können. Mein Arzt sagt, dass mein Gehör völlig in Ordnung ist. Mein Installateur sagt, dass die Leitungen im Haus alle okay sind, und mein Psychiater sagt, dass es keine drohenden Anzeichen einer Verkalkung gibt. Das ist ja alles sehr beruhigend, aber ich höre das Atmen immer noch und ich habe wirklich Angst.«
»Mr. Wallis«, erwiderte ich, »ich kann wirklich nichts tun. Atmen fällt nicht in meine Zuständigkeit.«
»Sie könnten zu mir kommen und es hören.«
»Das Atmen?«
»Nun, Sie müssen es nicht.«
Ich hob entschuldigend die Hände. »Mr. Wallis, es geht nicht darum, dass ich nicht will. Ich habe nur dringendere Dinge in diesem Amt zu tun. Wir haben einen verstopften Kanal in Folson und die Leute dort sind bestimmt mehr an ihrem eigenen Atmen als an dem irgendeines anderen interessiert. Es tut mir leid, Mr. Wallis, ich kann Ihnen nicht helfen.«
Er rieb sich müde die Stirn, stand auf und meinte niedergeschlagen: »In Ordnung, ich verstehe, was Vorrang hat.«
Ich ging um meinen Schreibtisch herum und öffnete ihm die Tür. Er setzte seinen alten Panamahut auf und blieb einen Augenblick stehen, als ob er nach Worten suchte, um noch etwas zu sagen.
»Wenn Sie sonst noch etwas hören, etwa, wie etwas läuft, oder wenn Sie Exkremente finden …«
Er nickte. »Ich weiß, dann rufe ich Sie an. Heutzutage ist das Problem einfach, dass jeder ein Spezialist ist. Sie können Kanäle reinigen, aber Sie können nicht so etwas Seltsamem zuhören wie einem Haus, das atmet.«
»Tut mir leid.«
Urplötzlich griff er nach meinem Handgelenk. Seine knochige alte Hand war überraschend stark und es fühlte sich an, als ob mich ein nackter Adler gepackt hätte.
»Warum hören Sie nicht auf, ständig zu sagen, dass es Ihnen leidtut, und tun stattdessen etwas Nützliches?«, fragte er. Er trat so dicht an mich heran, dass ich die roten Äderchen in seinen Augen erkennen konnte. »Wenn Sie hier fertig sind, warum kommen Sie anschließend nicht mal vorbei und hören fünf Minuten zu? Ich habe schottischen Whisky da, den mein Neffe aus Europa mitgebracht hat. Wir könnten einen Drink nehmen und dann könnten Sie zuhören.«
»Mr. Wallis …«
Er ließ mein Handgelenk los, seufzte und rückte seinen Hut zurecht. »Bitte verzeihen Sie mir«, sagte er ausdruckslos. »Ich glaube, dass mir meine Nerven einen kleinen Streich gespielt haben.«
»Schon gut«, sagte ich. »Hören Sie zu, sollte ich nach Feierabend noch Zeit finden, komme ich vorbei. Heute Abend muss ich noch zu einer Besprechung, aber danach versuche ich es.«
»Sehr schön«, sagte er, ohne mich anzusehen. Er wollte nicht die Kontrolle über seine Gefühle verlieren und strengte sich sehr an, sich zusammenzureißen.
Dann sagte er: »Es könnte der Park sein, wissen Sie. Es könnte etwas mit dem Park zu tun haben.«
»Mit dem Park?«, fragte ich verblüfft.
Er runzelte die Stirn, als ob ich irgendetwas völlig Belangloses gesagt hätte. »Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, junger Mann.«
Dann ging er den langen polierten Flur entlang. Ich stand im Türrahmen und schaute ihm nach. Überraschend begann ich in der klimatisierten Luft zu frösteln.
Wie üblich wurde die abendliche Sitzung von Ben Pultik beherrscht, dem Leiter der Abteilung für Müll. Pultik war ein kleiner, breitschultriger Mann, der aussah wie ein schmaler Garderobenschrank, über den ein gemustertes Jackett gestülpt wurde. Er arbeitete schon seit einer Ewigkeit in der Müll-Abteilung und betrachtete sein Ressort als eine der wichtigsten Aufgaben der Menschheit, was es, wenn man so will, ja auch war – doch nicht in dem Sinne, wie er es sah.
Wir saßen um den Konferenztisch, rauchten viel zu viel und tranken wässrigen Kaffee aus Plastikbechern, während sich der Himmel draußen vor den Fenstern purpurn und mattgold färbte und die Türme und Dächer von San Francisco wie Sand glitzernd in der Pazifiknacht verschwanden.
Pultik beschwerte sich, dass die Besitzer ausländischer Restaurants die Küchenabfälle nicht fachgerecht in schwarzen Plastikmüllsäcken sammelten, und seine Mannschaft deshalb ihre Overalls ständig mit exotischen Essensresten beschmutzte.
»Einige meiner Männer haben einen jüdischen Glauben«, sagte er und zündete seinen Zigarettenstummel wieder an. »Und das Letzte, was die sich wünschen, ist, sich von oben bis unten mit Essen einzusauen, das nicht koscher zubereitet worden ist!«
Morton Meredith, der Chef der Abteilung, saß mit verkrampftem Lächeln in seinem Sessel am Kopf des Tisches und versteckte hinter seiner Hand ein Gähnen. Der einzige Grund, warum wir diese Sitzungen abhielten, war der, dass man im Rathaus darauf bestand; die Angestellten sollten sich untereinander Anregungen geben – doch der Gedanke, von Ben Pultik stimuliert zu werden, war wie die Idee, bei McDonald’s Muscheln à la farcies zu bestellen. Die stehen dort nämlich gar nicht auf der Karte.
Kurz vor neun Uhr, nach einem ermüdenden Bericht der Schädlingsbekämpfer, verließen wir das Gebäude und traten hinaus in die warme Abendluft. Dan Machin, jung und dürr wie eine Bohnenstange, der beim Forschungslabor des Gesundheitsamtes beschäftigt war, kam über den Platz auf mich zugelaufen und schlug mir auf den Rücken.
»Wie wär’s mit einem Drink? Bei diesen Sitzungen trocknet einem ja die Kehle aus.«
»Klar«, antwortete ich. »Ich habe Zeit genug zum Totschlagen.«
»Zeit und Fliegen.«
Warum ich Dan Machin mochte, weiß ich eigentlich nicht genau. Er war drei oder vier Jahre jünger als ich, seine Haare stoppelig-kurz geschnitten wie der Weizen in Kansas, und er trug eine große, altmodische Brille, die immerzu von seiner Stupsnase rutschen wollte. Seine Jacken – mit Lederaufnähern an den Ellbogen – waren immer zu groß, seine Schuhe ständig ausgelatscht; doch er hatte einen leisen Humor, der mir gefiel. Obwohl Dans Gesicht ziemlich blass war, weil er zu viele Stunden im Büro verbrachte, bewegte er sich gut beim Tennis.