Ich hustete. »Besteht irgendeine Möglichkeit festzustellen, ob er wirklich herumgeistert? Gibt es ein Zeichen, irgendein Merkmal, an dem wir ihn erkennen können?«
»Wie Poltergeister, die sich vor Feuer fürchten? Oder Vampire?«, meinte Jane.
»Coyote kommt in vielerlei Gestalt, aber Sie können ihn immer erkennen. Er hat das Gesicht eines dämonischen Wolfes und sein Erscheinen wird immer angekündigt von Zeichen des Unheils.«
»Und welche?«
»Etwa Unwetter oder Krankheit oder besondere Vögel oder andere Tiere.«
Ich spürte das vertraute eiskalte Gefühl auf meiner Kopfhaut.
»Graue Vögel?«, fragte ich den Medizinmann. »Graue Vögel, die einfach dasitzen und nie singen?«
George Thousand Names nickte. »Die grauen Vögel sind die ständigen Begleiter Coyotes. Er benutzt ihre Federn, um seine Pfeile zu befiedern. Das ist etwas, was ein indianischer Krieger niemals getan hätte, weil diese grauen Vögel Boten des Verderbens und der Panik sind.«
»Ich habe sie gesehen.«
Zum ersten Mal lehnte sich George Thousand Names vor, sein Gesicht gespannt und bleich. »Sie haben sie gesehen?«
»Tausende von ihnen, wirklich Tausende. Sie sitzen alle auf dem Dach des Krankenhauses, in das Dan Machin, Bryan Corder und Seymour Wallis eingeliefert worden sind. Meine eigene Abteilung der Gesundheitsbehörde war gestern dort, um sie zu vertreiben, aber sie wollen nicht verschwinden.«
»Sind sie immer noch da?«, fragte er, als könne er nicht glauben, was ich sagte. »Sie haben sie mit Ihren eigenen Augen gesehen?«
Ich nickte.
George Thousand Names schaute ins Nirgendwo. Seine Augen, glühend und hell zwischen den vielen Falten seiner Haut, schienen in unsichtbarer weiter Entfernung etwas zu suchen. Er flüsterte mehr zu sich selbst als zu Jane und mir: »Coyote … Es wird also geschehen.«
Ich befeuchtete unsicher meine Lippen. »Mr. Thousand Names«, sagte ich, wobei ich versuchte nicht zu sehr wie ein weißer Tourist zu klingen, der wegen Indianerdecken verhandelt, »können wir irgendetwas tun? Oder gibt es irgendetwas, was Sie tun können, um uns zu helfen?«
Er wandte seinen Kopf ruckartig zu mir und starrte mich an, als ob ich von allen Geistern verlassen wäre. »Ich? Was kann ich denn angesichts eines Dämons wie Coyote ausrichten?«
»Das weiß ich nicht genau. Aber wenn Sie nichts tun können, was zum Teufel können wir dann noch tun?«
George Thousand Names stand auf und ging zu dem offenen Fenster hinüber. Es war jetzt fast fünf Uhr und die Sonne würde höchstens noch zwei Stunden über den Baumspitzen stehen. Er ging hinaus auf die Terrasse.
Jane und ich sahen uns besorgt an, während George Thousand Names stumm dastand und über die Hügel und Flüsse des Round Valleys blickte. Ich stand auf und folgte ihm an die frische Luft. Sie roch nach frischen Tannen und Holzrauch und in der Ferne hörte man, wie jemand Holz hackte.
»Irgendjemand hat dieses alte Übel wieder zum Leben erweckt.« Seine Stimme klang rau. »Irgendwie. Coyote ist wieder eins geworden.«
»Ich verstehe nicht.«
Der Medizinmann drehte sich um und schaute mich an. »Die Götter und die Medizinmänner haben dafür gesorgt, dass Coyote in mehrere Stücke in die Unterwelt gelangte und dass es ihm nicht möglich war, diese Zerlegung rückgängig zu machen. Die ersten vier Male, als er starb, hatte er einen Feuerstein an seinem Körper versteckt, damit er seinen Atem, sein Blut und seinen Herzschlag wiederbeleben konnte. Das letzte Mal, als er starb, versicherten sich die Götter, dass er keinen Feuerstein und keine Axt bei sich trug. Die Einzige, die ihn unter Umständen wieder beschworen haben kann, ist das Bärenmädchen.«
»Mr. Thousand Names«, sagte ich, »ich möchte nicht als dumm gelten, aber diese Legenden sind mir etwas zu hoch. Ich meine, es fällt mir schwer, sie zu akzeptieren.«
Er drehte sich um. »Das ist ganz klar«, meinte er mit flacher Stimme, die weder irritiert noch ungeduldig klang. »Was meinen Sie, was ich empfunden habe, als ich das erste Mal hörte, dass Jesus Christus über das Wasser geschritten ist?«
Jane, die am offenen Fenster stand, sagte: »Erzählen Sie uns etwas über dieses Bärenmädchen. Bitte.«
George Thousand Names massierte müde seinen Nasenrücken mit Finger und Daumen. »Das Bärenmädchen war eine wunderschöne Jungfrau, nach der Coyote gierte. Er hat zigmal versucht, sie zu verführen, aber jedes Mal widerstand sie ihm. Sie war es, die ihn die ersten Male in die Unterwelt schickte, damit er beweisen konnte, dass er glücklich für sie sterben würde. Schließlich unterlag sie doch seinen sexuellen Anstürmen und er schenkte ihr eine Liebesnacht, die sie ihm völlig gefügig machte.
Von diesem Augenblick an flößte Coyote ihr böse Gedanken ein und so veränderte sie sich nach und nach von einer Frau in einen Bären. Ihre Zähne wurden länger, ihre Nägel schärfer und dunkle Haare wuchsen ihren Nacken hinunter. Es wurde ihr größtes Vergnügen, Menschen mit ihren mächtigen Zähnen den Nacken zu zerfleischen.«
»Nicht gerade eine liebenswerte Begleiterin für einen Sonntagabend«, bemerkte ich.
George Thousand Names sah mich mit einem tiefen Blick an, der besagen sollte, dass er gerade nicht für dumme Witze aufgelegt war. »Es ist möglich, dass die Figur von diesem Wallis, die er in Fremont gefunden hat, genügte, um Coyote wieder ins Leben heraufzubeschwören. Sie kann mit einem Zauber versehen sein, wie ein kleines Totem. Hat er irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten in Fremont erwähnt? Irgendeine Krankheit oder einen Streit oder unerklärliche Ereignisse?«
»Ja. Sie bauten eine Fußgängerbrücke in einem Park und offensichtlich lief es mit dem verdammten Ding von Anfang bis Ende schief.«
»Dann ist es das«, sagte er. »Die Statue der Bärenfrau war mehr als nur eine antike Kuriosität. Sie war das ursprüngliche magische Totem, das Coyote die Kraft und den Willen verleihen konnte, um aus seinem Schlaf in der Unterwelt zu erwachen. Und Seymour Wallis hat sie in das Haus gebracht?«
»Glauben Sie, dass das rein zufällig geschah?«, fragte Jane. »Ich meine, es scheint ja ein unglaublicher Zufall, dass er gerade dieses Haus gekauft hat.«
George Thousand Names schüttelte den Kopf. »Von dem Moment an, in dem Seymour Wallis die Figur ausgegraben hatte, war er Coyotes Einfluss ausgesetzt. Er sagte Ihnen doch, dass er sich vom Pech verfolgt fühlte, nicht wahr? Es war kein wirkliches Pech. Es lag an Coyote, der ihn näher und näher an Pilarcitos Street heranführte. Ich wette um jeden Preis.«
»Was meinen Sie?«
»Pilarcitos Street ist die erste Abzweigung nach der Fifth Street hinter Mission.«
Ich nickte: »Das ist richtig.«
Er hielt die Finger von beiden Händen in die Höhe. »Fünf plus eins ist sechs. Dann haben Sie die Nummer 1551. Eins plus fünf ist sechs und fünf plus eins ist sechs. Drei Sechsen – 666. Die Zahl des größten aller Dämonen, egal von welcher Kultur wir sprechen. Das Zeichen der Bestie.«
Mir war plötzlich ganz kalt hier draußen auf der Terrasse. Auch Jane schlotterte im Türrahmen.
»Was sollen wir jetzt nur tun?«, fragte ich.
George Thousand Names kratzte sich im Nacken. »Mit zwei praktischen Schritten sollten wir beginnen. Zunächst müssen Sie Ihren Freund im Elmwood Hospital anrufen, damit er die drei Opfer von Coyote trennt und in verschiedene Krankenhäuser schafft. Das ist lebenswichtig. Zweitens, verschaffen Sie sich diese Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak und versuchen, das Versteck der abgeschnittenen Haare herauszubekommen. Wenn Sie die von Coyote fernhalten, besteht vielleicht eine kleine Chance.«
Dann fügte er noch hinzu: »Drittens, und das wird schwieriger sein, halten Sie alle Schwestern oder weiblichen Ärzte, überhaupt jede Frau, von den verschiedenen Teilen Coyotes fern. Coyote hungert nach weiblichem Fleisch und darauf ist er möglicherweise jetzt gerade aus.«