»Nun gut«, meinte George Thousand Names. »Coyote verführt zunächst seine Frauen, dann behandelt er sie auf eine Weise, die bei den Navahos die ›Pein der Drei‹ heißt.«
Jane sagte: »Mein Gott, davon habe ich gehört.«
George Thousand Names strich ihr über den Arm. »Es war die seltsamste aller alten Foltern, und ihre Geschichte reicht weit zurück in die Zeit vor der Zivilisation der nordamerikanischen Stämme. Viele unserer weisen Männer behaupten, dass es die persönliche Erfindung Coyotes gewesen ist, aber wer kann das wissen?«
Jim krauste die Stirn. »Ich habe nie von der ›Pein der Drei‹ gehört. Was zur Hölle ist das?«
George Thousand Names berührte eines seiner Amulette um seinen Hals. Er sprach mit tonloser Stimme: »Zur ›Pein der Drei‹ gehörte das Aufschneiden eines Frauenmagens, in den wurde ein lebendes Reptil genäht, etwa eine Krusteneidechse. Danach schnitt man ein Pferd auf, manchmal auch eine Kuh, weidete sie aus und die Frau wurde dann in das Pferd eingenäht. Die Kunst der Marter bestand darin, alle drei Opfer, die Echse, die Frau und das Pferd, so lange wie möglich am Leben zu halten.«
Dr. Weston sagte: »Ach, hören Sie auf. Das erfinden Sie doch nur.«
George Thousand Names schüttelte den Kopf. »Prüfen Sie es bei Ihren eigenen Anthropologen nach, wenn Sie wollen. Die Skelette einer Echse, einer Frau und eines Pferdes, ineinandergesteckt wie ein chinesisches Puzzle, wurden am Lake Winnemucca, in Nevada, ausgegraben; und das ist kaum sechs Jahre her. Es war Professor Forrester von der Universität Colorado.«
Lieutenant Stroud zog an seiner Unterlippe. »Okay, Mr. Thousand Names. Wenn Sie also wissen, was sich so alles abspielt, was meinen Sie denn, tut sich hier drinnen?«
Er deutete durch die Glaswand auf die trüben, schattenhaften Formen auf dem Bett der Intensivstation. Irgendetwas bewegte sich dort drinnen, eine Silhouette, massig und dunkel. Sie bewegte sich mit den unkontrollierten krampfhaften Zuckungen, die man bei Insekten beobachten kann, wenn sie aus der Puppe schlüpfen.
George Thousand Names antwortete: »Die graue Traurigkeit zu sehen war mir Beweis genug. Was Sie hier erleben, ist das Zusammenkommen von Coyote, dem widerwärtigsten aller indianischen Dämonen. Als er in die Unterwelt verbannt wurde, versteckte er seinen Atem, sein Blut und seinen Herzschlag, und jetzt ist es ihm gelungen, alle Teile wieder an einem Ort zu versammeln. Er kehrt ins Leben zurück, ob Sie es nun mögen oder nicht.«
Lieutenant Stroud starrte George Thousand Names eine ganze Weile an, seine Augen funkelten aufmerksam in der Dunkelheit. »Sie glauben das also wirklich. Sie glauben wirklich, dass das hier passiert.«
»Das hat nichts mit Glauben zu tun, Lieutenant, oder mit religiösen Vorstellungen – ich weiß, was vor sich geht. Es ist für mich so klar wie für Sie ein platter Reifen. Es ist eine Tatsache«, bekräftigte George Thousand Names.
»Was geht dann da … da drinnen vor sich?«, fragte Jim.
»Holen Sie eine Taschenlampe und Sie werden es sehen«, erwiderte George Thousand Names, meiner Ansicht nach viel zu ruhig. »Der Atem und der Herzschlag vereinigen sich. Bald, dann wird Coyote sein Blut und sein schreckliches Gesicht benötigen.«
»Jane«, sagte ich leise in ihr Ohr. »Der Türklopfer in der Pilarcitos Street. Könntest du ihn holen? Schlag ihn mit einem Hammer von der Tür, falls es nötig ist.«
Jane griff nach meinem Arm. »Ich möchte jetzt nicht von dir fortgehen, John. Jetzt nicht.«
Ich zog eine Zehn-Dollar-Note aus der Tasche und drückte sie ihr in die Hand. »Du wirst ja nicht lange fort sein. Nimm ein Taxi. Aber besorge uns diesen Türklopfer, bevor ihn sich jemand anderes holt.«
Jane blickte mich mit ihren großen, chinablauen Augen an, legte ihren Arm um meinen Hals und küsste mich. »Vielleicht wären wir besser zusammengeblieben, du und ich«, flüsterte sie. Jane verließ den Raum und machte sich auf den Weg zu Seymour Wallis’ Haus.
Lieutenant Stroud sagte: »Wir haben es bereits mit Taschenlampen versucht. Vielleicht liegt es am Glas, aber wir kommen mit dem Lichtstrahl nicht durch.«
George Thousand Names blickte von Lieutenant Stroud zu Dr. Jarvis und dann wieder zurück. »In diesem Fall hat der große Coyote bereits mehr Kraft zurückgewonnen, als ich dachte. Er ist schon so mächtig, dass er Ihr Licht völlig absorbieren kann.«
Dr. Westen sagte: »Absorbieren? Wovon reden Sie?« Es war offensichtlich, dass sie wenig von der ethnischen Folklore dieses George Thousand Names hielt.
»Sie haben die letzte Ausgabe des Scientific American nicht gelesen?«, fragte George Thousand Names. »Wenn ein Gegenstand genügend Dichte hat, dann kann er tatsächlich verhindern, dass Licht von ihm reflektiert wird. Er drängt das Licht auf sich selbst zurück durch seine intensive Abstoßungskraft. Das ist es, was hier vor sich geht. Coyote ist eine Bestie der Unterwelt, und das bedeutet, wenn man es so nennen wilclass="underline" Er ist ein lebendes schwarzes Loch.«
»Meinen Sie, dass er komplett unsichtbar sein wird?«, fragte Jim.
George Thousand Names schüttelte den Kopf: »Nur, wenn er es will.«
»Was ist mit seinem Blut?«, warf Dr. Crane ein. »Wenn sein Herzschlag und sein Atem sich hier verbinden, sollten wir dann nicht versuchen, Mr. Wallis zu isolieren? Er ist doch das Gefäß für das Blut dieses Dämonen, vermute ich.«
»Ja«, antwortete der Medizinmann. »Versuchen Sie, ihn von hier fortzuschaffen. Aber achten Sie auf die Vögel, achten Sie auf jeden magischen Trick, den Coyote versuchen wird, um Sie daran zu hindern.«
»Magische Tricks?«, fragte Lieutenant Stroud skeptisch. »Welche zum Beispiel?«
»Lieutenant, das hört sich vielleicht wie ein Scherz an, ist aber keiner. Wenn ich von magischen Tricks rede, dann meine ich keine Kaninchen, die man aus dem Hut zieht, oder Damen, die man zersägt. Ich rede von Tod, Verletzungen und Illusionen, wie Sie noch keine erlebt haben.«
Ich nickte. »Das könnte stimmen, Lieutenant. Alles, was George bisher gesagt hat, klingt logisch.«
»Wer hat Sie gefragt?«, knurrte Lieutenant Stroud.
Dr. Jarvis sagte: »Es hat keinen Zweck zu streiten, Lieutenant. Keiner von uns hat eine bessere Idee.«
»Meinen Sie das?«, fragte Lieutenant Stroud und drehte sich um. »Vielleicht habe ich eine bessere Idee. Vielleicht ist dieses ganze verfluchte Ding nur ein Schwindel.«
»Ein Schwindel?«, sagte ich. »Sie meinen, wir hätten wegen eines Schwindels einem Mann das Fleisch vom Schädel gerissen?«
»Na ja, dieser ganze dämliche Kram über indianische Dämonen –«
»Kram!«, meinte George Thousand Names zornig. »Sie bezeichnen unsere Dämonen als Kram! Sind Sie verrückt? Wissen Sie, wozu Coyote fähig ist? Haben Sie auch nur die geringste Vorstellung?!«
Lieutenant Stroud wich förmlich zurück vor George Thousand Names’ Ungestüm. »Tja, Sie erwähnten die Pein der Drei …«
»Das ist unwichtig! Das stellte er mit den Frauen an, mit denen er sich vergnügte und an denen er die Lust verlor. Coyote hat Kräfte, die jedes menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen. Kräfte, die es für alle guten und bösen Götter zusammen fast unmöglich machen, ihn zu zerstören. Und das ohne die zusätzlichen Kräfte, die er von anderen Dämonen wie Big Monster und den Loogaroos gestohlen hat.«
»Loogaroos?«, fragte Lieutenant Stroud ungläubig.
»So nannten sie die französischen Siedler, als sie nach Amerika kamen. Es ist die Verfälschung des Wortes loups-garous und bedeutet ›Werwölfe‹. Coyote hat von ihnen alle Kräfte übernommen. Er bedeckte seinen Rücken mit dem Fell eines Werwolfes und seinen Kopf mit dem Skalp von Big Monster, und durch sie ist er nahezu unzerstörbar.«
Lieutenant Stroud hörte sich diesen Ausbruch an und stand anschließend lange Zeit schweigend da, während wir alle sein Gesicht beobachteten und uns fragten, was er wohl antworten würde. Zunächst glaubte ich, dass er alles, was George Thousand Names gesagt hatte, als Mist bezeichnen würde, doch dann sah ich, wie sein Gesichtsausdruck sich entspannte und die Falten um seinen Mund sich vertieften, und ich erkannte, dass die feste Überzeugung des Medizinmannes ihn sozusagen überzeugt hatte.