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Ich breitete meine Straßenkarte auf dem Tisch aus und nahm das zerknitterte Wachspapierblatt aus der Tasche, das ich am Morgen mit den Markierungen übersät hatte. Wir legten es auf die Landkarte und George Thousand Names betrachtete es gewissenhaft wie ein skeptischer Kunstexperte. Er rümpfte mehrmals die Nase und seine Lippen bewegten sich in einem lautlosen Flüstern, als er die Namen einiger Orte und Berge ausmachte. Nach einer Weile setzte er sich auf die Lehne der Couch und krauste konzentriert die Stirn.

»Also?«, fragte ich. »Was bedeutet das?«

Er sah mich an. »Ich bin nicht sicher. Es ist eine sehr ungewöhnliche Auswahl von Blickwinkeln, sehr unähnlich den Bilddiagrammen, die Indianer normalerweise zeichnen, um Wasserstellen zu bestimmen. Schauen Sie sich das hier an – Sie werden feststellen, dass es sich um mehrere gleichförmige Kurven handelt. Das haben Navahos nie in ihre Karten von den Wüstenbereichen eingezeichnet. Die Zeit war zu kostbar und das Land zu unwirtlich. Man malte die Bilder, wo es gerade möglich war, und um Symmetrie kümmerte sich niemand.«

»Was beweist es dann? Dass es nicht echt ist?«

George Thousand Names schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sind mit Sicherheit auf der richtigen Spur. Schon die Tatsache, dass hier ein Muster vorliegt, ist bedeutungsvoll. Wir müssen nur herausfinden, was das Muster bedeutet.«

»Und wie stellen wir das an?«

Er hielt das Wachspapier gegen das Fenster. »Tja, ich habe das Gefühl, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Karte handelt. Diese Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak haben eine magische Bedeutung, denn sie waren die Heimat von Big Monster. Aber ich frage mich langsam, ob Big Monsters Haar tatsächlich dort in dem Gebiet versteckt liegt oder ganz woanders.«

Er ging durch das Zimmer und öffnete seine braune, schweinslederne Aktentasche. Dann kam er mit einer kleinen Glasampulle zum Tisch zurück, in die offenbar ein schwarzes Pulver gefüllt worden war.

»Ich hoffe, das Übernatürliche wird Ihnen nichts ausmachen«, sagte er.

»Warum sollte es?«

»Nun … Sie sind ein Weißer. Und es ist lange her, dass die Weißen das Übernatürliche so verstanden haben, wie es wirklich ist.«

Nach alledem, was ich bisher durchgemacht hatte, und in Anbetracht des Umstandes, dass ich diesen Mann nach San Francisco geholt hatte, verdross mich die Unterstellung, dass ich auch nur ein weißer Blindgänger sein sollte. Aber ich erwiderte nur: »Eines Tages werden die Indianer erkennen, dass nicht alle Bleichgesichter gedankenlose Barbaren sind.«

George Thousand Names schob eine Augenbraue in die Höhe. »Die Indianer, die noch übrig sind.«

Wir beendeten dieses Gespräch mit dieser Entgegnung. Da Coyote sich befreit hatte, war jetzt sicher nicht der Augenblick, alte Bitterkeiten hervorzukramen. Aber ich wusste, dass ich mit George Thousand Names irgendwann zusammensitzen und eine ernsthafte Unterhaltung führen würde, falls wir lebendig aus dieser ganzen Sache herauskamen. Durch Coyotes Reinkarnation wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben bewusst, dass Amerika nicht unser Land war, es nicht weißes Land war. Die Spanier waren erst 1775 in San Francisco gelandet und all die Jahrhunderte zuvor hatten die Legenden und die magischen Vorstellungen der Indianer dieses Land geprägt. In den verlassenen Bergen hier wohnten Dämonen und Geister, aber die waren nicht weiß – und die schwächliche Magie des Weißen Mannes kümmerte sie einen Dreck.

Während ich ihn beobachtete, öffnete George Thousand Names die Ampulle und streute bläulich-grauen Staub auf mein Wachspapier. Er blies vorsichtig darüber und flüsterte einige Worte. Direkt vor meinen Augen huschte der Staub über das Papier und formte sich wie Eisenspäne, von einem Magneten angezogen, zu einem Muster. Nach ein paar Sekunden hatte sich ein Kurvenmuster gebildet, das die von mir mit dem Stift eingezeichneten Punkte miteinander verband.

Er betrachtete das Bild und lächelte dann: »Nun, Wunder wird es immer geben.«

»Was bedeutet das?«

Er deutete auf das Muster: »Das ist ein sehr altes Symbol. Mit sehr alt meine ich, dass es mit der heutigen Indianersprache so viel zu tun hat wie Mittelenglisch mit der modernen amerikanischen Sprache. Man kann es nur schwer präzise ausdrücken, aber es bedeutet ungefähr: ›Diesen Ort wirst du eines Tages von der nördlichen Zeltstange im Tipi der Bestie sehen.‹«

Ich blinzelte. »Ich schätze, ich bin immer noch nicht klüger.«

George Thousand Names sah mich behutsam an. »Es ist doch ziemlich klar. Das Tipi der Bestie ist Haus Nummer 1551 in der Pilarcitos Street. Sie erinnern sich doch, wie das dreimal 6 ergab. Die nördliche Zeltstange bedeutet der Blick von der höchsten Stelle des Hauses in Richtung Norden. Was immer man von dort aus sieht, ist die Stelle, wo Big Monsters Haar versteckt wurde.«

»Dann … um Himmels willen. Worauf warten wir denn noch? Fahren wir dorthin!«

»Geben Sie mir drei Minuten, damit ich mich baden und anziehen kann. Inzwischen können Sie doch Dr. Jarvis anrufen und ihm sagen, wohin wir fahren. Falls er die Zeit hat, möchte er vielleicht mit uns kommen.«

Der alte Indianer ging ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne laufen, ich setzte mich auf das Bett und nahm das Telefon. Ich wählte die Nummer des Elmwood Foundation Hospitals und bat, mich mit Dr. Jarvis zu verbinden.

»Es tut mir leid, Sir«, sagte die Telefonistin. »Dr. Jarvis ist im Augenblick nicht im Haus.«

»Kann ich ihn denn irgendwo erreichen?«

»Ich glaube nicht. Er hat das Hospital vor 20 Minuten in Begleitung einer jungen Frau verlassen.«

Ich seufzte. »Okay. Können Sie ihm eine Nachricht hinterlassen? Sagen Sie ihm, John Hyatt hat angerufen.«

»Ach, Sie sind’s, Mr. Hyatt. In diesem Fall wissen Sie vielleicht, wohin er gegangen ist. Er verließ das Haus zusammen mit einer Freundin von Ihnen.«

»Was sagen Sie?«

»Ein hübsches Mädchen mit langem Haar. Miss Torresino.«

Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was ich sagen oder tun sollte. Mein Mund war sehr trocken, als hätte ich zu viele Cracker gegessen. Ich legte meine Hand über den Hörer und schrie: »George!«

Der Medizinmann erschien in ein langes Handtuch gewickelt im Türrahmen. »Ich habe gerade das Krankenhaus angerufen. Sie haben mir gesagt, dass Jim vor etwa 20 Minuten mit Jane fortgegangen ist.«

»Bitte?«

»Das haben die mir gesagt.«

Er begann sich hastig abzutrocknen. »Das heißt, dass wir uns jetzt wirklich beeilen müssen. Wenn Jane aus Ihrem Apartment herausgelangen konnte, dann wird Coyote wissen, wo er Big Monsters Haar zu suchen hat. Die ganzen Bilder waren ja dort, nicht?«

Ich sagte in den Hörer noch ein »Tausend Dank«, legte auf und fragte: »Was ist passiert? Ich dachte, das Halsband würde sie daran hindern, aus der Wohnung zu kommen.«

Während er in eine weite, geblümte Boxer-Shorts schlüpfte, sich aufs Bett setzte, um eine etwas zerknitterte Stoffhose anzuziehen, erklärte George Thousand Names: »Das Halsband war keine Garantie. Sie kann es irgendwie heruntergeschüttelt haben oder vielleicht hat es eine Putzfrau abgenommen. Vielleicht ist sogar Coyote gekommen und hat jemanden dazu gebracht, es fortzunehmen.«

»Aber trotzdem, George, sie ist ein Bär. Wie zur Hölle kann sie als Bär durch die Straßen laufen?«

Er band sich die Schuhe zu und griff nach einer lässigen, blauen Jacke. »Sie ist ein Bär und sie ist doch keiner. Das Haar und die Zähne, und ebenso die Krallen, das sind die physischen Manifestationen des Bösen, das ihr Coyote in den Verstand eingegeben hat. Aber das bedeutet nicht, dass sie ständig sichtbar sind. Das Bärenmädchen ist so etwas wie eine Jekyll-und-Hyde-Kreatur. Sie verändert sich nach Bedarf.«

»Sie meinen, dass sie jetzt wahrscheinlich ganz normal aussieht, aber sich jederzeit wieder in einen Bären verwandeln kann?«