Durch die gaffende Menge kam Lieutenant Stroud auf uns zu, zwei Polizisten folgten ihm. Sein Gesicht war so ernst wie das eines Leichenbestatters. »Was ist hier los? Ich habe den Notruf mitbekommen.«
George Thousand Names bürstete sich etwas Staub vom Ärmel seiner Jacke. »Wir haben den Dämon für Sie aufgespürt, Lieutenant. Er ist da oben und er wütet wie irre, und je eher wir hineinkommen und die Bärenfrau retten, desto besser. Es ist fast schon zu spät.«
»Bärenfrau? Wovon zum Teufel reden Sie? Ihr beiden bleibt hier. Das SWAT-Team ist unterwegs.«
»Lieutenant«, sagte ich, »wir müssen da hinein. Die Bärenfrau ist Coyotes Helferin. Sie ist gemein und grausam und am Tage ist sie Auge und Ohr für Coyote. Die meiste Zeit über ist sie eine Frau, aber sie kann sich in eine Art Werwolf verwandeln, wann immer sie es will.«
Lieutenant Stroud starrte mich an, als ob er den Mund voller Zitrone und Salz hätte, ihm aber der Tequila dazu fehlen würde.
»Ein Werwolf?«, fragte er nahezu tonlos.
Eine weitere Sirene heulte auf. Es war der graue Lkw der SWAT, der die Straße runter auf uns zugesaust kam. Drei Mann in Kampfuniform kletterten aus dem Wagen und kamen in athletischem Laufschritt die Stufen hoch.
Der Anführer, ein kleiner, erfahrener Mann mit kurzem silbernem Haar und braunen Haselnussaugen, grüßte militärisch und fragte: »Sie haben den Flüchtenden gestellt, Lieutenant? Was treibt er da oben?«
Lieutenant Stroud starrte mich immer noch an, sagte aber aus dem Mundwinkel heraus: »Er scheint das Haus in Stücke zu reißen. Diese Herren sagen, dass er eine Komplizin hat.«
George Thousand Names sagte mit zaghafter Stimme: »Werden Sie uns hineingehen lassen oder nicht? Ich warne Sie, Lieutenant, ich bin der Einzige, der die Bärenfrau bändigen kann.«
»Die was-Frau?«, fragte der SWAT-Mann.
Hinter uns erklang ein scheußliches Gebrüll, als Coyote die Decke des zweiten Stockwerkes herunterriss. Fenster zerbrachen und Staub drang in dicken Wolken aus der Diele zum Ausgang heraus. Das gesamte Haus schien zu pulsieren und zu pochen, als wäre es ein gefoltertes Tier, und durch die Dunkelheit und die Zerstörung sahen wir das bösartige Leuchten der Augen des Dämons. Sogar der Himmel über dem Haus schien sich zu verdichten und finsterer zu werden; die grauen Vögel flatterten und kreisten über allem, ruhig und drohend wie zuvor.
Der Leiter der SWAT-Mannschaft wartete nicht ab, um zu erfahren, um was für eine Frau es sich handelte. Er drehte sich zu seinem Team, das gerade mehrere Tränengaswerfer fertig machte, und brüllte: »Drei und fünf zur Rückfront, los! Jackson, Sie kommen mit mir!«
George Thousand Names sagte: »Lieutenant, bitte, lassen Sie sie nicht da hinein! Ich muss allein reingehen. Es ist unsere einzige Chance.«
Der Teamleiter zog seine Automatik. »Bitte treten Sie zur Seite, Sir! Wir müssen dort hinein und kurzen Prozess mit diesem Verrückten machen.«
George Thousand Names hob die Arme und blockierte die Eingangstür. »Sie begreifen nicht, Sie werden sterben! Bitte, lassen Sie mich hinein! Ich bitte Sie!«
»Treten Sie zur Seite!«, befahl der Beamte.
Aber als er einen Schritt nach vorne trat, um George Thousand Names aus dem Weg zu stoßen, holte der alte Indianer sein goldenes Amulett aus dem offenen Hemd. Ich sah es einen Moment aufblitzen, und dann schien ich nichts mehr zu sehen. Als Nächstes wusste ich wieder, dass wir noch alle auf unserem Platz standen, George Thousand Names aber verschwunden war.
Der SWAT-Officer drehte sich zu Lieutenant Stroud um und blinzelte, dann wandten sich beide mir zu und schauten mich an.
»Wo ist er hin? Er ist einfach weg!«
Vom Bürgersteig rief einer vom SWAT-Team: »Er ist gerade hineingegangen, Sir. Sie haben ihn durchgelassen.«
»Ich habe ihn durchgelassen?«
»Ja, Sir. Sie haben Ihre Pistole gesenkt und ihn gehen lassen.«
Der Anführer der SWAT sah Lieutenant Stroud argwöhnisch an, aber da hörte man ein weiteres Bersten aus dem Haus und plötzlich wehte ein heißer Windstoß aus der Eingangstür heraus, heulend und kreischend, voller Staub und Dreck. Wir wichen alle zurück, bis auf den SWAT-Officer, der niederkniete, um Schutz hinter einer der Treppenstufen zu finden.
»Jetzt!«, schrie er. »Wir gehen rein!«
Es gab noch eine Explosion, noch ein ohrenbetäubendes Krachen. Ich war sicher, dass George Thousand Names verletzt worden war. Aber ich konnte nichts weiter tun, als zusammengeduckt am Eingang zu warten und zu beten.
Jane war da drin, und ob nun Bärenfrau oder nicht, sie war die Frau, die ich geliebt hatte. Ich schaute am Haus hoch; die grauen Vögel flogen aufgeregt hin und her, als ob sie ein Fest des Todes erwarteten.
Das SWAT-Team stolperte durch den stöhnenden Wind in die Diele. Sie hielten ihre Waffen hoch auf die Treppe gerichtet. Noch mehr Glassplitter flogen auf sie zu und einer der Männer schrie auf, als ihm die Hand aufgeschnitten wurde.
Der führende Officer hob den Arm, um den Sturm auf die Treppe freizugeben, aber in diesem Augenblick erschien George Thousand Names – inmitten der herumfliegenden Trümmerteile trug er etwas auf dem Rücken.
»Nicht schießen!«, schrie der SWAT-Officer, obwohl keiner seiner Leute danach aussah, als ob er überhaupt schießen wollte.
Vom Gartentor aus konnte ich nicht genau erkennen, was eigentlich passierte: Vielleicht sahen die SWAT-Leute es besser, obwohl sie es nie zugegeben haben. Aber ich bin sicher, dass George Thousand Names die Treppen nicht herunterlief. Um ihn herum flimmerte ein eigenartiges Strahlen. Er schwebte. Er trug Jane, aber nicht als Bär, sondern als Frau hing sie nackt und bleich über seiner Schulter.
»Ahh, die Bärenfrau …«, murmelte der kleine italienische Arzt mit den dicken Brillengläsern.
George kam durch die Diele, und ich schwöre, dass ich etwas Tageslicht unter seinen Füßen schimmern sah. Sein Kopf war ernst und stolz erhoben, der Kopf eines Indianers, der Zeiten erlebt hatte, in denen das Gras noch sprach und alle Stämme noch eng mit dem Großen Geist in Verbindung standen. Er war weit über die 60 und er hätte Jane auf keinen Fall so tragen können, auf gar keinen Fall. Doch er trug sie die Treppe hinunter und quer durch die Diele, mit geradem Rücken und ruhigem Gesicht. In diesem Augenblick war er das heilige Vehikel von Gitche Manitou, der sich um seine Diener kümmert, sogar um die, die das Flüstern der Präriewinde nicht zu hören vermögen.
Als George Thousand Names aus der Haustür schwebte, brach die Hölle hinter ihm los. Das Haus schien vor Wut zu brüllen. Ich sah, wie Fußbodenplanken durch die Luft flogen und die Mauern mit großem Getöse ineinanderfielen. Die SWAT-Leute standen mittendrin und einer von ihnen wurde wirklich durch eine solide Eichentür geschleudert. Die Menschen auf der Straße schrien und rannten vor Angst davon.
George Thousand Names kniete neben mir und ließ Jane seinen Rücken hinabgleiten. Sie war stark mitgenommen. Ein roter Striemen verlief quer über ihren Magen, aber sie befand sich immer noch in der tiefen Trance und schien unverletzt zu sein.
Es war George, um den ich mir im Augenblick Sorgen machte. Ich sah ihn an: Er zitterte und schwitzte und sein Gesicht war blau angelaufen.
»George, ich hole sofort einen Arzt.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie können jetzt nichts mehr tun. Für solche Tricks bin ich zu alt … zu sehr aus der Übung. Man braucht Kraft, wissen Sie, geistige Kraft, und ich habe jetzt gemerkt, wie wenig ich davon hatte. Wir sind weich geworden, John, verstehen Sie. Sogar die Besten von uns. Es gab Zeiten, da konnten Männer wie Adler fliegen. Aber jetzt nicht mehr. Ich bin am Ende, John. Ehrlich, ich bin am Ende.«
»George, hören Sie, Sie werden wieder in Ordnung kommen. Sie ruhen sich jetzt nur etwas aus und sagen mir, was ich tun soll.«