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Ich stand neben seinem zerfetzten Körper und sein Atem verging mit dem Wind. Sein Herzschlag dröhnte noch einige Momente weiter, setzte dann aus. Seine Augen zerbröckelten. Die Brise aus der Bucht von San Francisco wehte die Borsten, die Knochenteile und die lederne Haut davon. Bald lag nichts Weiteres mehr da als ein Stück von einem haarigen Skalp und auf dem Bürgersteig zeichnete sich ein Brandfleck ab. Ein Brandfleck, den man noch heute sehen kann, wenn man über die Golden Gate Bridge geht.

In dem Augenblick, als Coyote starb, spürte ich etwas Schwarzes und Großes wie eine Lokomotive in mein Gehirn rasen. Ich wusste, dass ich diese Minuten in meiner dämonischen Form nicht überleben würde, aber das kümmerte mich nicht. Ich war zu erregt, als durchdringe mich der ultimative Kick.

Doch in meinem Hinterkopf hörte ich wieder die Stimme von George Thousand Names. Vielleicht wusste er um meine Notlage und machte eine letzte psychische Anstrengung. Vielleicht war es auch meine eigene Kraft. Aber ich hörte ihn sagen: Wenn ein Sterblicher versucht, den Skalp eines Riesen oder Dämonen zu tragen, dann wird er von dem zerstört werden, was er sieht. Solange er es überlebt, und das wäre nicht lange, würde er selbst zu einem Dämon werden. Das könnte sein Verstand aber nicht ertragen.

Mit einem qualvollen Schrei riss ich Big Monsters Haar von meinem Kopf und warf es in weitem Bogen in die trüben Wasser der Bucht von San Francisco. Es drehte und entwirrte sich im Wind und flog davon. Ich spürte in mir das Gefühl eines großen Verlustes und die völlige Erschöpfung und sank in die Knie.

Jetzt, ganz verschwommen, sah ich Jane. Sie lag auf dem Bürgersteig, und einen kurzen Moment sah ich Krallen und Zähne und schwarzes Fell auf ihrem Rücken. Aber als der letzte Staub Coyotes fortgeweht war, öffnete sie die Augen und war wieder Jane Torresino, meine ehemalige und vielleicht sogar meine zukünftige Liebe.

Sie streckte eine Hand nach mir aus und sagte leise: »John … Oh John. Ich brauche dich …«

Dann hörten wir in der Ferne Sirenen heulen und das willkommene Geräusch herannahender Schritte.

Es wurde September, bevor ich wieder in das Round-Valley-Reservat fahren konnte. Ich lieh mir einen alten Pacer und Jane und ich verreisten über das Wochenende. Wir verbrachten die Nacht in Willits, im County Mendocino. Es war schon Nachmittag, als wir George Thousand Names’ Haus hoch oben über dem Tal erreichten. Wir parkten den Wagen und stiegen die Stufen zur Terrasse hinauf. Ein ernster, ruhiger Indianer mittleren Alters erwartete uns dort, Walter Running Cow. Er schüttelte uns zur Begrüßung würdevoll die Hand.

Wir tranken Tee und erzählten Walter Running Cow ganz ruhig alles, was wir in Pilarcitos Street erlebt hatten, das Erscheinen von Coyote und wie George Thousand Names uns bei dessen Vernichtung geholfen hatte. Wir berichteten auch, dass George im Moment von Coyotes Tod an einem schweren Herzinfarkt gestorben war.

Walter Running Cow hörte still zu, nickte ab und zu, während das Sonnenlicht das Zimmer durchwanderte und aus den Wäldern der fröhliche Gesang der Vögel drang.

Schließlich sagte der Indianer: »Es war ein tapferer Tod für George Thousand Names. Nach den modernen Vorstellungen war er einer unserer größten Medizinmänner. Vielleicht hätte er niemals wie ein Adler fliegen können, wie es die Wunderwirker in längst vergangenen Tagen vermochten, aber er nutzte seine Kräfte bis zum Äußersten. Ich glaube, wir können ihm alle dafür dankbar sein.«

»Ich musste es jemandem erzählen, der es mir glaubt«, sagte ich leise. »In San Francisco wurde es als einfacher Selbstmord hingestellt. Die offizielle Erklärung lautet, dass dies alles das Werk eines Geisteskranken war, der schließlich von der Brücke sprang.«

»Tja«, sagte Walter Running Cow, »ich nehme an, dass alle Kulturen ihren Rationalismus brauchen. Sogar die indianische Magie hat ihre wunden Punkte.«

»Wird Coyote jemals wiederkommen?«

Er sah mich an, sein Gesicht wirkte sehr ernst. »In unserem Leben wahrscheinlich nicht. Aber irgendwann. Ich will Ihre Tat nicht abwerten, aber jemand wie Sie kann einen Dämon wie Coyote nicht für immer verbannen. Und Big Monsters Haar schwimmt noch auf den Fluten des Ozeans.«

»Da wir gerade von Haaren sprechen … Ich möchte eines tun.«

Ich öffnete die Einkaufstüte, die ich mitgebracht hatte, und nahm den getrockneten, borstigen Skalp von Coyote heraus.

Walter Running Cow sah ihn lange Zeit mit einer Mischung aus Ergriffenheit und Respekt an, dann meinte er: »Es ist gut, dass Sie ihn hergebracht haben. George Thousand Names wird Ihnen dafür im Himmel danken.«

Wir drei traten im schwindenden Tageslicht auf die Terrasse. Dort band ich Coyotes Skalp an das Geländer, neben die Felle und die Schneeschuhe. Dann standen wir in der Weite des indianischen Abends da, während die Brise durch die langen Gräser wehte und die Trophäe herumwirbelte, die George Thousand Names gehörte. Man spürte, dass die Wärme des Jahres bereits nachließ, im Mond des dürren Grases, dem Monat nach dem Mond des Dämons.

Graham Masterton

www.grahammasterton.co.uk

GRAHAM MASTERTON ist einer der erfolgreichsten Autoren moderner Spannungsromane. Er schreibt Thriller, Horrorromane und erotische Ratgeber. 1975 erschien mit Der Manitou sein erster unheimlicher Roman, der sofort zum Bestseller wurde und mit Tony Curtis und Susan Strasberg in den Hauptrollen verfilmt wurde. Inzwischen sind etwa 60 Romane erschienen, deren verkaufte Auflage bei über 20 Millionen liegt.

»Leute zu erschrecken, hat mir schon als kleiner Junge Spaß gemacht«, erklärt er vergnügt. »Als ich elf war, schrieb ich eine Story über einen Mann ohne Kopf, der aber immer noch singen konnte und der ständig Tiptoe through the tulips (Auf Zehenspitzen durch die Tulpen) trällerte. Vor Kurzem traf ich einen Schulkameraden, der sich immer noch sehr gut an diese Geschichte erinnert. Er gestand mir, dass ihm heute noch, sobald er einen Topf mit Tulpen sieht, ein Schauder über den Rücken läuft.«

Graham Masterton bei FESTA: Die Opferung – Der Ausgestoßene – Bluterbe – Das Atmen der Bestie – Irre Seelen