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Lieber Himmel, dachte Will, gleich sieht er mir in die Augen! Er sah das Karussell und sich selbst darauf, und es fuhr immer rückwärts, rückwärts. Ich weiß doch, das Bild ist in meinen Augen zu lesen, als sei ich vom Blitz getroffen!

"Miss Foley!" sagte Will.

Nun schob sich ein rosa Gesicht durch die matte, gefrorene Gewitterwolke.

"Wir müssen Ihnen etwas Schreckliches sagen."

Jim stieß Will hart mit dem Ellbogen an, damit er den Mund halten sollte.

Nun kam auch der Körper aus der dunklen Regenwolke zum Vorschein. Hinter dem kleinen Jungen schloß sich der Vorhang wieder.

Miss Foley beugte sich erwartungsvoll zu Will herab.

Jim packte ihn fest beim Ellbogen. Er stotterte, wurde feuerrot, dann sprudelte er es heraus:

"Mr. Crosetti!"

Ganz plötzlich hatte er wieder klar und deutlich das Schild im Fenster des Friseurladens vor Augen. Das Schild, das er im Vorbeilaufen gesehen und doch wieder nicht gesehen hatte.

WEGEN KRANKHEIT GESCHLOSSEN

"Mr. Crosetti!" sagte er noch einmal und fügte hastig hinzu: "Er ist – tot!"

"Wer – der Friseur?"

"Der Friseur?" fragte Jim wie ein Echo.

"Hier, meine Haare." Zitternd zeigte Will auf seinen Kopf. "Er hat sie mir geschnitten. Gerade sind wir dort vorbeigekommen, und da hing das Schild im Fenster, und die Leute haben uns gesagt..."

"Wie furchtbar." Miss Foley zog den fremden Jungen nach vorn. "Das tut mir aber wirklich leid. – Jungens, das ist Robert, mein Neffe aus Wisconsin."

Jim streckte seine Hand aus. Robert, der Neffe, betrachtete sie neugierig. "Was schaust du mich so an?" fragte er.

"Du kommst mir bekannt vor", sagte Jim.

Jim, schrie Will, ohne einen Ton über die Lippen zu bringen.

"Wie ein Onkel von mir", fügte Jim gelassen und freundlich hinzu.

Der Neffe sah Will an, doch der senkte den Blick, damit der andere in seinen Augen nicht das wirbelnde Karussell erblicken sollte. Verrückt – jetzt hätte er am liebsten die verkehrtherum ablaufende Melodie gesummt.

Nein, dachte er. Sieh ihn an!

Er sah dem Jungen gerade in die Augen.

Es war Wahnsinn, es war verrückt, und der Boden sank ihm unter den Füßen weg; denn vor sich hatte er die rosafarbene, glänzendglatte Karnevalsmaske eines hübschen Jungengesichts, aber es war, als seien Löcher hineingeschnitten, und aus diesen Löchern blickten ihn Mr. Coogers Augen an, alte, alte Augen, helle, scharfe blaue Sterne. Sterne, von denen das Licht eine Million Jahre braucht, bevor es hier ist. Und durch die kleinen Nasenlöcher, die in die Maske geschnitten waren, atmete Mr. Cooger Dampf ein und atmete Eis aus. Und die zuckersüße rote Zunge bewegte sich klein und versteckt hinter den blitzendweißen Zähnen wie auf einer Zahnpastareklame.

Irgendwo hinter den Augenschlitzen machte Mr. Cooger mit seinen Insektenpupillen klick-klick. Die Iris explodierte hell wie eine Sonne, dann brannte sie wieder frostig und ruhig.

Er sah Jim an. Klick-klick. Wie mit einer Kamera hatte er Jim anvisiert, eingestellt, geknipst, entwickelt, irgendwo im Dunkeln archiviert. Klick-klick.

Und doch geschah nichts weiter, als daß ein kleiner Junge mit einer Frau und zwei anderen Jungen auf einem Flur stand...

Die ganze Zeit erwiderte Jim unverwandt den Blick und schoß unbekümmert seine eigenen Bilder von Robert.

"Habt ihr Jungen eigentlich schon gegessen?" fragte Miss Foley. "Wir wollten uns gerade hinsetzen..."

"Wir müssen gehen!"

Sie alle sahen Will an, als seien sie erstaunt darüber, daß er nicht ewig so dastehen wollte.

"Jim...", stammelte er. "Deine Mom ist allein zu Hause..."

"Ach, ja, richtig," murmelte Jim widerwillig.

"Ich weiß was." Der Neffe wartete, bis er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Als sie ihm die Gesichter zuwandten, machte Mr. Cooger in seinem Kopf klick-klick, lauschte durch die Spielzeugohren, beobachtete sie durch die Puppenaugen und benetzte den Puppenmund mit einer winzigen Pekinesenzunge. "Ihr kommt nachher zum Nachtisch vorbei, okay?" "Nachtisch?"

"Ich führe Tante Willa in den Zirkus." Er streichelte Miss Foleys Arm, bis sie nervös lachte.

"Zirkus?" schrie Will, dann senkte er die Stimme.

"Miss Foley, Sie haben doch gesagt..."

"Ich habe gesagt, es war dumm von mir, mir eine solche Angst selbst einzureden", sagte Miss Foley. "Wir haben Samstagabend, das ist der beste Abend für die Vorstellungen, und ich möchte meinem Neffen doch etwas bieten."

"Kommt ihr mit?" fragte Robert und hielt Miss Foley bei der Hand.

"Bis später?" "Prima!" sagte Jim.

"Jim", sagte Will. "Wir waren den ganzen Tag draußen. Deine Mom ist doch krank."

"Das habe ich glatt vergessen." Jim schleuderte ihm einen Blick zu, der vor blankem Schlangengift nur so troff.

Klick. Der Neffe machte eine Röntgenaufnahme von den beiden. Zweifellos sah er dabei eiskalte Gebeine, die im warmen Fleisch bebten. Dann streckte er die Hand aus.

"Na, dann bis morgen. Treffen uns auf dem Festplatz."

"Fein!" Jim nahm die schmale Kinderhand.

"Bis dann!" Will stürzte zur Tür hinaus, dann drehte er sich um und wandte sich inständig bittend an seine Lehrerin.

"Miss Foley..."

"Ja, Will?"

Geh nicht mit dem Jungen hin, dachte er. Wag dich nicht in die Nähe des Festplatzes. Bitte, bitte, bleib zu Hause!

Doch dann sagte er: "Mr. Crosetti ist tot."

Sie nickte gerührt und wartete auf seine Tränen. Während sie noch wartete, zerrte er Jim nach draußen.

Die Tür schlug zu. Drin blieben Miss Foley und der Junge mit den Fotoaugen in dem kleinen rosa Gesicht, die immer klick-klick machten und zwei verwirrte Jungen fotografierten, wie sie in der Oktoberdämmerung die Stufen hinunterstolperten, während in Wills Kopf wieder das Karussell zu kreisen begann und die Blätter in den Bäumen über ihren Köpfen im Wind flüsterten und raschelten.

Draußen platzte Will heraus: "Jim, du hast ihm die Hand gegeben! Ihm, Mr. Cooger! Du willst dich doch nicht etwa mit ihm treffen?"

"Na schön, es ist Mr. Cooger. Junge, diese Augen! Wenn ich mich heute abend mit ihm treffe, dann geht alles in einem Aufwaschen. Will, was ist denn los mit dir?"

"Mit mir?" Sie standen am Gartenzaun, wisperten heftig miteinander und warfen ab und zu einen scheuen Blick zum Fenster hinauf, wo gelegentlich ein Schatten vorbeihuschte. Will hielt inne. Die Musik begann wieder in seinem Kopf zu orgeln. Verdutzt blinzelte er.

"Jim – die Melodie, die die Orgel spielte, als Mr. Cooger immer jünger wurde..."

"Ja?"

"Das war der Trauermarsch – rückwärts abgespielt!"

"Welcher Trauermarsch?"

"Welcher! Jim, Chopin hat doch nur den geschrieben. Den Trauermarsch!"

"Aber warum lief er rückwärts ab?"

"Mr. Cooger marschierte doch weg vom Grab, nicht drauf zu. Er wurde doch kleiner, jünger, statt älter..."

"Will, du bist toll!"

"Klar, aber..." Will wurde starr. "Er ist da. Am Fenster. Wink ihm zu. Wiedersehen! Und nun geh weiter und pfeif etwas. Nicht Chopin, um Himmels willen..."

Jim winkte, Will winkte. Beide pfiffen "O Susanna".

Der Schatten am Fenster machte eine Handbewegung.

Da rannten die beiden Jungen die Straße entlang.

Zwanzigstes Kapitel