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Vor der Tür zu Wachters Wohnung, an der jetzt das Pappschild Verwaltung genagelt war, blieb sie stehen und klopfte. Väterchen Michail antwortete nicht, noch dreimal klopfte sie, dann drückte sie die Klinke. Die Tür war nicht Verschlossen, mit einem leisen Quietschen schwang sie auf. Nach links und rechts sah sich Jana Petrowna um, allein war sie auf dem Flur, und sie schlüpfte schnell in die Wohnung.

Das erste, was sie wahrnahm, war der strenge Geruch von Karbol. Sie blieb in der kleinen Diele stehen, preßte die flache Hand gegen ihre Brüst, ein unbeschreibliches Gefühl der Angst durchflutete und lahmte sie, und dann schrie sie mit hellerer Stimme als sonst:

«Väterchen, wo bist du? Väterchen… bist du hier? Väterchen…«

Sie merkte nicht, daß sie es auf russisch schrie, und es war wiederum ihr Glück, daß niemand in der Wohnung war und sie hörte.

Verwirrt, mit einem dumpfen Schmerz unter der Hirnschale, stellte Michael Wachter fest, daß er noch lebte. Er roch den beizenden Karbolgestank, spürte den Druck in seinem Kopf, hörte vor seinem Fenster Stimmen und Motorenlärm und behielt die Augen geschlossen, voll Verwunderung, daß er in einem Bett lag, und es mußte das Bett in seinem Schlafzimmer sein, denn alle Geräusche kamen von links. Links, wo das Fenster hinaus auf einen breiten Gartenweg ging.

Träge — ihm kam es vor, als könne er sich nicht bewegen — kehrte die Erinnerung zurück: das Bernsteinzimmer, der Soldat, der mit seinem Seitengewehr die Verkleidung abhebelte und es dann in das Mosaik stieß, wie ein Mörder, dessen Messer in eine Brust dringt. Auf ihn hatte er sich gestürzt, hatte ihm das Messer aus der Hand geschlagen… ja, so war's gewesen. Das Gesicht des Soldaten sah er noch, fassungslos, von einem hilflosen Grinsen verzogen, dann hatte ein Dröhnen in seinem Kopf begonnen, das alles in ihm auslöschte.

Das Bernsteinzimmer!

Er riß die Augen auf und zuckte zusammen, als ein heller Aufschrei in seine Ohren drang.»Väterchen!«rief eine Frauenstimme.»Väterchen! Du bist wieder da… du lebst… du wirst nicht sterben!«Und dann weinte jemand, und alle weiteren Worte gingen im Schluchzen unter. Ein Kopf erschien vor seinen Augen, ein tränenüberströmtes Gesicht, von schwarzen Haaren umrahmt, und dieser Kopf trug ein Häubchen, wie es Krankenschwestern tragen, beugte sich nun über ihn und küßte seine Stirn, die Augen und die Lippen.»Väterchen, lieg ganz still, bewege dich nicht, hast du Schmerzen, willst du etwas trinken…«

«Sprich deutsch«, sagte er mit noch schwerer Zunge.»Ja-naschka, du bist eine deutsche Krankenschwester. Vergiß das nie! Nie! In Ostpreußen bist du geboren… in Ostpreußen… bei den Masurischen Seen.«

«Ja, Väterchen«, antwortete sie und weinte weiter.

«Jana!«

«Ich weiß. «Jetzt sprach sie deutsch mit einem harten Akzent.»Sie müssen ganz ruhig liegen bleiben, Herr Wachter.«

«Ich muß zum Bernsteinzimmer, Schwester. «Er versuchte, sich aufzurichten, aber ihm war, als glühte sein Kopf, als loderten Flammen aus ihm. Er fiel auf das Kissen zurück und schloß wieder die Augen.»Mein Bernsteinzimmer…«

Sie zog die Decke wieder hoch bis unter sein Kinn und hielt ihn fest, damit er still lag.

«Sie leben… das ist jetzt das Wichtigste.«

Obwohl sie allein in der Wohnung waren, niemand sie sah und hörte, spielten sie weiter, was sie verabredet hatten: Sie war eine unbekannte deutsche Krankenschwester und er ein ihr fremder Angestellter der Schloßverwaltung von Zarskoje Selo. Sie hatten sich vorher nie gesehen… nur ein einziges Du, ein einziges russisches Wort konnte ihr Verderben sein und ihren Plan zunichte machen.

Die Unruhe in Wachter wuchs. Er hielt Janas Hand fest, als sie sein Kopfkissen zurechtrücken wollte, und sie wunderte sich über die Kraft, die in diesem Griff lag.»Ich muß es sehen«, sagte er.»Verstehst du das nicht? Ich muß wissen, was sie mit dem Zimmer gemacht haben, nachdem sie mich niedergeschlagen haben. 225 Jahre lang hat keiner die Wände berührt, weil die Wachters aufpaßten, weil immer jemand von uns da war… und jetzt brechen sie die Mosaiken heraus… für Erna zur >Erinnerung< an Puschkin. Jana, laß mich aufstehen. Bitte…«

«Du bleibst liegen, Väterchen.«

«Jana.«

«Sie bleiben liegen, Herr Wachter«, verbesserte sie sich sofort. »Ich werde hinübergehen und nach dem Bernsteinzimmer sehen. Ich komme als Schwester überall hin. «Sie beugte sich über ihn und streichelte sein bartstoppeliges Gesicht.»Eine gute Idee war das, Väterchen«, flüsterte sie an seinem Ohr.»Jana!«

«Niemand hört uns.«

«Das ist es nicht. Daran gewöhnen sollst du dich, daß du mich nicht kennst. Zum ersten Mal hast du mich heute gesehen.«

An der Tür klopfte es. Sofort danach kam ein hochgewachsener Offizier in die Wohnung, stutzte, als er die Rote-Kreuz-Schwester an Wachters Bett sitzen sah, und trat dann näher.

«Wendler-«stellte er sich höflich vor.»Ich bin Arzt. Wie geht es Ihnen, Herr Wachter? Was macht der Kopf? Wie ich sehe, sind Sie in bester Betreuung. «Ein strahlender Blick traf Jana. Sie senkte die Augen und drehte dem Arzt den Rücken zu. Es war ein Oberstabsarzt, aus dem Stab des XXVIII. Armeekorps.»Haben Sie mich verbunden, Herr Doktor?«fragte Wachter.»Wie sieht mein Kopf aus?«»Eine mittelgroße Platzwunde… die Hirnschale ist nicht verletzt. Gott sei Dank. Verbunden hat Sie dann ein Sanitäter. «Dr. Wendler räusperte sich, beugte sich über Wachters Kopf und kontrollierte den Verband. Er war tadellos angelegt worden.»Sie sehen jetzt aus wie ein Muselmann«, versuchte er einen Scherz.»So ein Turban steht Ihnen gut. Nicht wahr, Schwester?«

«Ja — «antwortete Jana kurz.

«Ich habe mich noch einer Bitte zu entledigen. «Dr. Wendler schien ein Mensch zu sein, der gerne etwas gespreizt sprach.»General von Kortte läßt um Entschuldigung bitten, daß einige seiner Soldaten sich so ungebührlich Ihnen gegenüber benommen haben. Die Schuldigen werden zur Rechenschaft gezogen. Urlaubssperre ist das mindeste, was sie erwartet. Das soll ich Ihnen ausrichten.. das aufrichtige Bedauern des Herrn Generals.«

«Danke, Herr Doktor.«

«Der Herr General wird Sie heute noch besuchen.«

«Was macht mein Bernsteinzimmer?«

«Keine Ahnung. «Dr. Wendler hob die Schultern. Das Bernsteinzimmer war für ihn von geringerem Interesse als die hübsche Schwester an Wachters Bett. Er blinzelte ihr zu; aber Jana übersah es und nahm eine Haltung ein, die Abwehr signalisierte.»Was soll mit dem Zimmer los sein?«

«Hat man es zerstört… geplündert…«

«Moment mal. «Dr. Wendler zog die Augenbrauen zusammen.»Was sagen Sie da, Wachter? Ein deutscher Soldat zerstört nichts und plündert schon gar nicht. Ihre Meinung über unsere Landser…«

«Verzeihung, Herr Doktor. «Wachter unterbrach den Oberstabsarzt sofort. Er stellte mit Erschrecken fest, daß man so etwas nicht sagen durfte. Ein guter Deutscher kritisierte niemals die Wehrmacht des Führers. Zersetzung nannte man das. Wehrkraftzersetzung.»Aber man hat mich niedergeschlagen, weil ich einen Soldaten hindern wollte, aus der Bernsteinwand etwas herauszubrechen.«

«Mein Gott, ein kleines Andenken… fällt ja gar nicht auf bei so viel Bernstein. Es stimmt also: Sie haben den Landser zuerst angegriffen?«

«Ja. Er bohrte mit dem Seitengewehr…«

«Gut, gut, gut!«Dr. Wendler winkte ungeduldig ab.»Das wird alles untersucht werden. Wozu haben wir ein Feldgericht?«»Feldgericht?«fragte Wachter gedehnt. Der Druck in seinem Kopf verstärkte sich. Feldgericht — das bedeutete eine Verhandlung, und der Soldat würde freigesprochen werden, das war ganz sicher. Freispruch wegen Notwehr. Das Herausbrechen des Bernsteins war kaum erwähnenswert.»Muß das sein, Herr Doktor?«