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Wachter blickte auf, als Jana Petrowna in die Wohnung kam.»Sie sind da, Väterchen«, sagte sie rnd ließ sich in einen Sessel fallen.

«Jana!«

Sie verzog den Mund und nickte.»Herr Wachter… ich weiß. Geführt werden sie von einem älteren, geilen, widerlichen Offizier. Er will mich morgen abend abholen und mir alles zeigen. Ich weiß, was er mir zeigen will!«

«Natürlich gehst du nicht hin. «Wachter musterte sie forschend.»Oder…?«

«Verstecken werde ich mich. «Sie nahm einen Schluck von dem kalten Tee, der in einer großen Tasse auf dem Tischchen stand. Überrascht zog sie das Kinn an und holte tief Atem.»Da ist ja Wodka drin!«

«Ja. Ein wenig.«

«So wenig, daß es einem die Kehle durchbrennt!«»Töchterchen — «

Jetzt rief sie:»Herr Wachter!«und hob mahnend die Finger. Doch dabei lachte sie.

«Fräulein Rogowskij… So ein Tee beruhigt die Nerven. Ich habe es nötig. «Wachter legte den Katalog auf das Sofa.»Was haben Sie erfahren?«

«Sie tun so, als wollten sie morgen das Bernsteinzimmer ausbauen.«

«Haben sie das gesagt?«

«Ich habe gehört, wie einer der Offiziere zu einem anderen leise sagte: >Wie kriegen wir diese Deckenmalerei heil her-aus?< Das heißt doch, daß sie das Zimmer mitnehmen. «Wachter erhob sich von seinem Sofa und zog seine dünne Jacke über das Hemd.»Ich sehe mir das mal an«, sagte er mit belegter Stimme.»Vielleicht ist das unser Glück. Da streiten sich zwei Nazi-Räuber um die gleiche Beute. Bis sie sich einig sind, wer weiß, wie dann die Welt aussieht? Sie verändert sich jetzt von Tag zu Tag.«

Er verließ die Wohnung, ging langsam von seinem Wohntrakt durch das Schloß. Die an ihm vorbeieilenden Soldaten, meist Offiziere der Stäbe, beachteten ihn nicht. Aus zwei Sälen, in denen Mannschaften sich niedergelassen hatten, erklangen Lachen, Stimmengewirr und zog der Geruch von vielen Zigaretten auf die Gänge. Er begegnete dem Adjutanten von General von Kortte, der ihn freundlich grüßte, und betrat dann das Bernsteinzimmer. An der Tür blieb er stehen und sah eine Weile stumm zu, wie die Experten des» Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg«, die einige der Verkleidungen von den Wänden wieder herausgerissen hatten, nun voll staunender Bewunderung davorstanden. Sie sahen das Bernsteinzimmer zum ersten Mal. Bisher kannten sie es nur von Fotos und aus Beschreibungen.

Müller-Gießen spürte, daß jemand den Raum betreten hatte und ihn musterte. Es war ihm, als sei ein Brennglas auf seinen Nacken gerichtet. Schnell drehte er sich um und starrte Wachter böse an.

«Wer sind Sie denn?!«fragte er in scharfem Ton.»Wie kommen Sie hier herein?!«

«Durch die Tür, Herr Major.«

«Lassen Sie diese dämlichen Bemerkungen!«bellte MüllerGießen.»Raus mit Ihnen! Halt! Hiergeblieben! Wieso kommen Sie als Zivilist in dieses Schloß?!«

«Ich gehöre zum Palais. Ich wohne hier.«

«Wie lange denn?«

«Von meiner Geburt an.«

«Aahh — «Das klang gedehnt und angriffslustig.»Ein Russe also?!«

«Nein, ein Deutscher. «Wachter machte eine weite Handbewegung, die das ganze Zimmer umfaßte. «Ich verwalte das Bernsteinzimmer.«

«Seit wann?!«

«Seit 1716…«

Müller-Gießen verzog sein Gesicht, als habe er Essig getrunken. Doch dann brüllte er los, und brüllen konnte er vorzüglich. Er benutzte dabei wie ein Sänger die Zwerchfellatmung.

«Sie Idiot! Was nehmen Sie sich heraus?! Sie O-beiniger Zivilist! Ich werde Ihnen abgewöhnen, sich über andere lächerlich zu machen! Wer ist Ihr Vorgesetzter?!«

«Ich habe keinen Vorgesetzten.«

«Sie haben keinen… Mann, wer ernährt Sie denn? Bei wem sind Sie angestellt?!«

«Zur Zeit lebe ich in einem Niemandsland.«

«In Deutschland leben Sie!«schrie Müller-Gießen und wurde rot im Gesicht.»Wo wir sind, ist Deutschland! Das werden Sie noch begreifen lernen. «Er atmete tief ein.»Sie verwalten das Bernsteinzimmer? Na gut, werde ich nachforschen. Das Zimmer wird in den nächsten Tagen ausgebaut.«»Von wem?«

«Das geht Sie einen Scheißdreck an, Mann!«

«Aber ich weiß es, Herr Major: Das Sonderkommando des AA…«

Es war ein Hieb, der saß. Genau in die Magengrube von Müller-Gießen. Die anderen Herren hatten sich umgedreht und verfolgten interessiert die Auseinandersetzung ihres Chefs mit diesem schäbiggekleideten Zivilisten.

«Ist das sicher?«bellte Müller-Gießen.

«Ein Herr Dr. Wollters, Rittmeister Wollters, ließ das verlauten.«

«Wollters. Ausgerechnet Wollters!«schrie Müller-Gießen. Gegen diesen Namen war er allergisch. Bauchschmerzen bekam er, wenn er an ihn dachte. Schon siebenmal war Dr. Wollters schneller gewesen als Müller-Gießen, und immer hatte er von Reichsleiter Martin Bormann recht bekommen. Gegen Bormann kam keiner an, am wenigsten Rosenberg. Es gab eine Reihe von hohen Parteigenossen, die Bormann, nach außen hin immer höflich, innerlich aber für sich abhakte: Neben Rosenberg war das vor allem auch Josef Goebbels. Aber jetzt, hier beim Bernsteinzimmer, wollte Müller-Gießen Sieger bleiben. Er brauchte nur einige Lastwagen, vielleicht 20 oder 22 Stück… und das war ein Problem, das er im Augenblick noch nicht lösen konnte. Aber das AA auch nicht, das war sicher. Zwanzig Lastwagen zu bekommen, um Kunstschätze zu transportieren, war ebenso schwierig wie der Abbau der Deckengemälde.

«Was hat Wollters noch zu Ihnen gesagt?«Müller-Gießen sprach den Namen so voller Ekel aus, als wollte er sich jeden Augenblick erbrechen.

«Nichts.«

«Termine?«

«Keine. Nur: So schnell wie möglich.«

«Das >wie möglich< beruhigt mich etwas. Er kann auch nicht zaubern.«

«Die Männer von Ribbentrop hatten ein Schreiben aus dem Führerhauptquartier bei sich. Auf Veranlassung von

Bormann — «

«O Scheiße! Scheiße!«Müller-Gießen schlug erregt die Fäuste gegeneinander. Die anderen Herren zogen betretene Gesichter. Wiederholte sich zum achten Mal der Wettlauf der beiden Kunstsammler?» Wie rief Richard III. bei der Schlacht von Bosworth? >Ein Pferd! Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!< Ich brauche kein Pferd… ich brauche zwanzig Lastwagen! Meine Herren, wir werden doch noch für den Führer zwanzig Lastwagen auftreiben können!«

Es zeigte sich, daß Müller-Gießen die Lage unterschätzt hatte. Schon bei General von Kortte blitzte er eiskalt ab. Als MüllerGießen zu ihm sagte, er brauche sofort, sofort betonte er noch einmal, zwanzig Lkws, sah ihn von Kortte fast mitleidig an und tippte sich dann an die Stirn.

«Herr Major, Sie spinnen«, sagte er abgehackt.

«Ihr Armeekorps wird doch wohl zwanzig Wagen haben.«»Zum Munitionstransport. Für Verpflegung, Nachschub, zur schnellen Verlegung von Truppen an die Front, zum Rücktransport von Verwundeten… aber doch nicht für Wände aus Bernstein!«

«Es handelt sich um Besitztümer des Führers!«

«Dann soll der Führer mir persönlich einen Befehl dazu geben.«

«Herr Reichsleiter Rosenberg — «

«Mein Vorgesetzter ist der Kommandierende der Armee und der Oberbefehlshaber der Wehrmacht.«

«Unser Sonderauftrag ist klar umrissen, Herr General.«

«Das kann ich nicht entscheiden. Wenden Sie sich an den Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst von Küchler. Wenn es Lkws gibt, dann nur mit seiner Genehmigung.«

«Das heißt: Sie wollen nicht?«

«Ich kann nicht. «Von Korttes Stimme schwamm in Ironie. Es tat ihm in der Seele gut, Müller-Gießen ebenso abfahren zu lassen wie diesen hochnäsigen Dr. Wollters.»Als Akademiker sollten Sie den Unterschied zwischen Können und Wollen verstehen. Ich bedaure, Herr Major.«