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Damit war Müller-Gießen entlassen. Er stand stramm, grüßte kurz und verließ wutschnaubend das Chinesische Zimmer. Auf dem breiten Flur, wo seine Herren warteten, machte er sich Luft.

«So ein Fatzke!«schrie er.»So ein Saboteur! Als ob wir Scheißhaufen wären! Das gibt eine Meldung an den Reichsleiter, das kann ich Ihnen sagen. Diesem Kortte werden noch die Augen überlaufen! Da werden sich jetzt andere Stellen um ihn kümmern! Ha, der kennt uns noch nicht. «Er winkte.»Gehen wir, meine Herren. «Er sah sich um. Wachter, der ihn zu General von Kortte geführt hatte, war nicht mehr da.»Wo ist dieser russendeutsche Zivilist?«

«Gegangen. Sollte er bleiben, Herr Major?«Ein Kunstexperte im Range eines Oberleutnants hob die Schultern.»Wir wußten nicht, daß…«

«Schon gut. Wir müssen sofort zum Hauptquartier der 18. Armee. Diesmal müssen wir die ersten sein!«Aber auch bei Generaloberst von Küchler kamen sie zu spät. Dr. Wollters war schon da gewesen. Und wie ihm ließ von Küchler durch einen seiner Adjutanten auch Müller-Gießen sagen, daß während der Kämpfe um Leningrad noch nicht mal ein Rad für außerkriegerische Zwecke zur Verfügung gestellt würde.

«Und jetzt geht's los!«sagte Müller-Gießen angriffslustig.»Wer zuerst die Lkws hat, ist Sieger. Meine Herren, wir bleiben hart am Mann.«

Im Schloß von Königsberg hatte Gauleiter Koch seine» Gauleitung Ostpreußen «eingerichtet. Für ihn war das Schloß der richtige und einzige Ort, an dem er wohnen und arbeiten konnte.

Drei Dinge liebte der ehemalige Maler und Anstreicher und jetzige Gauleiter und Reichskommissar für die Ukraine besonders: die Macht, die Frauen und den Prunk. Genau in dieser Reihenfolge. Die Macht besaß er, regierte wie ein König in Ostpreußen und der Ukraine, mit einer Grausamkeit, die Tausende von Männern, Frauen und Kindern in den Tod trieb, in Konzentrationslagern verschwinden ließ und die ganze Dörfer zerstörte, verbrannte und einebnete. Seine Macht und sein Haß auf die» slawischen Untermenschen «war so groß, daß selbst Rosenberg und der Chef der Polizei der Ukraine, der Höhere SS- und Polizeiführer Hans Prützmann, Beschwerde bei Hitler führten. Nur erreichten sie nichts… Koch war mächtiger.

Bei den Frauen hatte der Gauleiter selten mit Gegenwehr zu rechnen, aber nicht etwa, weil er ein schöner, charmanter Mann war. Koch war mittelgroß, hatte große, leicht abstehende Ohren und trug unter der breiten Nase einen kurzen Schnurrbart, eine» Fliege«, ähnlich wie sein von ihm vergötterter Führer Adolf Hitler, und saufen konnte er, als sei er ein endloser Schlauch. Seine Erfolge im Bett waren in den meisten Fällen auf die Angst der Frauen, ihm Widerstand zu leisten, zurückzuführen. Frauen nannte er grundsätzlich Weiber oder, wenn er in Stimmung war,»geile Wackelärsche «oder» Titten mit Beinen«. In Königsberg und über das ganze Land verstreut hatte er sich seine» Liebeslauben «eingerichtet. Am luxuriösesten war das alte, ehrwürdige Herrengut Nasza Polska (Unser Polen) zwischen Warschau und Nasielsk. Hier hatte Koch sein Schlafzimmer mit Spiegelwänden ausgestattet und über dem breiten Himmelbett ebenfalls einen riesigen Spiegel an der Decke anbringen lassen. Wohin man also beim Liebesspiel blickte… man sah sich von allen Seiten: ein Zimmer voll von kopulierenden Paaren. Hier fühlte sich Erich Koch wohl, hier war er der Sonnenkönig des Ostreiches. Weiber — das war Leben!

Mit der dritten Leidenschaft, dem Prunk, hatte er ein gespaltenes Verhältnis. Seine Pläne, sich wie ein echter Herrscher mit wertvollen Kunstschätzen zu umgeben, erfüllten sich nur teilweise oder zögernd. Zu viele waren nach den Eroberungen unterwegs, um sich mit Gemälden, Gobelins, Möbeln, Teppichen, Goldschmiedearbeiten oder Bibliotheken und Porzellanen einzudecken. Göring raubte für seine feudalen Landsitze Karinhall und Schorfheide, Rosenberg für Hitler und sein Linzer Traummuseum, Himmler für seine Villa auf dem Obersalzberg, Ribbentrop als Sammler für den Führer, Generalgouverneur Frank für seine Häuser, nur Martin Bormann zeigte wenig Interesse an der Kunst, dafür aber um so mehr für die Sammelleidenschaft der anderen. Immer wieder rügte er das Abtransportieren von unersetzlichen Kunstwerten, die dem» Führervorbehalt «unterlagen, mahnte die unbedingte Befolgung des Führerbefehls an und ließ alle oberen Reichsbehörden wissen, daß er sehr wohl über alles unterrichtet sei und im Namen des Führers eingreifen werde.

Gauleiter Koch beklagte im kleinen Freundeskreis sein Schicksal, immer nur die Brosamen einsammeln zu können, die ihm die Großen vom Kunsttisch übrig ließen. Natürlich reichte auch das aus, um seine Häuser mit herrlichen Kunstwerken zu schmücken, aber es war sozusagen die zweite Garnitur. Das verletzte Kochs Stolz ungemein… hier im Osten war er die Nummer eins, Ostpreußen der schönste aller Gauen. Wem also stand daher das Schönste aus den eroberten Schlössern, Bibliotheken, Klöstern und Museen zu?

Am 19. September 1941, als der Einschließungsring um Leningrad geschlossen war und Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, den Artilleriebeschuß der Stadt zur Demoralisierung der Bevölkerung befahl — ein Bombardement, das 18 Stunden dauerte, 18 Stunden lang ein Regen von Granaten —, hatte Gauleiter Koch seinen Vertrauten, den Gauamtsleiter Bruno Wellenschlag und den Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Königsberg, Dr. Wilhelm Findling, zu einem Glas Wein in seine Wohnung eingeladen. Dr. Findling, mehr ein ernster und stiller Mensch, der die Wissenschaft liebte, als ein Zechkumpan, hatte vor der Einladung noch kräftig gegessen und sich Magnesiumpillen eingesteckt.»Das wird wieder eine Sauferei!«hatte er zu seiner Frau gesagt.»Koch hat angerufen.«

Sie saßen nun in tiefen Sesseln, tranken zum Auftakt des gemütlichen Abends eine Flasche französischen Kognak und hörten Erich Koch zu, der nichts Neues oder Bewegendes berichtete: Er lobte des Führers Tatkraft, Rußland in einem Sturmlauf ohne Beispiel niederzuzwingen. Die» Ostmark«, wie Koch die eroberten Gebiete nannte, würden einmal die Kornkammer und das Gemüsebeet des Reiches werden. Plötzlich aber unterbrach er sich selbst und beugte sich zu Dr. Findling vor.

«Kennen Sie Puschkin?«fragte er.

«Ja. Das alte Zarskoje Selo, Herr Gauleiter.«

«Schloß an Schloß, nicht wahr?«

«Vor allem zwei: Der Katharinen-Palast und das AlexanderPalais.«

«Sie waren schon dort?«

«Dreimal, Herr Gauleiter.«

«Dann kennen Sie ja auch das Bernsteinzimmer.«

«Aber bestens. So etwas gibt es nie wieder. Das größte Kunstwerk, das jemals aus Bernstein hergestellt wurde. Wie der Führer es ausdrückte: Das deutsche Gold der Ostsee. Seit Jahrhunderten nennt man es auch den >Sonnenstein<.«

Dr. Findling nahm einen tiefen Schluck Kognak. An Bernstein konnte er sich begeistern wie Koch an einer schönen Frau. Die berühmte Königsberger Bernsteinsammlung lagerte in seinen Städtischen Kunstsammlungen, atemberaubende künstlerische Bernsteinarbeiten und ein Kleinod von Millionenwert: ein Kabinettschrank mit Flügeltüren und Schubladen, alles in leuchtendem Bernsteinmosaik. Er hatte ein paar enthusiastische Bücher geschrieben und war seither als Bernsteinfachmann international angesehen.

«Ich weiß, Herr Gauleiter«, sagte er jetzt,»woran Sie denken.«

«Genau an das, Dr. Findling. «Koch war in bester Stimmung. Der Kognak war gut, und die Frau, die Bruno Wellenschlag ihm für den Rest des Tages zugeführt hatte, schien vorzüglich. Sie wartete im Schloß in einem abgelegenen Zimmer, das Koch seinen Reitstall nannte.

«Das Bernsteinzimmer. Sie möchten es gern in Königsberg haben…«

«Möchten? Ich will! Hierher gehört es, hier ins Schloß, und nirgendwo anders hin! Dr. Findling, können Sie sich vorstellen, wie das sein wird: Das Bernsteinzimmer hier bei uns im Schloß?!«