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«Eine Schande!«sagte Ludwig Gronau ein paarmal, wenn er die häßlichen Lücken sah: Er hatte mit Wachter Freundschaft geschlossen. Unter seinen Künstlerhänden zerbrach nichts, selbst beim Ausbau schien er das Bernstein zu streicheln.»Ich schäme mich für meine Kameraden.«

«Genau dasselbe hat General von Kortte gesagt. Was soll's…«Wachter hob resignierend die Schulter.»Nach dem Krieg wird man alles restaurieren, wenn es nicht schon Dr. Findling in Königsberg machen läßt. Der größte Teil ist jedenfalls erst mal gerettet.«

«Wenn wir den Krieg gewinnen, Michael.«

«Du glaubst nicht?«»Hast du dir mal die Karte von Rußland angesehen? Von der Westgrenze bis zum Kap Deschnew im äußersten Sibirien? Das wollen wir erobern… dieses unendliche Land? Selbst wenn wir Moskau einnehmen, dann ziehen sich die Sowjets hinter den Ural zurück. Dann in die Sümpfe, in die Taiga, ins sibirische Hochland, in die Tundra und die Steppen, an die Grenze Chinas. Die Generäle sollten Hitler nicht nur Ausschnitte zeigen, sondern auch mal die Karte des ganzen Rußland. Da siegen wir uns zu Tode, schon bis zum Jenisseij, geschweige bis zur Lena. Da kommen wir nie hin!«

«Und was wird dann aus dem Bernsteinzimmer?«fragte Wachter bedrückt.

«Das bekommt ihr wieder. Verlaß dich drauf. Was wir hier tun, ist nur eine Verlagerung zum Schutz vor Zerstörung. Überall steht die Front, der Vormarsch ist gestoppt. Paß mal auf, wie das jetzt weitergeht… nämlich zurück.«»Wenn das einer hört, bist du dran, Ludwig.«»Ich sag's nur dir, Michael. Denk an meine Worte, wenn das große Muffensausen beginnt.«

Später sprach Wachter in seiner Wohnung mit Jana Petrowna darüber. Bisher hatte sie sich versteckt gehalten, stand nur des Nachts am offenen Fenster und saugte die frische Luft ein. In der Wohnung war sie sicher, weder Wollters noch Runnefeldt hatten sie bisher betreten — was sollten sie auch dort? Nur General von Haldenberge hatte Wachter einmal besucht, da war Jana auf das Klo geflüchtet, von Haldenberge blieb zum Glück nur eine knappe Viertelstunde, er war verwundert, wie bescheiden Wachter inmitten des ihn umgebenden Prunkes lebte.

«Bald sind wir soweit«, sagte Wachter und goß sich eine Tasse Tee ein, in die er ein paar harte Kekse tunkte.»Wir sind schon dabei, die Kisten zu zimmern. Eine Schwierigkeit hat Dr. Runnefeldt noch nicht beseitigt: Wo bekommen wir genug Holzwolle zum Transportschutz her? Die beiden Sägewerke von Puschkin liegen still.«

«Vielleicht bringen die Lastwagen Holzwolle mit.«»Das ist unsere große Hoffnung, Töchterchen. «Kurz darauf, am nächsten Morgen, wäre es bald zur Katastrophe gekommen.

Auf Befehl des Generals war eine Putzkolonne unterwegs, um von außen die großen Fensterscheiben zu putzen. An dicken Seilen ließ sie sich vom Dach an der Hauswand hinunter, auch um beschädigte Fassadenteile abzuschlagen, die nach dem Bombenangriff vor der Eroberung übriggeblieben waren. Von Haldenberge blieb keine andere Wahl; ein großes Stück Gesims war heruntergefallen und hätte fast einen Oberst des Stabes erschlagen.

So kam es, daß der Gefreite Willy Schmidt an seinem Tau auch am Fenster von Wachters Wohnung vorbeipendelte und einen schnellen Blick ins Zimmer warf. Jana Petrowna, wie immer in Schwesterntracht, saß auf dem Sofa und las in einem Buch von Tolstoj. Daß es in russischer Sprache war, konnte man nicht erkennen.

«Ein Mäuschen!«sagte Schmidt begeistert.»Junge, Junge, ist die 'ne Wucht. «Er stellte sich draußen auf die Fensterbrüstung und klopfte an die Scheibe. Als hätte man auf sie geschossen, sprang Jana Petrowna auf. Das Buch fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden.

Willy Schmidt winkte fröhlich durch die Scheibe und spitzte die Lippen.

«Küßchen!«rief er.»Küßchen! Mach das Fenster auf, Süße… der scharfe Willy ist da!«

Nur einen Augenblick hatte Jana gezögert, dann kehrte ihre Geistesgegenwart zurück. Mit verführerischem Lächeln kam sie ans Fenster, aber sie öffnete nicht die Flügel. Durch die Scheibe rief sie:»Hau ab, du Kletteraffe.«

Willy Schmidt grinste breit, machte eine eindeutige Handbewegung und klopfte wieder an die Scheibe.

«Mach auf, Schätzchen!«rief er und drückte seine Stirn gegen das Fenster.»Ich sag dir, du verpaßt was! Ich habe drei Atü in der Hose…«

«Da muß ich erst Stabsarzt Dr. Reiners fragen… meinen Verlobten«, rief Jana zurück.

«Ach, Scheiße… immer die Offiziere und Ärzte!«Willy Schmidt ließ sich an seinem Tau wegpendeln, winkte noch einmal zu Jana hin und verschwand dann vom Fenster in die Tiefe. Mit weichen Beinen ging Jana zum Sofa zurück. Was nun? dachte sie. Wird er das den anderen erzählen? Wird jetzt jemand kommen und nachsehen, was eine Rote-Kreuz-Schwester im Schloß zu suchen hat?

Sie wartete, breitete Verbandsmull, Pflaster, eine Schere und ein Fläschchen mit Desinfektionsflüssigkeit auf dem Tisch aus, als ob sie Wachter noch versorgen müßte, obgleich seine Platzwunde am Kopf längst verheilt war. Aber niemand kam. Willy Schmidt schwieg. Nicht, weil er abgeblitzt war und deswegen nicht von seinen Kameraden verspottet werden wollte, sondern aus der Erfahrung heraus, daß man ein Offiziersliebchen nicht aufreißen durfte. Einmal hatte er es getan, in Uh-kenntnis der Lage, beim Einmarsch in Polen, im Lazarett von Sokolow, wo er eine Woche lang lag mit einem grandiosen Durchfall und zu seinen Stubenkameraden sagte:»Jungs, ich kann doch nichts dafür… ich scheiße mich tot…«Kurz vor seiner Entlassung aus dem Lazarett hatte er dann Irma kennengelernt, aber mehr als über ein Streicheln ihrer Brust war er nicht hinausgekommen. Doch das genügte. Oberarzt Dr. Muthesius, Irmas Nachtgefährte, hatte das Griffekloppen zufällig gesehen, schiß Schmidt grauenhaft zusammen und sorgte dafür, daß er ohne Erholungsurlaub sofort wieder an die Front kam.

So ein Erlebnis machte vorsichtig. Finger weg von Offi-ziershüpferchen…

Wachter war sehr betroffen, als Jana Petrowna ihm am Abend von der Begegnung am Fenster erzählte.»Ab sofort ziehen wir die Vorhänge dicht zu«, sagte er.»Besser im Halbdunkel sitzen als in einer Zelle. Wirklich, man kann nie vorsichtig genug sein. Wer denkt denn daran, daß die außen an der Fassade herumturnen?«

Aber auch am nächsten Tag kontrollierte niemand Wachters Wohnung. Jana und er atmeten auf. Ihr Schicksal hatte sich noch nicht erfüllt.

Pünktlich am 12. September traf die Kolonne von 18 Lkws der» Transportstaffel Koch «in Puschkin ein. An einem Seiteneingang fuhren sie auf und standen dann auf den Zentimeter ausgerichtet auf dem Kies. Der Transportleiter, ein Oberleutnant, meldete sich in der Armeekorps-Adjutantur und dann bei Dr. Runnefeldt.

«Das klappt ja vorzüglich!«sagte Runnefeldt und gab dem Oberleutnant die Hand.»Das ist eben deutsche Gründlichkeit. Haben Sie Holzwolle bei sich?«

«Aber ja. Gauleiter Koch ahnte schon, daß es damit Schwierigkeiten gibt. Jeder Wagen hat ein paar Säcke Holzwolle bei sich.«

«Phantastisch! Hier ist wirklich einer, der noch denken kann. «In Wahrheit dachte er: Kochs Interesse ist gefährlich groß. Was spukt da in seinem Gehirn herum? Was hat er mit dem Bernsteinzimmer vor? Zwar gibt es da den Führerbefehl, den» Führervorbehalt«, und Bormann wird ein waches Auge auf das Bernsteinzimmer haben… aber Koch ist alles zuzutrauen. So harmlos er aussieht, so ein Gauner ist er auch. Ein Glück, daß es noch einen Dr. Findling gibt -

Während der Oberleutnant ins Kasino geführt wurde, um nach der langen Fahrt wieder etwas Anständiges zu essen und zu trinken, und die 36 Fahrer, für jeden Lkw zwei Mann abwechselnd am Steuer, in der Mannschaftsküche zum Koch gingen und sagten:»Nun greif man in dein Versteck, Junge, und bring was Gutes auf die Platte… wir sind vom Führer ausgesucht…«, teilte Dr. Runnefeldt die Neuigkeit im Bernsteinzimmer mit. Hier standen bereits 21 verpackte Kisten, nur die Holzwollaus-kleidung fehlte. Sechs Schreiner klopften die restlichen Kisten zusammen.