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Es traf Wachter wie ein elektrischer Schlag. Er zuckte hoch und preßte beide Hände flach gegen seine Brust. Nur jetzt nicht umfallen, bettelte er. Herz, halt stand… verkrafte es, bitte, bitte, sei jetzt stark genug. Du darfst mich jetzt nicht verlassen, Herz.»Ich darf tatsächlich mit…? Nach Königsberg? Sie nehmen mich also mit, Herr Doktor? Ich kann bei meinem Bernsteinzimmer bleiben?«

«Bis Königsberg sicherlich. Was dann wird, das kann ich nicht bestimmen. Das müssen Dr. Findling und Gauleiter Koch entscheiden. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Sind Sie zum Abmarsch bereit?«

«Ja, Herr Doktor. «Wachter holte tief und mit einem Röcheln Atem.»Alles steht gepackt bereit. Drei Koffer, mehr habe ich nicht, was ich mitnehmen kann. Das meiste gehört ja dem

Schloß.«

«Rechnen Sie damit, daß Sie nie wieder nach Puschkin kommen. Vielleicht nach dem Endsieg, wenn der KatharinenPalast dann noch steht.«

«Es geht mir nicht um das Schloß, Herr Doktor, auch wenn wir Wachters hier über 200 Jahre lang gelebt haben.«

«Ich weiß, Sie und das Bernsteinzimmer gehören zusammen. Ich glaube, das wird auch Dr. Findling einsehen. «Dr. Runnefeldt zog sein Kinn an den Uniformkragen und zwang sich, äußerlich keine Rührung zu zeigen. Als er sah, wie Wachters Augen glänzten und dieser Schimmer von verhaltenen Tränen kam, drehte er sich weg und verließ schnell das leergeplünderte Zimmer.

Die zehn Lastwagen standen aufgereiht längs der Zufahrt zum Katharinen-Palast, die Planen fest verschnürt, die Fahrerkabinen verschlossen. Acht Wagen warteten neben der Schloßkirche, um mit den Kunstgegenständen beladen zu werden, die Dr. Wollters noch ausbaute. Die zehn Künstler mit Fingerspitzengefühl und der Zug der Pioniere arbeiteten ohne Unterbrechung, nahmen die Ikonostase auseinander, holten die Kronleuchter von den Decken, schleppten große chinesische Vasen und brokatene Barockmöbel ins Freie und stapelten die eingehüllten Ikonen und Gemälde, Gobelins und Teppiche. Dr. Wollters stand an der Tür und strich jedes herausgetragene Teil penibel auf seinen Listen an.

Ein kurzer Haken. Aus! Es würde Rußland nie wiedersehen. Unteroffizier Julius Paschke, geboren in Berlin-Wedding, von Beruf Kaminkehrer, den man als nicht kriegswichtigen Betrieb eingestuft hatte, saß auf dem Trittbrett von Wagen sieben und hielt Wache. Ohne Bewachung wollte Dr. Runnefeldt seine wertvolle Fracht nicht in der Nacht herumstehen lassen… auch die festeste Kiste war für einen Landser kein Hindernis, wenn er an etwas herankommen wollte. Im Rhythmus von zwei Stunden lösten sich die Wachen ab, nur Julius Paschke mußte länger aushalten. Er war Kolonnenführer der Wagen sechs bis zehn und außerdem der vorgesetzte Wachhabende, der UvD, der Unteroffizier vom Dienst.

Er saß da auf dem Trittbrett, rauchte eine Zigarette nach der anderen, hatte einen Mordsappetit auf eine Flasche Bier, auch wenn es Dünnbier war, das man Urinol oder Pissulin nannte, und hing schweren Gedanken nach. Vor allem beschäftigte ihn seine Frau Johanna, ein hübsches Frauchen mit strammen Titten und einem geilen runden Arsch, und seit Paschke an der Front war — und er war vom ersten Tage des Einmarsches in Polen dabei — fragte er sich immer: Was macht sie jetzt? Liegt sie in dieser Nacht wirklich allein im Bett? Denkt sie immer an den Spruch: Hab Gott vor Augen und die Buxe zu…? Noch genug Männer waren in der Heimat, in den kriegswichtigen Fabriken, bei Siemens zum Beispiel, und diese Kerle sahen es gewissermaßen als Verpflichtung an, die Frauen ihrer kämpfenden Kameraden nicht vertrocknen zu lassen. War Johanna auch so eine?

Beim letzten Urlaub hatte Paschke versucht, ihr ein Kind zu machen, aber das war mißlungen. Wieso, das wußte Paschke auch nicht. Er hatte sich 14 Tage lang unermüdlich bemüht und kam dann durchaus nicht erholt zur Truppe zurück. Hannas Brief, der in dem Satz gipfelte:»Nix ist, Julius. Die polnischen Weiber haben Dich schlapp gemacht!«, war Anklage und Spott zugleich. Jetzt lag sie vielleicht unter einem dieser als unabkömmlich erklärten Kerle und blies ihm ihren Atem ins Gesicht. Himmel, Arsch und Zwirn, hoffentlich ist der Scheißkrieg bald zu Ende…

Er schrak zusammen, sein gesenkter Kopf zuckte hoch. Vor ihm stand eine weibliche Gestalt in einer Schwesterntracht. Lautlos war sie gekommen, völlig ohne Geräusch, als sei sie durch die Luft geflogen.

«Det is ja wunderbar!«sagte Julius Paschke, warf seine Zigarette weg und zermalmte sie mit der Stiefelsohle.»Wat is jefällig? Blutdruck, Herzklopfen oder Entlausung? Is alles da, Schwesterchen. Am schlimmsten empfind ick di Spannung in der Hose…«

«Ich möchte Sie um etwas bitten. «Jana Petrowna zögerte einen Moment, dann setzte sie sich neben Paschke auf das

Trittbrett. Ein leichter Parfümgeruch umwehte Paschke und erinnerte ihn an den Puff von Riga.

Jeijeijei… ausgerechnet jetzt! Beim Wacheschieben gibt es kein anderes Schieben. Mädchen, ich komme vors Kriegsgericht — einen Teufel werde ich tun!

«Schieß los, Kleene, wat soll's denn sein?«sagte er und musterte Jana von der Seite. Sein Blick blieb auf ihrem Busen haften, und er kratzte sich nervös die Nase. Immer wenn's gemütlich wird, kommt was dazwischen.

«Sie fahren doch morgen nach Königsberg?«

«Hat sich det schon rumjesprochen? Ja, wir dampfen nach Königsberg.«

«Wie weit ist das?«

«Von hier?«Paschke kniff die Augen zusammen und sah in den fahlen Himmel. Morgen regnet's, dachte er. Eine Scheißfahrt wird das werden. Die russischen Straßen sind wahre Knochenbrecher.»Luftlinie unjefähr 800 Kilometer. Aber über die Straßen werden's ooch über 900 sein. Wird 'ne Quälerei. Und wenn's regnet, sitzen wir bis zum Arsch im Schlamm. So is det…«

«Ich muß nach Königsberg«, sagte Jana Petrowna ohne einen falschen Unterton. Es klang vollkommen glaubhaft.»Zum Lazarett II. Bin dorthin versetzt. «Ob es ein Lazarett II gab, wußte sie nicht, auch nicht, ob man Lazarette überhaupt so nannte, sie wagte es einfach, es so zu nennen.

«Königsberg is scheen. Dat wird Sie jefallen, Schwesterchen. Wenn Se mal uf der Kurischen Nehrung jebadet haben… det is'n Erlebnis, sag ick Sie.«

«Nehmen Sie mich mit?«

«Ick? Nach Königsberg? Mit so 'nem Rappelkasten? Woll'n Se nen roten Affenhintern haben?«

«Mit der Bahn ist es noch unbequemer. Von hier nach Pleskau, dann nach Rositten, weiter nach Memel… ich habe mich erkundigt.«

«Fährt denn von hier keen LaZ nach Königsberg?«

«Nein, morgen fährt kein Lazarettzug nach Ostpreußen. Aber ich muß morgen weg. Der letzte Termin. Warum kann ich denn nicht mit Ihnen fahren?«

«Weil det verboten is, Süße. Sonderkommando, vastehste? Jesperrt für alle Zivilisten.«

«Ich bin kein Zivilist. Ich bin eine Rote-Kreuz-Schwester.«

«Det stimmt nu ooch wieda. «Julius Paschke betrachtete Jana wieder von der Seite — is'n verdammt hübsches Pferdchen, dachte er — und stürzte sich damit in einen Gewissenskonflikt.»Mädchen, ick kann doch nich…«

«Bitte. «Sie legte ihm die Hand auf den Arm und streichelte ihn. Paschke bekam einen Kloß in den Hals, das Hämmern seines Herzens setzte wieder ein wie damals, als er im Puff von Riga der rothaarigen Eina gegenüberstand und als Eintrittskarte seine Packung Präservative vorzeigen mußte.»Mich wird auch keiner sehen und entdecken. Ich verstecke mich im Wagen hinter den Kisten.«

«Det können aba jut drei Tage werden… wenn's regnet.«

«Das macht mir nichts aus.«

«Mädchen, und wennste mal strullen mußt?«Jana verstand das Wort nicht. Was ist strullen, dachte sie. In ihrem Wortschatz kam es nicht vor. Ich werde Väterchen fragen. Tapfer sagte sie:

«Ich muß nicht.«

«Drei Tage lang?«Paschke sah sie zweifelnd an.»Det wär'n medizinisches Wunder. Aba wennste det anhalten kannst, nachts kannste dann abprotzen…«

«So ist es. «Jana Petrowna lächelte Julius Paschke umwerfend an.»Sie nehmen mich also mit?«