Praskowja Nikolajewna, die Bäuerin, die Kinder und vor allem Trofim, das noch recht muntere Großväterchen, hatten sich, so gut es eben ging, mit ihrem Schicksal abgefunden. Sie hatten das Korn gemäht, die Sommerkartoffeln aus dem Feld gezogen und die Gemüsebeete geharkt, um dann alles, was man nicht selbst zur Ernährung brauchte, den deutschen Besatzern zu verkaufen. Dabei hatte man sie zweimal elend betrogen… ein Schwein und ein Kälbchen hatten die Deutschen gekauft und mit deutschen Geldscheinen bezahlt.
«Das Geld«, hatten de Landser gesagt.»Germanskij Rubel, du verstehen? Einlösen in Kommandantur. Tauschen, kapiert? Menjat'… Guck nicht so blöd, alter Sack!«
Großvater Trofim nahm die Geldscheine, fuhr drei Tage später zum Ortskommandanten von Nostrow und legte Germanskij Rubel vor. Ausgelacht hatte man ihn und dann hinausgeworfen. Was er auf den Tisch legte, waren alte deutsche Lotterielose. Winterhilfswerk 1940.
Praskowja Nikolajewna stand in ihrer ausgebleichten Kittelschürze vor dem Haus, gegen den Regen einen Sack über den Kopf gestülpt, als Dr. Runnefeldts Auto auf dem Hof hielt. Die Kinder drückten die Nasen am Fenster platt, und Großvater Trofim bereitete sich darauf vor, gegen deutsche Lotterielose zu opponieren.
Dr. Wollters blickte mißmutig durch die Scheibe auf die Bäuerin und das alte Haus. Der Regen rauschte, als gieße man Eimer aus. Der Scheibenwischer kämpfte vergeblich gegen die vom Wind herangetriebene Flut an.
«Hier?«fragte er und drehte sich wieder um.
«Ja«, antwortete Dr. Runnefeldt.
«In dieser Bruchbude? Diesem Wanzennest? Sehen Sie sich mal das Weibsstück an… nur mit der Kneifzange anzufassen…«
«Wir wollen sie nicht anfassen, mein lieber Wollters, sondern eine Pause machen, etwas essen und trinken.«
«Da rühre ich nichts an! Soll ich vor Ekel die Gelbsucht bekommen?«
«Meistens haben die Bauern hier einen guten, frischen Quark«, sagte Wachter und erntete dafür einen bösen, durchbohrenden Blick.»Milch, eingelegte Gurken, feste Zwiebeln, selbstgebackenes Brot und vielleicht auch Grützwürstchen.«»Scheußlich! Können wir nicht weiterfahren bis zu einer Truppe? Irgendwo hier müssen doch deutsche Einheiten liegen! Lieber eine miese Feldküche als dieser Schweinefraß.«
«Wir müssen hier auf die Kolonne warten. «Dr. Runnefeldt setzte seine Mütze auf, schätzte den Weg vom Auto bis zur Haustür auf etwa drei Meter — man würde also naß werden und durch einen aufgeweichten Boden springen müssen.»Wir sind noch gut durchgekommen, aber wie haben es die Lkws in diesem Sauwetter geschafft? Das beschäftigt mich mehr als Essen. Ich habe erst Ruhe, wenn die Wagen hier aufgefahren sind. «Er stieß die Tür auf, sprang aus dem Auto und hetzte mit großen Sprüngen durch den Regen auf Praskowja zu. Wachter folgte ihm, der Schlamm spritzte an seiner Hose empor, an seinen Schuhen klebten sofort dicke Lehmklumpen. Stumm blickte der Fahrer zu Dr. Wollters an seiner Seite.
«O Scheiße«, sagte der Rittmeister resignierend. Dann stieß auch er seine Tür auf, sprang hinaus und rannte zu dem Bauernhaus. Praskowja Nikolajewna, die schon so viel von den Deutschen wußte, um feststellen zu können, daß da ein höherer Offizier durch den Schlamm hüpfte, riß den Kartoffelsack vom Kopf und warf ihn Wollters über die Schulter. Mit einer wilden Handbewegung schleuderte er ihn in den Regen und den Dreck.
«Haben Sie das gesehen?«rief er empört, als er in die Stube kam, wo Dr. Runnefeldt und Wachter bereits auf Großvater Trofim geprallt waren.»Diese widerliche Vettel wirft mir doch ihren Stinksack an den Kopf!«Dann schwieg er abrupt, denn Großväterchen sagte klar und deutlich:
«Gutten Tagg… Nix nähme Lotterie…«
«Was will er?«Wollters musterte den rüstigen Alten.»Total verkalkt, was?«
«Lassen Sie mich das machen. «Wachter nickte dem Großvater zu und sprach dann schnell einige Sätze auf russisch. Trofim riß die Äuglein auf, beleckte mit der Zunge seine tabakgelben Zähne und hörte stumm zu. Gefährlich, dachte er. Oh, wie gefährlich. Da ist einer, der spricht wie wir. Ein a3-trünniger Genosse, der den Deutschen in den Arsch gekrochen ist. Vorsichtig muß man sein bei solchen Gewissenlosen.»Wir sind auf der Durchfahrt«, hatte Wachter gesagt.»Wir wollen hier eine Weile bleiben, bis der stärkste Regen vorbei ist. Hast du was zum Essen da? Eine Kascha oder sonstwas? Eingelegte rote Rüben oder Gurken oder ein Töpfchen Schmalz? Gibt es bei dir Milch?«
Großväterchen wölbte die Unterlippe vor, so wie es Lamas tun, bevor sie spucken, aber er spuckte nicht, auf keinen Fall, man wollte ja noch weiterleben und warten, bis Ilja, das liebe Söhnchen aus dem Krieg zurückkam.
«Alles hat man uns weggenommen, alles«, sagte er, als Wachter schwieg.»Mein Schweinchen, mein Kälbchen, das Butterfaß, das Mehl, die Grütze, alles. Bezahlt haben Sie, deine neuen Freunde… mit wertlosem Papier.«
«Und wovon lebt ihr?«fragte Wachter.
«Ein paar Kartoffeln haben wir noch. Ein Süppchen, ein paar Zwiebeln… genug ist das. Schwer sind die Zeiten.«
«Was quatscht der Alte da?«fragte Dr. Wollters. Er zog seine durchnäßte Uniformjacke aus, ging zu dem aus Flußsteinen gemauerten Ofen und hing sie über eine gespannte Leine. Der Ofen gluckerte und war schön warm. Ich sage es doch, dachte Wachter zufrieden. Der Winter kommt diesmal schneller. Sie kennen ihre Natur genau, die Bauern, frühzeitig heizen sie ihre
Öfen an, gut vollgesogen mit Wärme sollen die Steine sein, bevor der erste kalte Sturm kommt.
Großväterchen Trofim starrte den deutschen Offizier entgeistert an. Wollters hielt seine Hosen mit Hosenträgern fest…breite, in buntem Muster gewebte, stabile Träger mit ledernen Schlaufen. Hatte man so etwas schon gesehen? So etwas gab es? Trofim konnte den Blick nicht von diesen Hosenträgern losreißen und verfluchte die Unmöglichkeit, sie nicht gegen ein Hühnchen eintauschen zu können.
Noch sieben Hühner hatte er im Stall versteckt und bisher vor allen Deutschen gerettet. Welch ein Wunderwerk von Hosenträgern…
«Ein paar Krümelchen werd ich noch zusammenkratzen«, sagte Trofim und ließ die Augen nicht von Wollters. Der hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, lehnte den nassen Rücken gegen die wannen Steine und wunderte sich, daß es hier im Raum weder nach Schweiß noch nach saurer Milch roch. Praskowja stand an der Tür und wartete. Die Kinder hatten sich im Nebenraum versteckt, wo ein mit Stroh hoch gefülltes mächtiges Holzbett stand. Hier mummelte sich Großväterchen ein — so rüstig war er mit seinem Rheuma nun doch nicht, um noch auf den Ofen klettern zu können, auf die Plattform, auf der die ganze Familie im Winter schlief.
Wachter nickte zufrieden.»Guck in alle Ecken, Väterchen«, sagte er.»Es wird sich schon was finden.«
Trofim riß sich von den Hosenträgern los, schnalzte mit der Zunge und rieb mit der Oberlippe seine Nasenspitze.»Kann man tauschen?«fragte er und blinzelte Wachter zu.
«Was?«fragte Wachter verwundert.
«Gutes Essen gegen eine Leihgabe. Nur ein Viertelstündchen, das genügt. Ist ein guter Tausch, Genosse. Was ist schon ein Viertelstündchen im Leben eines Menschen. Mich wird's fröhlich machen.«